Sauerland-ProzessAngeklagter bleibt sitzen und scherzt

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Der Angeklagte Adem Yilmaz bespricht sich mit seinem Anwalt Karl Engel. (Bild: ddp)

Der Angeklagte Adem Yilmaz bespricht sich mit seinem Anwalt Karl Engel. (Bild: ddp)

DÜSSELDORF - Er will es wissen. Adem Yilmaz, 30, erhebt sich abermals nicht von der Anklagebank, als der 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Düsseldorf am zweiten Verhandlungstag im „Sauerland“-Prozess den Sitzungssaal betritt. Später lacht er, als der Vorsitzende Richter Ottmar Breidling den Senatsbeschluss verkündet: eine Woche Ordnungshaft für „ungebührliches Verhalten“ am ersten Verhandlungstag, an dem er verkündet hat: „Ich stehe nur für Allah auf.“ Am Nachmittag wird ihm die zweite Woche aufgebrummt. Der Richter ermahnt ihn dreimal und droht, über weitere Ahndungsmöglichkeiten nachzudenken. Doch Breidlings Buhlen um ein Einsehen bleibt vergeblich. Als Bundesanwalt Volker Brinkmann wegen des Sitzenbleibens eine weitere Ordnungshaft beantragt, schreit Yilmaz laut: „Dankeschön.“ Neuer Erziehungsversuch in gesetzlichen Benimm-Regeln des Vorsitzenden Richters, aber wieder ruft der ehemalige Kaufmann ein „Dankeschön“ durch die schusssichere Trennwand. Breidling gibt nicht auf, bittet die Verteidiger um Hilfe, denn jeder Tag Ordnungshaft bedeutet einen Tag länger Haft - und das kann sich bei einem wahrscheinlich zwei Jahre hinziehenden Verfahren ganz schön summieren. Rechtsanwältin Ricarda Lang weist das Angebot brüsk zurück: „Unser Mandant ist erwachsen. Er weiß selbst, was er tut.“

Ihr Kollege Karl Engels versucht es auf die sanfte Tour, erinnert daran, dass das Gericht den ersten stillen Protest gar nicht wahrgenommen hat. „Stört das die Sitzung, wenn der Senat das nicht bemerkt?“, fragt er, aber der Richter will sich an den Buchstaben des Gesetzes halten: „Wir sind hier nicht die Privatpersonen XY. . . “ Breidling, 63, müsste sich eigentlich daran erinnern, wie Fritz Teufel als Angeklagter im Prozess wegen der Anti-Schah-Demonstrationen vor dem Berliner Kammergericht 1967 sich mit dem Satz von der Anklagebank erhoben hat: „Wenn es der Wahrheitsfindung dient. . . .“

Adem Yilmaz scheint der einzige zu sein, der das Verfahren als Unterhaltung betrachtet, obwohl ihm am Ende eine langjährige Haftstrafe drohen könnte - für Verabredung zum Mord, die Vorbereitung von Sprengstoffanschlägen und die Zugehörigkeit zu einer terroristischen Vereinigung, falls das Gericht ihn für schuldig befindet. Während die drei anderen Anklagten sich auf das Geschehen konzentrieren, amüsiert sich der 30-Jährige, zupft am Bart herum, lacht. Als sein Bruder Burkan, ein 22 Jahre alter Student, und und seine Schwester, eine 18-jährige Schülerin, als Zeugen vor Gericht erscheinen, strahlt er. Beide machen von ihrem Recht gebrauch, die Aussage zu verweigern, auch wenn der Bruder dem Bundeskriminalamt (BKA) ausführlich Auskunft gegeben hat. Die Schwester Selim hat sich immer in Schweigen gehüllt. Als sie vor dem Richter sitzt, hören ihre Beine nicht auf zu zittern.

Wie schwer es für einen Menschen sein muss, als Zeuge auszusagen, wenn der Ehemann, der Sohn, der Bruder, der Schwager oder Schwiegersohn auf der Anklagebank sitzt, lässt das Verhalten der Verwandten von Fritz Gelowicz erahnen. Sie erscheinen mit einem Rechtsanwalt und schauen kein einziges Mal auf die Anklagebank. Auch sie verweigern die Aussage. Selbst als der Bundesanwalt wissen will, wie der Name Gelowicz richtig ausgesprochen wird, wendet sich die Schwester den Rechtsbeistand, bevor sie antwortet.

Vieles, was inzwischen über Fritz Gelowicz bekannt ist, stammt von seinem 65 Jahre alten Vater. Manfred Gelowicz, Diplom-Volkswirt und Unternehmer für Solarzellen, hat beim BKA ausgesagt, dass ein junger, strenggläubiger Türke ihn zum Islam bekehrt hat. 1995 schon, da war Fritz Gelowicz gerade mal 15 und nannte sich fortan Abdullah. Drei Jahre zuvor war die Ehe seiner Eltern in die Brüche gegangen, er und sein älterer Bruder blieben beim Vater, Fritz Gelowicz fand in der Großfamilie seines türkischen Freundes Geborgenheit. Auch sein Bruder wurde Muslim. Das Abdriften ihres Sohnes Fritz in die militante Islamistenszene haben wohl die Eltern geahnt, im Frühjahr 2004 sich Fritz Gelowicz an die Polizei gewandt und gesagt , dass der Sohn gefährdet sei, „da er unter der Agitation solcher Gruppen stehe“. Der Hilferuf von Mutter und Vater verhallten ungehört, der Sohn weigerte sich, mit der Polizei zu reden.

Die Mutter des Angeklagten Daniel Schneider strahlt beim Betreten des Gerichtssaal ihren Sohn an, winkt ihm zu. Er strahlt zurück. Immer wieder schaut die 47-jährige Förderpädagogin zu ihm herüber, als sie am Zeugentisch sitzt. Auch sie, die detailliert beim BKA über die Entwicklung ihres Sohnes Auskunft gegeben hat und bereit ist, mit der Vertreterin der Jugendhilfe zu reden, macht von ihrem Recht der Zeugnisverweigerung Gebrauch. Richter Breidling weist sie darauf hin, wie wichtig die Kenntnis der Persönlichkeit eines Angeklagten für Urteilsfindung sei, sagt sie: „Vielleicht mache ich zu einem späteren Zeitpunkt eine Aussage.“ Danach setzt sich sich in den Zuschauersaal und lässt ihre Augen nicht von ihrem Kind.

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