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SchuleWenn sich Lehrer in Schüler verlieben

Lesezeit 7 Minuten
„Eine 14-Jährige von heute ist nicht mit einer 14-Jährigen vor 20 Jahren zu vergleichen“: Das macht es manchmal schwierig. (Bild: Lightpoet - Fotolia)

„Eine 14-Jährige von heute ist nicht mit einer 14-Jährigen vor 20 Jahren zu vergleichen“: Das macht es manchmal schwierig. (Bild: Lightpoet - Fotolia)

Wie viel Nähe darf sein zwischen einem Lehrer und seinen Schülern? Für den Erziehungswissenschaftler Volker Ladenthin ist diese Frage keine. Aus seiner Sicht und aus Sicht seines Fachs stellt sie sich nicht. „Da ist kein Ermessensspielraum“, sagt er, „es gibt klare Grenzen.“ Die eine verläuft zwischen den Körpern, „aber ganz radikal“, sagt Ladenthin, „ein Lehrer hat seine Schülerinnen nicht anzufassen“. Die andere ist schwieriger zu ziehen, weil sie auf ungreifbarem Gebiet liegt. Ladenthin nennt sie emotionale Grenze.

An der Bonner Uni bildet er junge Menschen zu Lehrern aus, und es gibt einen einfachen Satz zum Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern, den er seinen Studenten mitgibt. Es ist ein alter Satz, der immer noch gilt für Ladenthin. Oder vielleicht: der im Moment besonders gilt. Der Satz lautet: Erziehung ja, Beziehung nein.

So leicht, wie es aussieht, ist das aber nicht. Zumindest ist das Land gerade bewegt von Fällen, in denen Schüler und Lehrer die Grenzen vergessen haben, die es zwischen ihnen geben soll. In Hamburg soll im April ein Mann vor Gericht, ein Lehrer, der mehrmals Sex mit einer seiner Schülerinnen hatte. Er ist 46, sie 14. In Koblenz wurde ein Lehrer vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs freigesprochen, obwohl er mehrmals Sex mit einer Schülerin hatte. Die Öffentlichkeit gerät schnell in Flammen, wenn es um Vertrauensleute geht, die das Vertrauen missbrauchen.

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Sex-Lehrer schreiben die Zeitungen

„Sex-Lehrer“, schreiben die Zeitungen und fragen, wie schlimm es wirklich zugehe an deutschen Schulen. Die Politik hat sich auch mit dem Thema befasst. Aus der CDU im Bundestag war die Forderung zu vernehmen, dass Deutschland ein Gesetz brauche, welches allen Lehrern verbietet, sexuelle Kontakte zu Schülerinnen und Schülern der eigenen Schule zu haben, die unter 16 Jahre alt sind. Der Fall in Koblenz ging gut aus für den Lehrer, weil er nicht Klassenlehrer des Mädchens war, mit dem er ins Bett ging, sondern sie nur aushilfsweise unterrichtete.

Für den Bonner Lehrer-Ausbilder Ladenthin braucht es kein strengeres Regelwerk. „Es reicht, wenn die Lehrer ihrer Profession gerecht werden“, sagt er. Wenn sie kein persönliches Verhältnis zu ihren Schülern aufbauen, sondern nur ein professionelles. Wenn sie in ihrer Rolle als Lehrer bleiben, als Vertrauter mit Abstand, als Autorität, als Vorbild. Er hat allerdings beobachtet, dass gerade junge Lehrer damit Probleme haben. Menschen von Mitte, Ende 20, die selbst noch zur Schule gingen vor ein paar Jahren. „Sie haben dann den Rollenwechsel noch nicht vollzogen“, sagt Ladenthin.

