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Expertinnen und Experten im GesprächWo Schulen jetzt dringend Unterstützung brauchen

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Endgeräte für alle Schulkinder sind eine der Forderungen.

Köln – Die Hälfte der Schulen in Deutschland hat kein WLAN, das die Kinder und Jugendlichen nutzen können. Und nur 57 Prozent der Lehrkräfte arbeiten an Schulen, an denen es für den Unterricht genügend digitale Geräte gibt. Diese Zahlen stammen aus einer aktuellen Studie der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und zeigen, wie groß die Kluft ist zwischen dem Anspruch an die digitale Ausstattung von Schulen und der Realität im Sommer 2021.

Wie müssen Schulen nun ausgerüstet werden, um einen guten digitalen Unterricht anbieten zu können? Diese Frage hat Ende Mai den Rahmen für eine per Videokonferenz geführte Gesprächsrunde des „Kölner Stadt-Anzeiger“ mit zentralen Akteuren des Schulsystems gebildet. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren:

• Robert Voigtsberger, Schuldezernent der Stadt Köln • Vivian Breucker, Leiterin der Offenen Schule Köln • Timo von Lepel, Geschäftsführer von Netcologne • Richard Heinen, Schulentwickler bei LearningLab Köln • Martin Süsterhenn, Leiter der Katharina-Henoth-Gesamtschule in Köln-Höhenberg • Maja Balazinec, Schülerin der Gesamtschule Windeck

Im Folgenden dokumentieren wir Auszüge des anderthalbstündigen virtuellen Austauschs.

Maja, du bist in Windeck Teil einer sogenannten iPad-Klasse. Das klingt nach voll digitalem Unterricht und beispielhafter Ausstattung. Ist der Eindruck richtig?

Maja Balazinec: Wir sind zwar eine iPad-Klasse, aber nicht alle Schüler in der Klasse haben auch ein eigenes Gerät. Manche Eltern können sich das nicht leisten. Die Kinder bekommen dann einfach Arbeitsblätter ausgeteilt und machen darauf das, was wir mit Tablets machen. Ein zweites Problem ist, dass wir kein WLAN haben. Es läuft also leider nicht alles so, wie es laufen sollte, aber es läuft.

Nicht nur beim WLAN gibt es an vielen Schulen Probleme, auch die schnellen Anschlüsse fehlen oft. Köln ist schon sehr gut angeschlossen, andere Kommunen könnten davon lernen. Herr von Lepel, wie ist es gelungen, alle Schulen mit Gigabit-Leitungen auszustatten?

Timo von Lepel: Der Erfolg hängt wesentlich von der Kommune ab. In Köln wurden früh Standards definiert und beantwortet: Was wollen wir erreichen? Wie muss eine Ausstattung aussehen? Die Stadt hat Fördermittel in Höhe von 3,6 Millionen Euro aus dem Programm Gute Schule 2020 dann eingesetzt, um mit Netcologne Schulen an das Glasfasernetz anzubinden. Wir machen ja auch technischen Schulsupport und sehen, dass das Thema durch die Corona-Pandemie enorm an Bedeutung gewonnen hat.

Robert Voigtsberger: Wir haben in Köln über 300 Schulgebäude und 150 000 Schülerinnen und Schüler. Das zeigt, welche Mammutaufgabe eine gute digitale Infrastruktur in den Schulen ist. Die Glasfaseranschlüsse liegen schon an allen Gebäuden, jetzt braucht es die weiteren Komponenten. Ende des ersten Quartals 2022 sollen alle Schulgebäude mit gigabitfähigen Leitungen versorgt werden, um diese Anschlüsse richtig nutzen zu können. Bis Ende Juni sollen darüber hinaus weitestgehend alle Schulen mit WLAN ausgestattet sein.

Vivian Breucker: Wir sind in der luxuriösen Situation, dass wir eigene IT-Fachkräfte haben, die sich um all die Geräte kümmern. Ich muss zum Glück auch kein Zweitstudium der Datenschutz-Grundverordnung hinlegen, da wir geschulte Ansprechpartnerinnen und -partner dafür haben. In anderen Schulen sind das aber Aufgaben, die von Kolleginnen und Kollegen übernommen werden müssen. Die Zeit wäre besser eingesetzt, wenn diese sich gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern mit der Frage beschäftigen könnten, wie zukunftsfähiger Unterricht aussehen muss und welche Technik wir dafür im Idealfall brauchen. Für solche grundlegenden Fragen war in der Pandemie kaum Zeit. Die Kinder und Jugendlichen müssen bei der Diskussion um eine zukunftsfähige Schule unbedingt dabei sein. Wenn wir nur das vermitteln, was wir Erwachsenen schon können, kann sich für die Zukunft nichts verändern.

