Streit der WocheMüssen die Abiprüfungen wegen Corona leichter werden?

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Müssen die Abiturprüfungen leichter werden, weil wegen Corona Schulstoff verpasst wurde?

  • Jede Woche thematisiert die Redaktion des „Kölner Stadt-Anzeiger“ eine Streitfrage. Diesmal: Müssen die Abiturprüfungen leichter werden, weil wegen Corona Schulstoff verpasst wurde?
  • Ja, sagt Berit Krüger: Schülerinnen und Schüler wollen keine Vorteile. Sondern einen Ausgleich für die Nachteile, mit denen wir zu kämpfen haben.
  • Nein, sagt Prof. Axel Plünnecke: Durch ein niedrigeres Niveau bei den Abiturprüfungen würden die Noten systematisch verzerrt.

Pro: Berit Krüger: Schülerinnen und Schüler wollen keine Vorteile. Sondern einen Ausgleich für die Nachteile, mit denen wir zu kämpfen haben. Die Frage ist eigentlich falsch gestellt. Wir wollen kein leichteres Abitur, sondern ein faires! Sollen in diesem Abiturjahrgang die gleichen „Spielregeln“ gelten wie in den Jahren zuvor? Ist das überhaupt fair? Corona hat vieles in unserem Leben verändert und doch scheint das Wort „Veränderung“ oder gar „Anpassung“ ein Fremdwort zu sein, wenn es um Schule und insbesondere das Abitur geht.

Ein zentrales Abitur unterstellt gleiche Bedingungen für alle Schülerinnen und Schüler, das ist in dieser Zeit nicht leistbar. An manchen Schulen wird konsequent Online-Unterricht per Videokonferenz erteilt, an anderen Schulen setzt man vor allem auf autodidaktisches Lernen im Homeschooling.

Jasmin aus Köln hat jeden Tag Videokonferenzen, diese sind bei Maria aus Duisburg allerdings eine Ausnahme. Trotzdem sollen beide die gleiche Abiturklausur schreiben. Gerecht ist das nicht.

Alles zum Thema Armin Laschet

Ungerechtigkeiten sind nicht zu vermeiden

Jede Schule handhabt die momentane Situation sehr unterschiedlich, wobei Ungerechtigkeiten nicht zu vermeiden sind, beispielsweise gibt es Präsenzunterricht nur, wenn ausreichend Kapazität der Schule gegeben ist, was Lehrer, Räume und Technik betrifft. Welche Themen während des Distanzlernens gelernt werden müssen, entscheidet jede Schule selbst. Schwerpunkte werden unterschiedlich gesetzt. Schülerinnen und Schüler, die in Quarantäne müssen, haben einen zusätzlichen Nachteil. Das liegt daran, dass es keine konkrete Regelung darüber gibt, wie mit Schülerinnen und Schülern in Quarantäne umgegangen werden soll.

Aus dem „Gleichgewicht“ gerutscht

Max aus Oberhausen teilt sich einen Laptop mit seinen drei Geschwistern und kann nur schwer auf alle Lerninhalte pünktlich zugreifen. Familien- beziehungsweise Wohnverhältnisse werden komplett außer acht gelassen. Es gibt oft keinen alternativen Rückzugsort und Ruhe und Frieden sind auch nicht unbedingt der Normalfall.

Was läuft schief bei der Digitalisierung der Schulen in der Region? Antworten gibt es im Podcast „Schul-Check“:

Die Alltagsstruktur eines „normalen“ Schultages, fällt (teilweise) weg, wir müssen uns eigenständig strukturieren und motivieren. Es gibt keine oder kaum Möglichkeiten, Rückfragen an Lehrkräfte zu stellen oder sich mit Mitlernenden auszutauschen. Die psychische Belastung, die dabei entsteht wird gekonnt ignoriert, dabei wird gerade dieser Aspekt immer wichtiger. Junge Menschen sind überfordert, hilflos und werden alleine gelassen.

An ihrer Schule läuft es gut – oder etwas gewaltig schief? Schreiben Sie uns!

Sie unterrichten an einer Schule und wollen, dass wir über Missstände oder ein besonders gut laufendes Projekt berichten? An der Schule ihres Kindes passiert seit einer Ewigkeit nichts in Sachen Fortschritt?

Für alle Fragen, Themenanregungen und Kritik rund um das Thema Schule jeglicher Schulform haben wir ein offenes Ohr! Schreiben Sie uns an schule@dumont.de und wir prüfen, ob und wie wir darüber berichten. Auf Wunsch selbstverständlich anonym. 

Wo ist dabei noch die Gerechtigkeit und vor allem die Rechtfertigung, ein zentrales Abitur zu schreiben? Ganz zu schweigen von der Ungewissheit, die einen ständig umgibt, wie es weitergehen soll, nach dem Schulabschluss. Das Zentralabitur, welches wir vor der Pandemie ohne erhebliche Probleme bewältigen konnten, baut auf gleichen äußeren Bedingungen auf, die in Zeiten der Pandemie nicht gegeben sind. Das Abitur ist komplett aus dem „Gleichgewicht“ gerutscht, was die bereits herrschende Ungerechtigkeit in unserem Bildungssystem verstärkt.

