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So arbeitet ein Diversity-Coach„Einige Vorstände haben Angst vor Veränderung"

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AnnaEngers

Anna Engers berät Unternehmen auf dem Weg in die Diversität.

Es hat nicht mehr viel gefehlt und Anna Engers hätte aufgegeben. Das war vor drei Jahren. Da war sie bereits sieben Jahre lang durch die Republik getingelt und hatte vor allem deutschen Rechtsanwaltsgroßkanzleien versucht zu erklären, wie wichtig Diversity ist. Doch meist wurde sie nur deshalb für Vorträge gebucht, damit die männlichen Chefs einen Punkt auf der Agenda lästiger Notwendigkeiten abhaken konnten.

Diversity? Machen wir jetzt auch. Ein wirkliches Interesse, die Unternehmenskultur zu ändern, hin zu Toleranz, Offenheit, Vielfalt habe es da nur selten gegeben. Wie als Beweis feuerte so mancher beim abschließenden Zwiegespräch noch einen Spruch zum Augenrollen raus. Zum Beispiel diesen: „Frau Engers, mit Frauen kenn’ ich mich aus. Ich hab zuhause eine.“ Irgendwann sei dann der Moment gekommen, wo Anna Engers glaubte, das wird nichts mehr mit der Diversity, sagt sie. „Verstanden habe ich das nie. Es stecken so viele Chancen für die Unternehmen drin. Zufriedene Mitarbeitende bedeuten zugleich auch wirtschaftlichen Erfolg.“

Diversity ist nicht: Eine Frau im Team und einen Homosexuellen

Der Diversity-Coach aus Frankfurt am Main  – den männlichen Artikel im Deutschen nimmt sie bei der Berufsbezeichnung ausnahmsweise hin – traf auf Chefs, die überzeugt waren, ein modernes Unternehmen zu führen, weil sie zwei Frauen eingestellt haben, einen Homosexuellen beschäftigen und irgendjemanden mit Migrationshintergrund ins Team geholt haben. „Ich rede gegen eine Wand“, habe sie damals gedacht.

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Doch nun ist das Feuer in Engers wieder entfacht. Die Pandemie hat Diversity zu einem ungeahnten Aufschwung verholfen. Warum, das weiß auch Engers nicht. Nach dem Sommer 2020 aber lief das Mail-Postfach über. Seitdem sind Coaches wie Engers wieder gefragt. Workshops, 45-minütige Impulsvorträge über das Gemeinsame im Anderen. „Die Firmen wollen sich verändern. Diesmal aber nehme ich es ihnen auch ab.“

„Ich wurde ich immer komisch angeschaut, wenn ich um 16 Uhr gegangen bin"

Vor zehn Jahren hatte die 47 Jahre alte Juristin ihren Job bei einer internationalen Kanzlei aufgegeben, um sich nur noch dem Thema der Vielfalt im Arbeitsumfeld zu widmen. Davor hatte sie zwei Kinder bekommen, ging in Teilzeit, um sich besser um den Nachwuchs kümmern zu können. Ihr Chef sagte zwar, das sei kein Problem. „Trotzdem wurde ich immer komisch angeschaut, wenn ich um 16 Uhr gegangen bin, um das Kind aus der Kita abzuholen“, sagt Engers. Sie habe damals viele hoch qualifizierte Anwältinnen erlebt, die nach der Schwangerschaft nicht wieder aufgetaucht seien, weil den Arbeitgeber weniger die Familiengründungen seiner Mitarbeiterinnen als vielmehr der bedingungslose Einsatz für die Firma interessiert hätten.

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Ende der Nuller Jahre schwappte das Thema Diversity aus den USA nach Europa. „Das ist es“, dachte Engers damals. Sie studierte zahllose Bücher zum Thema, ließ sich zum Coach und Speaker ausbilden, 2018 legte sie ein Sabbat-Jahr ein, schrieb ein Buch mit dem etwas sperrigen Titel „Komplexität von Diversity meistern“ und baute ihre Webseite um. „Lassen Sie sich mitreißen. Ich komme zu Ihnen“, steht da  nun. Engers hält Impulsvorträge, macht Workshops, wegen Corona meist digital. Diversity ist gefragt wie nie in den Chefetagen der Unternehmen.

War of Talents

Viele namhafte Firmen hat Engers in diesem Jahr schon beraten. Auffällig ist, wie viele CEOs sich den Kopf darüber zerbrechen, wie sie Talente besser sichten und unterstützen können. „Es gibt einen War for Talents. Kein Unternehmen kann sich mehr leisten, hoch qualifizierte Frauen und Menschen mit diversem Hintergrund zur Konkurrenz ziehen zu lassen“, sagt Engers.

Ihre Aufgabe sei es auch, in die Abteilungen reinzuhören, Diskriminierungen zu entdecken, wo  sie gar nicht vermutet werden. „Einigen Vorständen fällt es schwer, wenn man einen tieferen Blick ins Unternehmen wirft. Sie haben Angst vor Veränderung.“ Die Grundzutat für das Rezept eines guten Miteinanders trotz Unterschiedlichkeit ist für Engers das miteinander reden, Interesse zeigen und Gemeinsamkeiten ausloten. „So kann man Verständnis füreinander entwickeln und Konflikte schnell in den Griff bekommen.“

Befehlsketten verhindern Vielfalt

Das aber sei nur ein erster Schritt. Firmen müssen bereit sein, neue Paradigmen in der Unternehmenskultur zu etablieren, sagt Engers. Das Modell von Hierarchie und Befehlskette wie es in vielen deutschen Unternehmen noch bis heute gelebt werde, sei verbraucht. Wer Diversität nicht nur als Zertifikat im CEO-Büro begreift, der muss es mit Leben füllen und – für viele Chefs oft besonders schmerzhaft – eingeschliffene Gewohnheiten ablegen.

