Schulen in NRW„Querdenker“ verteilt Broschüre mit Falschinformationen an Lehrer

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Maske Schule Symbolbild

Ein Mädchen schaut mit leicht zugekniffenen Augen in die Kamera, über Mund und Nase hat sie eine blaue OP-Maske gezogen. Darüber steht in weißer Schrift auf grün-pinkem Design: „Wissenswertes für SchulleiterInnen, Lehrkräfte und Eltern schulpflichtiger Kinder“.

49 Seiten ist die Broschüre lang, es geht um den Schulunterricht in der Corona-Pandemie – und zunächst kann das alles vielleicht wie eine professionelle Handreichung für Schulpersonal anmuten.

In Wahrheit allerdings haben bekannte Unterstützer der „Querdenker“-Bewegung und Corona-Leugner das Schriftstück produziert. Und nun betreiben sie anscheinend auch im Rheinland richtig Aufwand, um es zu verteilen.

Wie aus einem internen Rundbrief an alle öffentlichen und privaten Schulen der Bezirksregierung Köln vom 10. Dezember hervorgeht, der dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegt, sollen Unbekannte nicht-frankierte Sammelumschläge an Schulen abgegeben haben, in denen jeweils weitere Umschläge erhalten waren. Persönlich adressiert an jede einzelne Lehrkraft der Einrichtung. Darin: Ebenjene Broschüre.

Durch die persönliche Adressierung an die einzelne Lehrkraft können die Schulleitungen diese Broschüren nicht selbständig vernichten“, heißt es weiter in dem Schreiben der Bezirksregierung. Man bitte deshalb das Kollegium zu informieren, die Informationen darin mit äußerster Vorsicht zur Kenntnis zu nehmen, „da die Inhalte sowohl der Rechtslage in NRW als auch dem allgemeinen Stand der Wissenschaft widersprechen.“

Auf Anfrage teilt die Bezirksregierung Köln mit, man habe am vergangenen Dienstag durch erste Hinweise von Schulen aus dem Raum Bonn/Rhein-Sieg von der Broschüre erfahren. Für die persönliche Adressierung seien wohl die Namen der Lehrkräfte schlicht den Webseiten der Schulen entnommen wurden.

Zumindest sei kein Fall bekannt, in dem eine Lehrkraft die Broschüre an ihre Privatadresse habe zugestellt bekommen. Auch gäbe es keine Anhaltspunkte dafür, dass jemand Personaldaten von den Servern der Schulaufsicht abgefragt habe.

Autor ist kein Unbekannter

Als Autor wird in der Broschüre selbst „eine Gruppe betroffener Eltern“ genannt. Tatsächlich aber ist nach Informationen der Bezirksregierung, die sich mit weiteren Recherchen dieser Redaktion decken, Bodo Schiffmann der Urheber. Schiffmann ist HNO-Arzt aus Sinsheim und einer der bekanntesten Unterstützer der „Querdenker“-Bewegung.

Im Internet hat er sich durch corona-skeptische Youtube-Videos einen Namen gemacht. Im Oktober hatte die Polizei seine Praxisräume durchsucht, weil er im Verdacht steht, Patienten ohne medizinische Gründe durch Atteste vom Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung befreit zu haben.

Der NRW-Verfassungsschutz teilt auf Anfrage dieser Zeitung mit, die Broschüre selbst weise zwar keine rechtsextremen Bezüge auf, auch in solchen Kampagnen läge aber die Gefahr, „dass durch gezielte Desinformation die Verunsicherung in der Bevölkerung durch die Corona-Pandemie geschürt wird.“ Vor allem Rechtsextremisten würden diese Verunsicherung dann nutzen, um staatliche Entscheidungen in Frage zu stellen und insbesondere antisemitische Verschwörungstheorien über die Verursacher der Pandemie zu verbreiten.

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In der Broschüre, die nach Recherchen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ schon seit Ende September im Umlauf ist, finden sich viele bereits bekannte Argumente, vor allem gegen die Maskenpflicht an Schulen. Viele davon widersprechen dem wissenschaftlichen Konsens der Fachleute.

Ein Beispiel: Es wird behauptet, das Tragen einer Maske führe zu einem zu hohen CO2-Gehalt im Blut, was dann unter anderem Hirnfunktionen der Kinder schädigen könnte. Tatsächlich sind Masken natürlich nicht völlig abgedichtet, an den Seiten und oberhalb kommt noch Luft an den Mund. Brillenträger merken das allein daran, dass ihre Gläser beim Atmen beschlagen.

Ein Mensch hat pro Minute ein Atemvolumen von acht Litern. So viel passt gar nicht zwischen Mund und Maske. Auch wird in der Broschüre der Mythos weitergetragen, eine Covid-19-Erkrankung sei kaum etwas anderes als eine Grippe, 95 Prozent machten „diese Krankheit leicht durch oder hätten gar keine Symptome“.

Tatsächlich beziffert das Bundesgesundheitsministerium die Zahl der schweren Verläufe einer Covid-19-Erkrankung mittlerweile auf bis zu elf Prozent. Von den stationär behandelten Covid-Patienten sind in Deutschland während der ersten Welle laut einer Untersuchung ein Fünftel gestorben. Von denen, die beatmet werden mussten, sogar über die Hälfte.

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