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„Münzwurf-Spiel“ des 1. FC Köln„Es war ja nur das Wadenbein“

Lesezeit 5 Minuten
Der FC Liverpool jubelt über den glücklichen Sieg gegen den 1. FC Köln in Rotterdam.

Der FC Liverpool jubelt über den glücklichen Sieg gegen den 1. FC Köln in Rotterdam.

Herr Weber, am Dienstag ist es 50 Jahre her, seit der 1. FC Köln im Viertelfinale des Europapokals der Landesmeister nach dem Münzwurf gegen den FC Liverpool ausschied. Wie blicken Sie heute auf diese drei Spiele?

An das Hinspiel habe ich nicht so viele Erinnerungen. Aber wir hatten meines Erachtens in Köln ein bisschen zu viel Respekt. Georg Stollenwerk hatte die Liverpooler für uns beobachtet und uns die Engländer als unschlagbar hingestellt. 0:0 war etwas wenig. Dann ist das erste Rückspiel ausgefallen. Es fing schon bei der Busfahrt an zu schneien. Als wir uns warmgelaufen haben, hat es geschneit wie wahnsinnig und das Spiel wurde abgesagt.

Eine Woche später konnte man dann dort spielen.

Da hat unser Torwart Toni Schumacher – also das Original – das Spiel seines Lebens gemacht. Er hat alles rausgeholt. Mit dem 0:0 hatten wir das Optimum erreicht. . Und so kam es zum dritten entscheidenden Spiel in Rotterdam. Es war ausverkauft, davon 20 000 Kölner, eine tolle Atmosphäre.

Wolfgang Weber, geboren am 26. Juni 1944 in Schlawe, heute Slawno/Polen, gelernter Industriekaufmann, zwei Kinder, kam über von der SpVg Porz zum 1. FC Köln, von 1962 bis 1978 beim FC unter Vertrag, bestritt von 1963 bis 1977 365 Bundesligaspiele (21 Tore) für den FC und von 1964 bis 1973 53 Länderspiele (2 Tore). Als Spieler Deutscher Meister 1964, zwei Mal DFB-Pokalsieger, Vizeweltmeister 1966, WM-Dritter 1970. Von 1978 bis 1980 Trainer von Werder Bremen. (ksta)

Ihr persönliches Drama begann nach rund 20 Minuten.

Ich bin mit Gordon Milne zusammengeprallt. Ich habe sofort gemerkt: Das ist etwas nicht in Ordnung. Alle ging davon aus, dass es nur eine schwere Prellung ist. Sie haben mich in die Kabine gebracht und unser Vereinsarzt Doktor Bohne hat mir eine schmerzstillende Spritze gegeben. Dann kamen die Jungs zur Halbzeit in die Kabine…

Beim Stand von 1:2. Als Sie gegangen waren, stand es noch 0:0.

Die Engländer haben unsere Schwächung eiskalt ausgenutzt. Typisch englisch, profimäßig. Sie haben schnell zwei Tore gemacht. Karlheinz Thielen hat aber vor der Pause noch den Anschluss gemacht. In der Kabine gab es Sprüche für mich: 'Stell Dich mal nicht so an. Wir brauchen Dich.' Wer sagt da schon nein? Man durfte ja noch nicht auswechseln. Sonst hätte ich nicht mehr weiter gespielt. Ich hatte viel zu starke Schmerzen.

Um zu testen, ob es weitergehen kann, ließ man Sie von der Massagebank springen.

Ich war so clever, nur auf dem linken Bein zu landen. Heute muss man sich schon fragen, ob man da genug auf sich aufgepasst hat. Sowas kann ja ganz andere Sachen sich ziehen und das vorzeitige Karriereende bedeuten. Aber zur neuen Saison war ich wieder topfit.

Wie spielt man mit einem gebrochenen Bein?

Es war ja nur das Wadenbein. Das hat nur eine stützende Funktion. Aber es schmerzt natürlich, wenn es gebrochen ist. Ich bin irgendwo auf der rechten Seite herumgehumpelt. Und mir wäre fast noch ein Tor gelungen. Hannes Löhr hatte vorher schon das 2:2 gemacht, ein Strich in die lange Ecke. In der Verlängerung macht Heinz Hornig ein Tor. Aber Schiedsrichter Schaut, ein Belgier, hat es nicht geben. Angeblich hohes Bein. Wir hatten uns schon gefreut.

Der Münzwurf zur Entscheidung einzelner Paarungen wurde 1971 abgeschafft. In Turnieren wird der Losentscheid bei komplettem Tabellengleichstand (Punkte, Tore, Differenz, Direkt-Vergleich) noch benutzt, so beim Afrika-Cup 2015.

Auswechslungen bei Pflichtspielen gibt es seit 1967, zunächst für einen Spieler, heute für drei. Einen vierten Wechsel hat die Fifa-Regelkommission 2015 abgelehnt. (ksta)

Es blieb beim 2:2, Schaut bat zum Münzwurf.

Die Mannschaften wurden an einem Strafraum zusammengerufen. Ich habe mich auf die Mittellinie gesetzt. Ich wollte das nicht mit ansehen. Dann dauerte es so lange. Ich habe ja nicht mitbekommen, dass die Münze beim ersten Mal senkrecht in dem tiefen Boden stecken blieb. Das war ja alles verrückt. Und dann sprangen irgendwann die Roten hoch. Da wusste man, was los ist. An diesem Tag hat uns der Fußballgott verlassen.

Wie waren die Stunden danach?

Wir waren mit der Bahn unterwegs. Wolfgang Overath und ich waren die Jüngsten. Wir mussten den Trikotkoffer tragen. Die Sachen waren nass, der wog bestimmt 100 Kilo. Ich sehe heute noch diese 100 Stufen zum Bahnsteig vor mir. Ich habe mich nicht getraut, dem Trainer oder Mitspielern zu sagen: 'Ich kann nicht mehr.' Da habe ich nicht gut auf mich aufgepasst. Dafür hat mich NRW-Ministerpräsident Franz Meyers später zu einem einwöchigen Kuraufenthalt in Bad Münstereifel eingeladen.

Gab es Spätfolgen für den Klub?

Ich denke, es hat den FC etwas zurückgeworfen. Wir sind dann ja „nur“ Vizemeister hinter Werder geworden. Mit einem Sieg im Rücken wären wir vielleicht selbstbewusster gewesen und hätten den Titel verteidigen können.

Was wäre ein Jahr danach im WM-Finale passiert, wenn das Wembley-Tor nicht gefallen wäre, und beim 2:2 gegen England geblieben wäre?

Es hätte am nächsten Tag ein Wiederholungsspiel gegeben. Aber gut: Ein Debakel gegen englische Teams hatte ich ja schon hinter mir. Das war das nächste. Aber ich stand immer auf dem Standpunkt: Wenn schon verlieren, dann mit fliegenden Fahnen untergehen.

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