Viele junge Lehrer würden sich kleiden wie ihre Schüler, ihre Umgangssprache annehmen, eine lockere Körperhaltung vorführen, insgesamt also zeigen, dass sie noch nicht auf der anderen Seite angekommen sind, noch nicht hinter dem Lehrertisch. „Man fühlt sich den Schülern nahe“, sagt er, „und der nächste Schritt ist dann, diese Nähe auch auszuleben.“

Studenten beschäftigen sich mit dem Thema

Ladenthin muss dann weit unten ansetzen bei der Erziehung der neuen Lehrer. Er muss zum Beispiel sagen: Zieht Euch anders an. Er berichtet aber auch, dass im Moment viele Studenten zu ihm kommen und sich erkundigen, wie sie den richtigen Abstand zu ihren Schülern finden. „Sie sind sensibel geworden“, sagt er, „sie fragen danach, wie sie die Grenzen ziehen können.“

Es muss dabei gar nicht nur um Sex gehen. Schüler und Lehrer können sich ja auch anders annähern. Auf Facebook zum Beispiel. Ladenthin findet es nicht passend, dass Lehrer die Freundschaftsanfragen ihrer Schüler annehmen. „Es ist unadäquat, außerhalb des Unterrichts Kontakt aufzubauen“, sagt er. Soziale Netzwerke im Internet sind zwar einerseits eine sehr öffentliche Sache, anderseits eine private.

Schüler müssen nach Ladenthins Meinung nicht die Urlaubsfotos ihrer Lehrer im Internet sehen oder wissen, welche Musikgruppe, welches Buch, welches Foto ihr Lehrer Freunden empfiehlt. Auch Dorothea Schäfer hat sich dazu eine Meinung gebildet, die Vorsitzende der Lehrergewerkschaft GEW in Nordrhein-Westfalen. „Ich würde nicht erwarten, dass Lehrer ihren Schülern Freundschaftsanfragen schicken“, sagte sie, „sonst könnte man ja auch fragen, ob der Lehrer sie auch bei der Notengebung bevorzugt.“ Zu jeder Zeit müsse er deutlich machen, wo die Grenzen sind.

Auch auf Klassenfahren müssen die Grenzen klar sein

Das gilt auch auf Klassenfahrten, wenn es naturgemäß lockerer zugeht zwischen Schülern und Lehrern und sie abends zusammen in der Kneipe sitzen. Laut Ladenthin muss immer klar sein, dass es sich weiterhin um eine pädagogische Veranstaltung handelt, wie er das nennt. Es ist nicht so, dass auf Klassenfahrt die Regeln außer Kraft sind, die im Alltag gelten. „Der Lehrer muss weiter fürsorglich sein, er ist nicht von seiner Pflicht entbunden“, sagt Ladenthin, „er ist weiter Vorbild.“ Und damit auf Abstand zu seinen Schülern. Berufliche Nähe darf keine persönliche Nähe werden.

In seinen Vorlesungen führt Ladenthin angehenden Lehrern manchmal Filme vor, in denen sie Situationen besichtigen können, auf die sie vorbereitet sein müssen. In denen sie es besser machen sollen. Zu sehen ist dann zum Beispiel, wie ein Lehrer seiner Schülerin zuzwinkert oder sie anders anspricht als die anderen. Ladenthin weiß aber auch, dass die Trockenübungen nur in begrenztem Maße taugen, um neue Lehrer für den Alltag zu rüsten. Es sei wichtig, ihnen vorzuleben, wie der Abstand zwischen Lehrenden und Lernenden zu sein habe. „Und wir können die Grenzen reflektieren“, sagt er. Den Rest müssen die jungen Lehrer selbst lernen, im Unterricht. In Nordrhein-Westfalen fangen sie damit jetzt früher an. Dorothea Schäfer von der Gewerkschaft erzählt, dass die Lehramtsstudenten schon im Master ein Praxissemester machen müssen. Dass sie also nicht erst im Referendariat mit der Wirklichkeit konfrontiert werden.

