Serie - SchlafstörungenEine Nacht im Schlaflabor

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Unsere Autorin im Schlaflabor der Klinik in Köln-Merheim. (BILD: HENNES)

Unsere Autorin im Schlaflabor der Klinik in Köln-Merheim. (BILD: HENNES)

Wie schläft es sich in einem Schlaflabor? Vor allem ruhig. In den „Genuss“ dieses Schlafplatzes kommt, wer unter Schlafstörungen leidet und ins Schlaflabor überwiesen wird. In Köln und Umgebung gibt es einige dieser Einrichtungen, darunter auch die des Klinikums in Köln-Merheim unter Leitung des Schlafmediziners Dr. Jürgen Beier.

Die Schlafzimmer sind keine Luxusherbergen, eher zweckdienliche Einzelzimmer. Kein Telefon, kein Fernseher, kein Wecker. Die isolierten Fenster dämmen die Geräusche der Außenwelt, lichtdichte Jalousien lassen keinen Strahl der Straßenlaterne durch, die Türen schotten ab vor dem Lärm auf den Fluren. Für den Schläfer also die besten Voraussetzungen für eine störungsfreie Nacht; aber nur, wenn er sich damit abgefunden hat, dass er komplett verkabelt wird, die Kamera alles sieht und aufzeichnet. Selbst für den Gang zum stillen Örtchen muss oder darf man das Zimmer nicht verlassen.

Dutzende Kabel

Vor dem Schlaf, der sich hoffentlich trotzdem einstellt, kommt das Kabel. Gleich in dutzendfacher Ausfertigung. Mit einer speziellen Paste wird die Haut präpariert, damit die Elektroden während der Nacht pappen bleiben. „Wir fangen unten an“, meint Andreas Schön, 25, der sein Medizinstudium abgeschlossen hat und derzeit im Merheimer Schlaflabor arbeitet. Schön hat einen beruhigenden Unterton in seiner Stimme, während er Kabel für Kabel am Körper befestigt: „Das merken Sie nachher gar nicht mehr.“ Man mag's ihm nicht so recht glauben.

Um Beinbewegung und die Anspannung der Muskulatur zu messen, kleben Elektroden auf der Wade. Andere Elektroden registrieren den Herzschlag. Später wird auf den Messtabellen im Computer genau zu erkennen sein, zu welcher Uhrzeit der Herzschlag schneller wird, wann und wie lange der Körper nachts Stress hatte.

Andreas Schön hat sich am Schlaflabor-Patienten schon ein gutes Stück hochgearbeitet. Ein Gurt liegt um den Brustkorb, um die Lungenatmung zu beobachten. Gurt Nummer zwei rollt sich um den Bauch und „kontrolliert Bauchatmung und Ausdehnung des Bauchs“, sagt Schön. Entgegen allen gängigen Schönheitsidealen ist es nämlich gut, wenn der Bauch sich nachts dehnt. Denn das belegt eine tiefe Atmung. Macht nichts - sieht eh keiner, und aufgezeichnet werden ja nur die Daten.

Auch dann, wenn die Atmung nachts immer wieder kurzfristig aussetzt und der Mensch krampfhaft versucht, Luft zu holen. Dann sprechen Schlafmediziner von Schlafapnoe, eine der am meisten verbreiteten und gefährlichen Schlafstörungen. Diese Atemstillstände wecken den Patienten und verursachen Stressreaktionen des Körpers. Das geschieht natürlich alles unbewusst und kann mehrmals pro Stunde der Fall sein, was eine enorme Belastung für den Menschen bedeutet.

Alle Messwerte übertragen Elektroden, Mikrofone und Kabel am Körper des Schlaflabor-Patienten, dem vor der Nachtruhe noch einiges bevorsteht. Ein Mikrofon wird an den Hals geklebt und leitet jeden Schnarcher und auch Dauersägen schonungslos weiter. Ein anderer Sensor pappt am Rücken und wird peinlich genau registrieren, ob der Schläfer am liebsten in der Rückenlage schnarcht oder dafür auch andere Positionen einnimmt. Da jeder Mensch sich in der Nacht bis zu 40 Mal bewegt und auch seine Schlafposition verändert, kommt der Sensor kaum zur Ruhe.

