SehbehinderteLokalzeitung für die Ohren

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Alexander Schüren, Petra Hunsmann und Diedrich Naumann (v.l.) lesen ehrenamtlich Zeitungsartikel ein. Sadullah Dogan steuert die Technik. (Bild: Hennes)

Alexander Schüren, Petra Hunsmann und Diedrich Naumann (v.l.) lesen ehrenamtlich Zeitungsartikel ein. Sadullah Dogan steuert die Technik. (Bild: Hennes)

Köln – Petra Hunsmann holt tief Luft. Das rote Lämpchen leuchtet auf. Ein weiterer Atemzug, und sie beginnt zu lesen. Sie spricht langsam und deutlich. Nur einmal stockt sie kurz, bevor sie den restlichen Zeitungsartikel flüssig zu Ende liest. Das rote Lämpchen geht aus. Diedrich Naumann nickt dem Techniker hinter der Glasscheibe zu, nimmt seinen Text hoch und wartet darauf, dass das rote Licht wieder aufblinkt und er zu lesen beginnen kann. Während der 76-Jährige den Artikel ins Mikrofon spricht, überfliegt Alexander Schüren das Interview, das vor ihm auf dem Tisch liegt. Er ist als nächstes dran. So geht es immer reihum, etwa zwei Stunden lang, bis zwischen 40 und 50 Artikel aufgenommen sind.

Die drei Sprecher gehören zur Redaktion Köln des Vereins „ATZ – Hörmedien für Sehbehinderte und Blinde“, die wöchentlich die akustische Zeitung „Köln-Kompakt“ herausbringt. Ein Team von acht Technikern und 35 Sprechern stellt die Zeitung mit ausschließlich lokalem Inhalt ehrenamtlich her. Jeden Freitag treffen sich drei Sprecher und ein Techniker in einem kleinen Tonstudio im Keller eines Mehrfamilienhauses in Niehl, um die neueste Ausgabe aufzunehmen.

Vier Redakteure sind im Zwei-Wochen-Wechsel dafür verantwortlich, Artikel aus „Kölner Stadt-Anzeiger“ und „Kölnische Rundschau“ auszuwählen. „Wir konzentrieren uns auf lokale Themen. Denn Blinde können das lokale Tagesgeschehen nur eingeschränkt verfolgen. Bundespolitische Nachrichten erfahren sie hingegen über andere Medien wie Radio oder Fernsehen“, sagt Hans Tüllmann, der „Köln-Kompakt“ 1978 mit gegründet hat. Das Tonstudio wurde in Eigenarbeit errichtet und durch Spenden finanziert. Die Kellerräume stellt die GAG „zu einem Freundschaftspreis“ zur Verfügung.

Feste Struktur

Wie jede Zeitung folgt „Köln-Kompakt“ einer festen Struktur. Zuerst kommen Nachrichten des Blinden- und Sehbehindertenvereins, dann die Ressorts Lokalpolitik, Medizin und Kölner Wirtschaft. „E kölsch Verzällche“, das die Akademie för uns kölsche Sproch“ der Redaktion seit 1994 zur Verfügung stellt, und Veranstaltungstermine bilden den Abschluss der Akustik-Zeitung. „Den Sport haben wir rausgeschmissen, weil die Ergebnisse einige Tage später niemand mehr interessiert“, sagt Tüllmann. Die Redakteure sichten die beiden Tageszeitungen jeweils von freitags bis donnerstags, schneiden ausgewählte Artikel aus und erstellen einen Ablaufplan. Angelika Kühn, arbeitet als Redakteurin, Sprecherin und sitzt gelegentlich auch als Technikerin hinterm Mischpult.

„Seit zwei Jahren arbeiten wir digital“, sagt Tüllmann. Vorher wurde die Zeitung auf einer Kassette aufgenommen. Nach der Aufnahme wird die CD beim ATZ in Holzminden vervielfältigt und an die rund 50 Abonnenten verschickt. Die aktuelle Zeitung kann ab Montagnachmittag auch im Internet heruntergeladen werden.

Die Redaktion verwendet das für die Blindenpresse international einheitliche System „Daisy“. Mit einem entsprechenden Abspielgerät sind für die hörgeleitete Bedienung nur zwei Tasten nötig. „Nach dem Einlegen der CD ist ein Inhaltsverzeichnis zu hören. Mit den Tasten können die Nutzer zwischen den einzelnen Artikeln springen“, erklärt Tüllmann. Die CD könne aber auch über einen MP-3-fähigen CD-Spieler gehört werden. Die meisten Abonnenten wohnen in Köln und Umgebung. Ein Hörer lebt sogar in Kanada und bezieht die Blindenzeitung seit mehr als 15 Jahren.

„Seit der Gründung ist noch nie eine Ausgabe ausgefallen“, berichtet Angelika Kühn nicht ohne Stolz. „Im Sommerloch hangeln wir uns irgendwie durch – wie die regulären Tageszeitungen eben auch. In anderen Zeiten könnten wir fünf Stunden aufnehmen.“ Die Artikel werden unverändert und ungekürzt vorgelesen. Bei längeren Reportagen teilen sich die Sprecher den Text untereinander auf. „Grobe Versprecher schneiden wir raus und nehmen sie neu auf. Kleine Verhaspler bleiben aber drin. Wir sind schließlich kleine Profisprecher“, sagt Kühn.

In dem kleinen Tonstudio sind Wände und Türen mit dunkelgrauem Schaumstoff gepolstert. Petra Hunsmann, Diedrich Naumann und Alexander Schüren sitzen im Kreis um einen kleinen Tisch herum. Von der Decke hängt ein Schlauch herunter, der an einen Duschschlauch erinnert, und an dem drei Mikrofone befestigt sind. Die einzigen Hilfsmittel der Sprecher sind ein Aussprachewörterbuch, Wasser und Hustenbonbons. Petra Hunsmann hat nach ihrer Pensionierung als Lehrerin ein Ehrenamt gesucht: „Ich lese gerne und habe in der Schule früher Vorlesewettbewerbe organisiert.“ Auch Diedrich Naumann bereitet das Vorlesen viel Spaß: „Zuhause lese ich auch häufig laut für mich selbst, auch um zu üben. Vieles klingt laut schöner“, sagt der 76-Jährige. Petra Hunsmann würde den Blinden am liebsten von Angesicht zu Angesicht vorlesen. „Das wäre weniger anonym.“

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