Eine 14-Jährige ist nicht mit einer 14-Jährigen vor 20 Jahren vergleichbar

Sie will nicht, dass Lehrer Büromenschen werden oder Roboter. „Die Schüler sollen ja auch in der Lage sein, zu ihnen zu kommen, wenn sie gemobbt werden oder wenn zu Hause was nicht in Ordnung“, sagt sie. Deshalb dürfen sie sich ihrer Meinung nach nicht verschließen. Aber allzu menschlich darf es eben nicht zugehen. Zumal Menschen schneller reiften als früher, sagt Schäfer, „eine 14-Jährige von heute ist nicht mit einer 14-Jährigen vor 20 Jahren zu vergleichen“. Dagegen werden Lehrer jünger, zumindest tendenziell. Wenn sie schnell studieren, stehen sie mit 24 oder 25 vor der Klasse. Lehrer und Schüler nähern sich aneinander an. Dass ein Lehrer bei einer Schülerin auf den Gedanken komme, wow, was für ein attraktives Mädel, das könne passieren, sagt Schäfer. „Aber er darf dann nichts machen, was dieses Gefühl befördert.“ Sich also nicht mit ihr außerhalb der Schule treffen, nicht mit ihr Tennisspielen gehen, um mal ein Beispiel zu nennen. Sie nicht freundlicher angucken als andere, keine besseren Noten geben.

Erziehungswissenschaftler Ladenthin vergleicht das Verhältnis von Schülern und Lehrern mit dem von Ärzten zu Patienten. In beiden Fällen geht es um Vertrauen und um eine Hierarchie. „Der Arzt darf seine Patienten und Patientinnen auch nur aus medizinischer Sicht betrachten“, sagt er. Die berufliche Sicht dürfe nicht alltagsmenschlich aufgeladen werden, so nennt er das.

Er kennt natürlich die Fälle aus Koblenz und Hamburg. Auch wenn die Koblenzer Grenzverletzung vor dem Gesetz nicht strafbar ist, hat er kein Verständnis. In einem Vertrauensverhältnis, in einer sensiblen Abhängigkeit, „da muss man nicht alles machen, was das Gesetz erlaubt“, sagt Ladenthin. Da hätte der Lehrer, der Vertrauensmann, der Erwachsene die Grenzen sichern müssen.

WER WEIß RAT?

Was können Eltern tun, deren Sohn oder Tochter eine Affäre mit Lehrer oder Lehrerin hat? „Ich würde erstmal mit meinem Kind reden, nicht anders als bei anderen Schulproblemen“, sagt Mirka Schneider vom Schulpsychologischen Dienst der Stadt Köln, „ich würde meine Position klarmachen: dass das nicht geht.“ Sie rät, den Lehrer dazu zu drängen, die Beziehung zu beenden. Er sei der Erwachsene, er müsse die Konsequenzen ziehen. Das Kind soll Schneiders Meinung nach allerdings in Kenntnis gesetzt werden, dass man Kontakt zum Lehrer aufgenommen hat. „Wenn er sich nicht in der Lage fühlt, die Sache zu beenden, dann soll er seinen Vorgesetzten darum bitten, sich versetzen zu lassen.“ Die Schulleitung würde Schneider je „nach Art der Grenzverletzung“ hinzuziehen: „Wenn wir zum Beispiel von sexuellen Übergriffen sprechen, ist die Schulleitung einzuschalten.“

Der Schulpsychologische Dienst der Stadt Köln ist zu erreichen unter der Nummer 0221/22 12 90 01. Angeschlossen ist die Familienberatung, die per Mail erreichbar ist:

familienberatung@stadt-koeln.de. Mädchen, die sich bedrängt fühlen, können sich an das Kölner Mädchenhaus wenden, Telefonnummer: 0221/45 35 56 50. Auch können Betroffene Hilfe bekommen bei der „Nummer gegen Kummer“. Kinder und Jugendliche wählen die Nummer 0800/ 111 03 33; Eltern die 0800/111 05 50. Auch der Kinderschutzbund kann ein Ansprechpartner sein. (buc)

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