Elektroden im Gesicht

Wer denkt, dass er damit schon komplett vermessen sei, der irrt gewaltig. Der Kopf ist noch frei - aber nicht mehr lange. Elektroden im Gesicht werden so platziert, dass sie die Bewegung der Augen in den Traumphasen wiedergeben. Gemessen wird zudem auch, was Unter- und Oberkiefer in der Nacht treiben: Knirscht der Schläfer mit den Zähnen, reibt er die Zahnflächen aneinander, zeigen sich Stress-Symptome, steht der Kiefer unter Anspannung? Und das „letzte Geheimnis“ - das der Hirnaktivitäten während des Schlafs - lüften kleine Elektroden hinter jedem Ohr und zwei Messpunkte auf dem Kopf.

Tröstlich nur, dass es mittlerweile möglich ist, die Elektrode im Haar mit Gipspaste zu befestigen. Noch vor Jahren wurden den Schlaf-Patienten kleine Inseln aus der Haarpracht rasiert, um die Messknöpfe zu befestigen. Beim verkabelten Möchtegern-Schläfer machen sich so langsam ein Gefühl der Hilflosigkeit und eine große Portion Zweifel breit. „Mit diesem Kabelsalat kann ich auf keinen Fall schlafen, das reiß ich mir doch alles ab.“ „Bestimmt nicht, das klappt, Sie werden sehen“, beschwichtigt Andreas Schön, bevor er das hervorzaubert, was man nun wirklich nicht mehr will: je ein kleines Röhrchen für jedes Nasenloch, verbunden mit einem dünnen Schlauch, um den Atemfluss zu messen.

Ein Käppchen, über eine Fingerkuppe gestülpt, ist auch noch im Überraschungspaket und wird den Sauerstoffgehalt im Blut angeben. Liest man später in den Aufzeichnungen, dass der Sauerstoffgehalt bei 94 bis 97 Prozent liegt, ist man irgendwie stolz, auch wenn man nichts dazu beigetragen hat. Unter 90 Prozent sollte der Wert nicht liegen, denn das schafft auf Dauer gesundheitliche Probleme.

Der „Kabelbaum-Patient

Mittlerweile fühlt sich selbst der geduldige Patient wie ein Außerirdischer, denn die Anzahl der Elektroden und Kabelstränge hat ein beachtliches Ausmaß angenommen. Das geht nicht gut, denkt man. Einmal hinlegen, zweimal drehen, und dann liegt der Salat auf dem Betttuch. „Kann gar nicht passieren“, sagt Schön, „wir machen nämlich jetzt aus allen Drähten einen schönen Kabelbaum, und damit können Sie prima schlafen.“

Das sagt einer, der dann die Zimmertür hinter sich zuzieht und ohne Kabel am Körper ins Bett geht. Der „Kabelbaum-Patient“ macht noch einen letzten mauligen Einwand, dass er mit dieser Ausrüstung noch mehr Schlafstörungen haben wird. Schön weiß auch darauf eine Antwort: „Lieber zwei Nächte so durchhalten, als später ernsthaft zu erkranken oder einen Schlaganfall zu bekommen.“

Spätestens jetzt legt sich der komplett überwachte Patient brav ins Bett. Wird schon nicht so schlimm werden - oder? Vor allem die Aussicht, nach einer, aber höchstens drei Nächten im Schlaflabor wieder gut und erholsam schlafen zu können, lässt den Schläfer Elektroden und Drähte dann doch noch vergessen. Und eh man sich's versieht, ist man sanft eingeschlummert und hat die Nacht durchgeschlafen - trotz der ganzen Kabel.

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