Voigtsberger: Wir entwickeln seit März in Köln den Medienentwicklungsplan, der sich um genau diese Fragen dreht. Wir wollen Qualitätsstandards, die geeignet sind, die zukunftsfähige pädagogische Arbeit der Lehrerinnen und Lehrer zu unterstützen. Eine wichtige Frage dabei ist, wie wir es schaffen, dass wirklich alle Kinder und Jugendlichen davon profitieren. Der Ausstattungsplan muss eng verbunden sein mit der Frage nach digitaler Inklusion.

Richard Heinen: Ich hadere mit dem Begriff des Medienentwicklungsplans, bei dem geplant wird, welche Technik in drei bis fünf Jahren erforderlich ist und was das kostet. Was wir brauchen, ist ein kontinuierlicher Prozess zwischen Schulleitung, Schulträger und Schulaufsicht, die sich ständig dazu austauschen, was gerade gebraucht wird. Und wir müssen davon wegkommen, dass Schulen über Medienkonzepte nachweisen müssen, wofür sie digitale Technik brauchen. Schulen sollten in die Lage versetzt werden, eine Ausrüstung standardmäßig abrufen zu können, ohne dass sie das aufwendig begründen müssen, und dann mit dem Schulträger reflektieren, wie der Einsatz Lernen verbessert hat.

Herr Süsterhenn, Sie haben an Ihrer Schule viele Kinder aus finanziell schwachen Familien, die bei der Digitalisierung des Lernens voll auf die Schulen angewiesen sind.

Martin Süsterhenn: Als der erste Lockdown kam, hatten wir keinerlei Ausstattung für die Kinder. Der Digitalpakt oder Gute Schule 2020 hatten digitales Distanzlernen ja nie im Sinn. Das war in unserem Viertel besonders dramatisch, weil viele unserer Familien über keinen geregelten Internetzugang verfügen. Viele Kinder mussten über mobile Datenpakete teilnehmen, die waren sehr schnell verbraucht. Ich hatte hier eine Mutter stehen, die mir gesagt hat, sie müsse überlegen, ob sie für ihren Sohn Datenpakete für den Unterricht kauft oder Nudeln. Ich habe auch schon wildfremde Menschen angerufen, von denen ich wusste, nebenan wohnt einer unserer Schüler. Ich habe seine Nachbarn gefragt, ob sie Internet haben, dass die Schüler nutzen können, um am digitalen Unterricht teilzunehmen.

Von Lepel: Dieses Thema der digitalen Teilhabe treibt mich auch um. Wir überlegen, wie wir Schulen und Schüler künftig noch besser unterstützen können. Eine Idee ist, dass wir freies Internet in Jugendtreffs schaffen, in denen es Räume gibt, in denen die Kinder digital arbeiten können, wenn sie das wollen. Breucker: Diesen digitalen Raum allen Kindern zu öffnen ist wichtig. Wenn Schülerinnen und Schüler, mit oder ohne Förderbedarf, digitale Skills nicht erwerben, mit denen sie das gemeinsame Leben gestalten, dann verlieren sie den Anschluss.

Wie würden Sie gerne Ihre Schule digital ausstatten, Herr Süsterhenn?

Süsterhenn: Erst Anfang Februar haben wir Geräte bekommen: 480 Tablets für 1320 Schülerinnen und Schüler. Dank privater Spenden kamen mehr hinzu. Wir freuen uns über weitere Geräte und über gutes WLAN, beides hilft, Bildung mit Hilfe von Digitalisierung zu stützen. Mir ist aber vor allem wichtig, dass nicht von oben herab mit der Gießkanne für alle ein Konzept gilt. Die Gießkanne hat mich in der Pandemie extrem gestört. Als Schulleiter kenne ich gemeinsam mit dem Kollegium die beste Lösung für unsere Schule.

