„Wie in Kriegsgebieten“Lebenszufriedenheit von Abiturienten sinkt drastisch

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Abitur

Eine Studie untersuchte die Stimmungslage unter Abiturientinnen und Abiturienten.

Düsseldorf – Monatelanges Lernen allein vor dem Bildschirm, keine Feier, als das Abitur endlich geschafft war, dazu ausbleibende soziale Kontakte und vielfach Stress mit den Eltern – die Auswirkungen der Corona-Krise auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen könnten dramatischer sein als bisher angenommen, folgt man einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAF), das der Bundesagentur für Arbeit angegliedert ist.

„Die Lebenszufriedenheit der Befragten ist auf einer Skala von 0 bis 10 um 0,5 gesunken. Ein solcher Einbruch ist untypisch für junge Menschen in diesem Lebensabschnitt. Er entspricht zum Beispiel dem drastischen Rückgang der Lebenszufriedenheit in Kriegsgebieten“, schreiben die Autoren der Untersuchung.

Jochen Ott, Bildungsexperte der SPD, vergleicht die Stimmungslage heutiger Abiturjahrgänge mit der unter Jugendlichen im Nachkriegsdeutschland, deren traumatische Erfahrungen ebenfalls nicht aufgearbeitet wurden. Wurde damals mit dem Appell an die Disziplin die Vergangenheit verdrängt, so fehle es heute schlicht an Personal. Psychotherapeutische Praxen und Jugendpsychiatrien seien überlastet, den Lehrkräften fehle die Zeit, sich angesichts übervoller Lehrpläne um das psychische Wohl der Schülerinnen und Schüler zu kümmern. Hier müssten mehr Kapazitäten geschaffen werden.

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Wegen Corona beginnen Abiturienten weder Studium noch Beruf

19,8 Prozent der Befragten, die sich Anfang ihres letzten Schuljahres bezüglich ihres künftigen Bildungswegs nach dem Abitur unsicher waren, gaben an, die Covid-19-Pandemie habe sie in ihrer Bildungsentscheidung stark beeinflusst – dieser Wert ist signifikant höher im Vergleich zu Befragten, die sich davon unbeeinflusst zeigten, so die IAF-Studie. Auch die Zahl von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die nach dem Abitur weder ein Studium noch eine Berufsausbildung begonnen haben, ist gestiegen.

Der Wunsch nach Präsenzunterricht war Ende 2020 groß, nur die wenigsten unter den Befragten gaben an, Digitalunterricht zu bevorzugen. „Die enormen Belastungen des Distanzlernens resultieren aus häuslicher Enge, Einsamkeit sowie aus teils mangelhafter technischer Ausstattung“, heißt es in der Studie. „Langfristige Folgekosten ergeben sich beispielsweise für die Therapie von Essstörungen, Depressionen und Angststörungen. Daraus folgt aus der bildungswissenschaftlichen Perspektive die dringende Empfehlung, die Schulpflicht und Präsenzlehre in Zukunft dauerhaft umzusetzen.“

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Die Autoren der Untersuchung plädieren dafür, bei künftigen Abwägungen zu Infektionsschutzmaßnahmen die starken negativen Auswirkungen der Schul- und Hochschulschließungen zu berücksichtigen. Eine Möglichkeit wäre deshalb, in den Beratungsgremien nicht überwiegend Einschätzungen aus Virologie, Mikrobiologie, Human- und Veterinärmedizin anzuhören, sondern auch die besorgten Stimmen aus anderen Disziplinen wie Ökonomie, Pädagogik, Psychologie und Soziologie zu den massiven Nebenwirkungen ernst zu nehmen.

Dieser erweiterte Blick sei unverzichtbar, um ein umfassendes Bild der gesellschaftlichen Auswirkungen von Infektionsschutzmaßnahmen zu erhalten und langfristige Folgen für die junge Generation entsprechend zu berücksichtigen.

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