Sibel Kekilli„Türkische Mädchen müssen kämpfen”

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Die türkischstämmige Schauspielerin Sibel Kekilli. (Bild: dpa)

Die türkischstämmige Schauspielerin Sibel Kekilli. (Bild: dpa)

Frau Kekilli, gab es in Ihrem Umfeld je einen Ehrenmord?

SIBEL KEKILLI Zum Glück nicht, ich kenne diese Fälle nur aus der Zeitung. Neulich las ich vom angeblichen Selbstmord einer 12- Jährigen. Die Familie kam immer stärker unter Verdacht, sie umgebracht zu haben. Auslöser soll ein Zettel von ihr gewesen sein, auf dem stand: „Ich liebe dich.“ Der Lehrer hatte ihn den Eltern zugesteckt. Die Schwester hatte sich bereits 1997 erhängt. Das ist doch unglaublich, dass ein unschuldiges Kind, das gerade anfängt, für Jungs zu schwärmen, vom Lehrer bei den Eltern verraten wird und sterben muss.

Ihre Figur in „Die Fremde“ wird von ihrer Familie verstoßen, weil sie aus einer gewalttätigen Ehe flüchtet und die Scheidung will. Was hat Ihnen der Dreh dieses Films abverlangt?

KEKILLI Das war eine sehr intensive Zeit. Ich spiele Umay, eine junge Frau, die mit ihrem Sohn nur ein normales Leben führen will - das ist alles. Das Thema ist mir nahe gegangen, weil ich mich seit 2005 bei „Terre des Femmes“ gegen häusliche Gewalt und Ehrenmorde engagiere. Wenn Umay mit ihrem Sohn an der Hand von den eigenen Eltern vor 250 Hochzeitsgästen abgewiesen wird - das x-mal zu wiederholen, war hart.

Sie sind in Heilbronn geboren, haben türkische Eltern und einen deutschen Pass. Können Sie Rachetaten, die aus Culture Clashes hervorgehen, erklären?

KEKILLI Ich habe kein Verständnis dafür. Jeder sollte sein Leben leben dürfen. Nur weil man dieselbe Nationalität hat, kann niemand dem anderen sagen: „Sie muss aber so leben, wie wir es wollen“. Mich macht es sehr betroffen, wenn ich über das ganze Leid lese, das sich Menschen zufügen.

Können Sie die andere Seite nachvollziehen, die brüderlichen „Ehrenmörder“ und Väter, die die Tochter lieber vom Ehemann gepeinigt sehen als geschieden?

KEKILLI Ich möchte nichts verallgemeinern. „Die Fremde“ ist so gelungen, weil es keine eindeutige Schuldzuweisung gibt, kein Schwarzweißdenken. Alle stecken in einem Dilemma und werden in die Ecke getrieben - auch die Brüder und der Vater, die von den Verwandten beschimpft werden. Es war mir wichtig, dass man nicht sagt: „Ja klar, hier geht's um böse Brüder und das unterdrückte Mädchen.“ Es gibt durchaus Jungs, die ihre Schwester verteidigen. Aber die gelten in deren Augen oft nicht als Mann.

Fühlen Sie sich zweimal einer Kultur zugehörig oder sind Sie in zwei Kulturen „Die Fremde“?

KEKILLI Ich fühle mich in der einen Kultur fremder als in der anderen. Ich finde es toll, eine türkische Kultur zu besitzen. Aber der deutschen bin ich, glaube ich, näher.

Was an der türkischen Kultur ist Ihnen nah?

KEKILLI Es gibt wunderbare Bräuche und Traditionen, die Hochzeiten sind großartig. Oder der Zusammenhalt vieler Familien, einer ist für den anderen da. Ich bin da egoistisch: Ich nehme mir aus jeder Kultur das Beste heraus.

Ihre Eltern kamen 1970 als Gastarbeiter hierher. Waren sie modern eingestellt?

KEKILLI Ich möchte über mein Privatleben nicht reden.

Am Tag nach Fatih Akins Berlinale-Sieg 2004 wurden Sie als Pornodarstellerin geoutet. Ihre Kommentare dazu sind sogar in Wikipedia zu lesen.

KEKILLI Auch dazu will ich mich nicht mehr äußern.

Wie haben Sie als Kind entdeckt, dass es Diskrepanzen zwischen der deutschen und der türkischen Kultur gibt?

KEKILLI Ich habe mitgekriegt, wie sich türkische Mädchen vor Schulbeginn heimlich geschminkt und umgezogen haben. Das ist ein ewiges Katz-und- Maus-Spiel. Zu Hause hätte man auch nie gezeigt, wenn man Liebeskummer hatte.

Das oberste Diktat ist das der Jungfräulichkeit.

KEKILLI Der erste Freund soll der Ehemann sein. Wenn Türken eine Ehe schließen, ist der Gedanke „Das muss für immer sein“ doppelt so ernst gemeint. Ich kenne viele, die sich schnell wieder trennen, weil es nicht funktioniert. Man heiratet ja auch sehr früh.

Ist Glück dann fast illusorisch?

KEKILLI Türkische Mädchen müssen einfach mehr kämpfen. Viele müssen sich entscheiden, ob sie heiraten und sich den Eltern unterordnen, dabei aber unglücklich sind - oder ihr eigenes Leben führen, auch wenn die Eltern da nicht mitziehen. Die Jungs heiraten die Frau, die die Eltern ausgesucht haben, haben aber nebenbei vielleicht noch eine Geliebte. Wenn so etwas herauskommt, heißt es nur: „Das ist ein Mann, das ist okay“. Wenn das ein Mädchen machen würde, würde das nicht geduldet.

Muss man für ein selbstbestimmtes Leben sogar seine Eltern aufgeben?

KEKILLI Wenn es um Leben und Tod geht, ja. Viele Morde sind passiert, weil die Mädchen immer wieder zurück nach Hause gingen. Ich kann das verstehen. Ich kann niemandem sagen: „Brich mit deiner Familie!“ Natürlich hofft man, gemeinsam eine Lösung zu finden.

Haben Sie wieder Kontakt zu Ihren Eltern?

KEKILLI Wie gesagt: über mein Privatleben spreche ich nicht.

Kann man von außen sinnvoll intervenieren, z.B. beim Verdacht auf Zwangsheirat?

KEKILLI Wir haben viel zu lange weggeschaut. Als ich 14 war, fehlte plötzlich ein Mädchen in der Klasse. Ich habe nie erfahren, was passiert ist. Ihre Brüder kamen weiter zur Schule. Am besten redet man mit einer Bezugsperson, auf die auch die Eltern hören, z. B. einem türkischstämmigen Lehrer.

2006 haben Sie auf einer Veranstaltung der Zeitung „Hürriyet“ in einer Rede gesagt: „Ich habe selbst erlebt, dass körperliche und seelische Gewalt in einer muslimischen Familie als normal angesehen wird. Leider gehört Gewalt im Islam zum Kulturgut.“

KEKILLI Sie meinen, als der türkische Generalkonsul aufgestanden ist und den Saal verlassen hat?

Genau.

KEKILLI Es gibt türkische Redensarten wie „Wo geschlagen wird, wachsen Rosen“. In den 70ern waren auch in deutschen Familien Klaps und Ohrfeige noch normal. Aber ich werde echt sauer, wenn jemand behauptet, dass Ehrenmorde im Koran stehen. Das stimmt so nicht.

Sind Sie Moslemin?

KEKILLI Ich fühle mich keiner Religion zugehörig. Aber ich glaube fest daran, dass uns etwas lenkt.

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