Heinen: Ich stimme Ihnen zu. Wir müssen davon wegkommen, dass wir glauben, mit Mails, die an einem Freitagabend die Schule erreichen, Schulen in die richtige Richtung steuern zu können. Die Experten für eine Schule sitzen in dieser Schule. Ihnen müssen wir Freiräume geben, ihre Schule zu entwickeln und zu gestalten. Mir ist auch wichtig zu betonen: Es geht nicht um die Frage, wie mache ich Digitalisierung? Das lenkt den Blick unnötig auf die Technik. Sondern: Wie kann ich Lernen in einer digitalen Welt zeitgemäß gestalten? Schule hat immer schon das Ziel, Kinder und Jugendliche auf das Leben in der Welt vorzubereiten. Daran ändert sich nichts. Was sich aber ändert, ist die Welt da draußen, und ihr muss Schule gerecht werden.

Voigtsberger: Die Pandemie hat gezeigt, dass Schule mehr ist als ein Lernort. Es ist ein Lebensort, an dem es nicht nur um Lernen geht, sondern auch um soziale Kontakte, um Spaß und Freude, um Bewegung und Gespräche auf dem Schulhof. Ich fände es sinnvoll, wenn wir das digitale Lernen stärker von der häuslichen Unterstützung entkoppeln könnten.

Breucker: Wenn Schulen gut ausgestattet sind und der Unterricht mit den gemachten Erfahrungen digital gestützt wird, kann Unterricht künftig auch mal für eine Woche an der Nordsee stattfinden. Die Technik bietet Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, selbstständiger eigenen Forscherfragen auch an außerschulischen Lernorten nachgehen zu können.

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Voigtsberger: Technologien wie adaptive Lernsysteme und künstliche Intelligenz sind dabei wichtige Themen, die wir, wie überhaupt die Gestaltung von Schule, nur gemeinsam angehen und hinbekommen können.

Von Lepel: Echte Digitalisierung in der Schule darf auch nicht mehr bedeuten, den analogen Unterricht einfach digital abzubilden, sondern positive Kompetenzen auszubilden. Kindern beizubringen, wie viel sie mit digitalen Medien schaffen können, sie vom Konsumieren zum Produzieren zu bringen, sie selber etwas machen zu lassen und ihnen Souveränität darüber zu geben. Das sind am Ende auch Skills, die in Unternehmen gefragt sind.

Sind Deine Lehrerinnen und Lehrer ausreichend für digitalen Unterricht ausgebildet, Maja?

Balazinec: Unser Klassenlehrer war schon immer digitalbegeistert und hat sich für neue Sachen interessiert. Das ist leider nicht bei allen Lehrern unserer Schule so. Viele sagen, das ist nichts für mich, ich will kein iPad. Nur weil wir eine iPad-Klasse sind, heißt es auch nicht, dass jedes Fach digital gemacht wird. Manchen Lehrern müssen wir erklären, wie sie Programme auf dem iPad starten. Sie haben nicht die Kenntnisse, um den Unterricht richtig zu gestalten. Es ist schwierig, wenn wir erst mal erklären müssen, wie sie eine Software nutzen. Breucker: Hierfür sind Fort- und Weiterbildungen notwendig, um interessanten und einen didaktisch durchdachten digitalen Unterricht machen zu können.

Süsterhenn: Auch wir haben einen riesigen Bedarf an Fortbildung und technischer Unterstützung. Es wird immer noch unglaublich viel auf den Rücken einzelner Kolleginnen und Kollegen abgeladen. Sie bekommen mehr und mehr Aufgaben, weil sie eine große Bereitschaft zeigen, sich zu kümmern. Aber irgendwann brechen sie zusammen, das funktioniert nicht. Wir brauchen eine professionelle Hilfe bei Pflege und Instandsetzung der Technik.

Maja, was wünschst du dir für deine und nachfolgende Generationen?

Balazinec: Ich wünsche mir, dass wir digital besser ausgestattet werden, dass wir WLAN bekommen und der Unterricht auch digital funktionieren kann. Dass wir durch digitale Medien unterstützt werden. Aber ich wünsche mir auch, dass der Collegeblock und ein Stift nicht abgeschafft werden. Ich finde es wichtig, beides zu haben.

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