Sonny RollinsBesichtigung eines Lebenswerkes

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Mit traumwandlerischer Sicherheit: Sonny Rollins in Düsseldorf. (Bild: Vielz)

Mit traumwandlerischer Sicherheit: Sonny Rollins in Düsseldorf. (Bild: Vielz)

Der alte Mann hat die künstlerischen Schwergewichte seiner Generation alle überlebt: Mit Charlie Parker, Miles Davis, John Coltrane und Thelonius Monk hat Sonny Rollins nicht nur gemeinsam musiziert, sie standen sich auch menschlich nahe. Jetzt ist der 78-jährige Tenorsaxophonist die letzte noch lebende Legende des Jazz, wenn er seinen letzten Ton geblasen hat, endet eine Ära.

Das Gehen fällt ihm schwer, der einst hünenhafte Mann wirkt gebrechlich, als Sonny Rollins vorsichtigen Schrittes die Bühne der Düsseldorfer Tonhalle betritt. Das Publikum sieht er durch eine dunkle Brille, und seine Frisur hat er sich wohl beim Box-Promoter Don King abgeguckt - das schlohweiße Haar sprießt scheinbar unkontrolliert in alle Richtungen. Doch sobald Rollins sein Saxophon in den Mund nimmt, ist umgehend klar: Der Säulenheilige des modernen Jazz hat nichts von seiner Kunst verlernt. Der Ton ist kraftvoll, die Phrasierung ungemein rhythmisch, und die fünf Begleitmusiker müssen ihre Ohren ganz weit ausfahren, um auf jede Wendung des Meisters umgehend zu reagieren.

„Sonny, Please“ zum Auftakt des Konzerts ist eine typische Rollins-Nummer mit einem einfachen Thema - Achtung: Ohrwurmgefahr - im mittleren Tempo. Das Zusammenspiel mit seinem Neffen Clifton Anderson an der Posaune hat Rollins in mehr als zwei Jahrzehnten verfeinert, die beiden ergänzen sich mit traumwandlerischer Sicherheit. Der alte Mann hat das Heft in der Hand, mit kurzen Riffs startet er die Soli seiner Mitspieler, um selber ganz zum Schluss zum großen Finale anzusetzen.

Ein Lebenswerk ist jetzt zu besichtigen. Nach über 60 Jahren auf den Bühnen der Welt lebt Rollins die Musik mit jeder Faser seines Körpers. „Ich denke, in meinem Alter gibt es zwei Sorten von Künstlern. Die einen bleiben an einem gewissen Punkt stehen und sind zufrieden mit Plattitüden. Ich verstehe mich nicht so. Meine Musik ist ein fortschreitender Prozess, und ich möchte immer noch besser werden“, hat Rollins unlängst in einem Interview gesagt. So wird die Suche nach dem allabendlichen Zugang in den Sonny-Kosmos, indem das Saxophon singt und jubiliert, dass es die Zuhörer kaum noch auf den Sitzen hält, das eigentlich Spannende an Rollins' Konzerten. Es ist vergleichsweise einfach bei der unverwüstlichen Calypso-Nummer „Don't Stop the Carneval“, doch es es blitzt auch auf in der Ballade „My One and Only Love“. Rollins' Liebe zu Schlagern und Musicals bricht sich Bahn in „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“. Während seines Solos fließen zahllose Melodiezitate aus seinem Horn, sogar jahreszeitlich bedingt „O Tannenbaum“. Und wohl nur Rollins schafft es, sich während einer langsamen Ballade ein Duett mit seinem Perkussionisten Kibani Dinizulu zu liefern - mit 78 Jahren ist der Mann immer noch für Überraschungen gut.

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