Ständig wird von einem „vergleichbaren“ Abitur gesprochen, das durch ein Zentralabitur sichergestellt werden soll. Dabei ist die momentane Situation alles andere als vergleichbar mit allem was bisher war. Wir wollen keine Vorteile. Sondern einen Ausgleich für die Nachteile, mit denen wir zu kämpfen haben.

Berit Krüger ist Abiturientin an der Gesamtschule Rodenkirchen und Verfasserin eines offenen Briefes an NRW-Ministerpräsident Armin Laschet und Schulministerin Yvonne Gebauer.

Contra: Axel Plünnecke: Durch ein niedrigeres Niveau bei den Abiturprüfungen würden die Noten systematisch verzerrt

Für die Abiturientinnen und Abiturienten sind Abiturnote und damit die Abiturprüfungen von besonderer Bedeutung. Um die Nachteile des aktuellen Jahrgangs aufgrund der Schulschließungen und des fehlenden Präsenzunterrichts zu mindern, könnte das Niveau der Abiprüfungen gesenkt werden. Das wäre jedoch falsch, weil hierdurch die Noten systematisch verzerrt würden. Dies könnte bei der Studienplatzvergabe die Vergleichbarkeit der Noten von früheren Absolventen oder Abiturienten aus anderen Bundesländern erschweren. Ferner könnte eine Absenkung des Niveaus der Prüfungen zu einem geringeren Ruf des „Corona-Abiturs“ führen, auch wenn dies nicht gerechtfertigt wäre. Darunter könnten insbesondere Schülerinnen und Schüler aus bildungsfernen Haushalten leiden, da dann die Bedeutung außerschulischer Aktivitäten und Netzwerke für den weiteren Studien- und Berufsweg zunehmen könnte.

Zur Eindämmung der Pandemie wurden im Frühjahr 2020 und in diesem Winter die Schulen für den Präsenzunterricht geschlossen. Empirische Studien zeigen, dass die Schülerinnen und Schüler trotz des Fernunterrichts weniger lernen konnten. Dabei sind die Rückstände bei Kindern in Grundschulen größer als bei Jugendlichen. Die Untersuchungen zeigen ferner, dass Kinder aus Akademikerhaushalten im Schnitt weniger stark zurückgefallen sind als Kinder aus bildungsfernen Haushalten und dass an Gymnasien die digitale Ausstattung insgesamt besser war und ist als an den anderen weiterführenden Schulen.

Langfristig wichtige Kompetenzen

Dennoch bedeuten die Schulschließungen auch für den aktuellen Abijahrgang erhebliche Erschwernisse und Belastungen. Dabei leisten die Schülerinnen und Schüler Enormes, um mit den schwierigeren Bedingungen klar zu kommen. Selbstmotivation und Selbstorganisation stellen zusätzlich zum Schulstoff Herausforderungen dar, führen aber auch zu langfristig wichtigen Kompetenzen.

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Die Landesregierung hat beschlossen, die Nachteile zu verringern, indem der Beginn der Abiprüfungen um neun Tage verschoben wird und in dieser schulfreien Zeit eine durch Lehrkräfte unterstützte, verpflichtende Vorbereitung in den Prüfungsfächern stattfindet. Zudem werden für die Prüfungen zusätzliche Aufgaben erarbeitet, damit solche Aufgaben ausgewählt werden können, die besser zum erteilten Unterricht passen.

Zehn Tage in den Osterferien

Es ist fraglich, ob die neun zusätzlichen Vorbereitungstage und die größere Breite der Aufgabenschwerpunkte allein reichen, die fehlenden Präsenztage voll ausgleichen zu können. Daher könnte es über diese Maßnahmen hinaus sinnvoll sein, dass die Schulen in den Osterferien an weiteren zehn Tagen zusätzliche Unterstützungsangebote in den Prüfungsfächern machen. Insgesamt könnte man dann – ohne Einbußen bei den Noten – durch mehr Unterstützung vermeiden, das Niveau der Prüfungsaufgaben zu senken.

Hören Sie in diesem Podcast, wie sich die Ausbildung von Lehrkräften ändern sollte:

Langfristig könnte der Abiturjahrgang sogar durch die gestiegenen digitalen Kompetenzen, Selbstmotivation und Selbstorganisation profitieren. Grundsätzlich sollten diese Kompetenzen und Fähigkeiten künftig stärker gefördert und bei der Bewertung von Abschlüssen entsprechend abgebildet werden.

Prof. Axel Plünnecke ist Leiter des Kompetenzfeldes Bildung, Zuwanderung und Innovation am Institut der deutschen Wirtschaft Köln.

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