Engers wirbt für agile Arbeitsmethoden. In der Praxis heißt das so viel wie: Nicht der Team- oder Abteilungsleiter hat qua Position das Recht auf die Projektführung, sondern die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter mit der besten Qualifikation. Zudem müsse man weg von der personen- hin zur verhaltensimmanenten Diversity, die Menschen nicht allein in Kategorien wie unter anderem Geschlecht, ethnische Herkunft, Religion, sexuelle Ausrichtung einteilt, sondern viel mehr die Qualifikation in den Mittelpunkt stelle. „Die Strukturen müssen sich so verändern, dass Menschen ihre Fähigkeiten entfalten können und nicht in Routinen ersticken“, sagt Engers. „Das mag pathetisch klingen, aber das ist der Weg.“  

Gegenseitiger Respekt und Vertrauen

Gerade international agierende Unternehmen beschäftigen sich schon viele Jahre mit dem Thema Diversität. Viele von ihnen haben die „Charta der Vielfalt“ unterzeichnet. Dahinter verbirgt sich ein Verein, der sich unter der Schirmherrschaft der Bundeskanzlerin für ein vorurteilsfreies Arbeitsumfeld einsetzt. In der 2006 veröffentlichten Selbstverpflichtung erklären sich die Unternehmen bereit, ein „Klima des gegenseitigen Respekts und Vertrauens“ zu schaffen. Die Urkunde schließt mit dem fettgedruckten Satz: „Gelebte Vielfalt und Wertschätzung dieser Vielfalt haben eine positive Auswirkung auf unsere Organisation und auf die Gesellschaft in Deutschland.“ Jedes Jahr bündelt der Verein im „Factbook Diversity“ basierend auf Studien die wichtigsten Entwicklungen und Herausforderungen. Zum Beispiel, dass Beschäftigte motivierter sind, wenn ihre sexuelle Orientierung akzeptiert wird. Dass Ältere kein Ballast sind, sondern Jung und Alt voneinander lernen können.

Vielfältige Teams machen mehr Profit

Natürlich geht es bei Diversity auch um betriebswirtschaftliche Interessen. Sprach- und Kulturkenntnisse der Belegschaft können demnach der Schlüssel zu neuen Märkten sein und dadurch den Wert an der Börse in die Höhe treiben, heißt es im Factbook.

Das betrifft auch die Vorstandsetagen. Laut zweier 2018 und 2020 veröffentlichten Umfragen der Unternehmensberatung McKinsey steigt bei einem ethnisch und kulturell diversen Vorstand die Wahrscheinlichkeit für höheren Profit um 43 Prozent. Organisationen dagegen, die weder diverse Teams noch neue Unternehmensstrukturen fördern, berichteten von einem Rückgang von 27 Prozent.

„Chancengleichheit und Diversität sind wichtige Bestandteile der DNA unseres Unternehmens“, sagt Timotheus Piechatzek, Beauftragter für Chancengleichheit bei der Lufthansa in Frankfurt am Main. Schon in den 1990er Jahren habe sich die Airline Regeln zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf und Geschlechter-Gleichbehandlung auferlegt und später im „Code of Conduct“ festgeschrieben. Wie auch die Deutsche Bahn verfügt die Lufthansa Group über ein eigenes LGBTI-Netzwerk. Das Kürzel steht für Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender und Intersex. Für die Lufthansa steht es auch „für Akzeptanz und Wertschätzung aller Mitarbeitenden in einer diskriminierungsfreien Arbeitsumgebung, unabhängig von sexueller Orientierung und Identität“, sagt Piechatzek. Seit Juni dieses Jahres wird bei der Lufthansa sogar gegendert. „Es ist uns wichtig, jeden Menschen in der Kommunikation direkt anzusprechen und nicht nur mitzumeinen.“

Sprache ist Macht

Auch Anna Engers hält Gendersprache für einen zentralen Baustein auf dem Weg hin zu mehr Vielfalt und Gleichberechtigung. „Sprache ist Macht, das Gendern so wichtig wie die Frauenquote“, sagt sie. Allerdings bedürfe es dabei nicht immer der Genderzeichen. „Die deutsche Sprache bietet vielfältige Möglichkeiten, um gendersensibel zu kommunizieren.“ Die Mission Diversity sei auf einem guten Weg, sagt Engers. Begünstigt werde die Entwicklung durch die junge Generation, die längst einen ganz anderen Blick auf die Welt habe.  Eine Selbstverständlichkeit aber sei das nicht, warnt Engers. Mit großer Sorge blickt sie nach Polen, Ungarn und Russland, wo neoreaktionäre und rechtsgerichtete Strömungen homophobes Gedankengut und überholte Geschlechterrollen wieder salonfähig machen würden. „Wir alle profitieren von Vielfalt. Es gibt für mich eine klare Formel: Je diverser die Teams, desto besser lösen sie komplexe Probleme. Das gilt für Unternehmen genauso wie für eine ganze Gesellschaft.“

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