Schuld sind jeweils die anderen

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Italiens Ministerpräsident Berlusconi (r.) will den "Fall Sgrena" persönlich mit US-Präsident Bush klären.

Italiens Ministerpräsident Berlusconi (r.) will den "Fall Sgrena" persönlich mit US-Präsident Bush klären.

Rom - Der Zwischenfall ereignete sich am 4. März. Anfang April wollte die italienisch-amerikanische Untersuchungskommission ihren Bericht vorlegen. Jetzt ist es Mai geworden, und statt eines gemeinsamen Berichts sind zwei erschienen. Die Darstellungen widersprechen sich beinahe so, wie sie es von Anfang an taten - und der Vorfall, der die Beziehungen zwischen Rom und Washington stark belastet hat, bleibt unaufgeklärt.

An jenem Abend fuhr ein Auto zum Bagdader Flughafen. Zwei italienische Geheimdienstagenten hatten es eilig, die aus vierwöchiger Geiselhaft freigekaufte Journalistin Giuliana Sgrena in die Heimat zu bringen. Dann aber feuerte eine amerikanische Patrouille auf den Wagen; Geheimdienstoffizier Nicola Calipari, der sich schützend über Sgrena geworfen hatte, starb. Die Journalistin selbst wurde verletzt.

Ganz anders als die Italiener hatten die Amerikaner von Anfang an behauptet, der Wagen sei viel zu schnell gefahren und habe auf erste Aufforderungen zum Halten nicht reagiert. Die Patrouille habe einen Selbstmordanschlag befürchtet und das Auto stoppen müssen.

Dieses Argument spielt im amerikanischen Bericht auch jetzt noch die zentrale Rolle. Ferner erneuern die USA gegen den nachhaltigen Widerspruch Roms ihre Vorwürfe, Italien habe sie „bis zum Unfall“ über die Befreiung Sgrenas im Unklaren gelassen. Und nicht nur das: Als ein amerikanischer Offizier auf dem Bagdader Flughafen zu ahnen begann, warum zwei Geheimdienstler aus Rom eingereist waren, soll ihm ein italienischer General sogar „befohlen“ haben, mit niemandem darüber zu reden, und der amerikanische Offizier habe deswegen keine Veranlassung gesehen, die Kontrollposten zu verständigen.

Aus Sicht der USA also bleibt die Hauptverantwortung an den Italienern hängen. Diese indes versuchen Punkt für Punkt den amerikanischen Bericht zu widerlegen. Außerdem kritisiert der italienische Militärgeheimdienst die USA, weil diese keine regelrechte kriminalistische Untersuchung des Vorfalls zugestanden hätten. Der Straßenverlauf, so zitiert die Zeitung „La Repubblica“ aus Geheimdienstquellen, sei unmittelbar nach den Schüssen so geändert worden, dass eine Rekonstruktion des Geschehens unmöglich geworden sei; auch hätten amerikanische Stellen „noch in der Nacht“ die Unglücksstelle von allen Beweismitteln gesäubert. Gefragt wird in Rom auch, warum die Patrouille nicht einfach - wie es zum Stoppen von möglichen Selbstmordattentätern üblich sein soll - auf den Motor des Wagens gefeuert hat, sondern in den Fahrgastraum.

Rätsel gibt der amerikanische Bericht noch in anderer Hinsicht auf: Er wurde mit vielen Schwärzungen veröffentlicht. Keiner sollte die Namen der Beteiligten, vor allem nicht die Namen des oder der Todesschützen erfahren. Zur Verblüffung aller zeigte sich jedoch, dass beim Herauskopieren des Dokuments aus dem Internet die Schwärzungen verschwanden und alle Namen klar lesbar sind. Panne oder Absicht? Die amerikanischen Stellen verweigern jede Erklärung.

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