1. FC KölnHinter dem Titelgewinn steht der Kampf um die Stars von morgen

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Die jubelnden B-Junioren des 1. FC Köln.

  • Die U 17 des 1. FC Köln hat gegen Dortmund die Deutsche Meisterschaft gewonnen.
  • Der knallharte Kampf um Talente hat eine neue Dimension erreicht.
  • Wir erklären, wie die Profiklubs um die Nachwuchskräfte kämpfen.

Köln – An einem ganz normalen Samstag dreht sich für Millionen Kinder, Jugendliche und ihre Eltern in Deutschland alles um Fußball. Dafür haben sie zwischen zwei und viermal während der Woche trainiert. Dafür wurden Dutzende Trikots gewaschen, Fahrgemeinschaften gebildet, Kühltaschen voller Verpflegung mitgenommen, Strategien für einen möglichen Sieg entworfen, Onkel, Tanten und Großeltern zur Unterstützung herbei zitiert. An einem ganz normalen Samstag – und wenn die Kinder älter werden auch am Sonntag – lebt der große Traum von Sieg, Meisterschaft und einer großen Karriere.  Dass er nicht öfter  Wirklichkeit wird als ein Sechser im Lotto, tut seiner Kraft keinen Abbruch.

Erster Titel für den FC seit 2011

Hinter den U-17-Junioren des 1. FC Köln liegt kein normaler Sonntag.  Schon die Teilnahme am Endspiel gegen Borussia Dortmund im Stadion Rote Erde war ein riesiger Erfolg. Im Halbfinale hatten sie die vom Ex-Nationalspieler Miroslav Klose trainierte Mannschaft des FC Bayern München mit zwei Siegen ausgeschaltet. In Dortmund bescherten sie dem FC nach großem Kampf den ersten deutschen Meistertitel seit 2011. "Für die Jungs war das eine fantastische Bühne", sagte Matthias Heidrich, Leiter des Nachwuchsleistungszentrums des FC.

„Die Jungs“ sind eine Gruppe Fußballer, deren Talent für das Spiel bereits vor Jahren mit mikroskopischer Präzision erkannt wurde. Dafür beschäftigen die großen Vereine wie der 1. FC Köln, Borussia Dortmund, Schalke 04 und Bayer 04 Leverkusen Beobachter, denen keine fußballerische Begabung im näheren und ferneren Umfeld verborgen bleibt. Sie heißen Scouts.

Alles zum Thema Florian Wirtz

Allein 30, plus die zahlreichen Späher von Partnervereinen, beschäftigt der FC, um zwischen Aachen und Gummersbach, Koblenz und Düsseldorf alles aufzuspüren, was wie ein Talent aussieht. Wolfgang Overath konnte noch bei seinem Heimatverein Siegburger SV spielen, bis er 19 Jahre alt war und dann zum 1. FC Köln wechseln. Heute kennt der Kampf um die besten Fußball-Gene keine Altersbeschränkung mehr. „Es geht immer mehr darum, die Jungs frühzeitig zu gewinnen“, sagt Matthias Heidrich, „das beginnt bereits mit der U 8.“

Viele große Klubs setzen wie der FC auf Internate

Alle 36 Klubs der ersten und zweiten Liga sind laut Statut des Deutschen Fußball-Bundes zum Aufbau eines Nachwuchsleistungszentrums verpflichtet. Viele Großvereine wie Bayern München, Borussia Dortmund, Schalke 04 und Köln haben eigene Internate oder Akademien. Andere, wie Bayer 04 Leverkusen, bringen Jugendliche mit weit entfernten Familienhäusern privat unter und arbeiten mit Fußball-Elite-Gymnasien zusammen, in denen Schulalltag und der Stress einer Fußballausbildung unter professionellem Aspekt gleichzeitig möglich ist.

Die Anstrengungen im Profibereich haben eine neue Dimension erreicht, seit allen klar ist, dass ein einziger Diamant, den sie entdecken, ihren ganzen Verein verändern kann. Und nirgendwo ist dieser Kampf härter als im Westen Nordrhein-Westfalens. „Wir haben hier mehr als ein halbes Dutzend große Klubs. Das ist im Süden ganz anders, wo ein VfB Stuttgart eine ganze Region für sich alleine nutzt“, sagt Rudi Völler, Weltmeister von 1990, ehemaliger Teamchef der Nationalmannschaft und Geschäftsführer von Bayer 04 Leverkusen.

Sein Klub bringt regelmäßig Spieler hervor, die den Weg ins Profigeschäft finden. Aber ein Glücksfall, wie er ihn gerade bei Kai Havertz (20) erlebt, geschieht auch unter dem Bayer-Kreuz ganz selten. 2010 ist Völler  zu einem gemeinsamen Essen mit der Familie des damals Elfjährigen erschienen, um alle von den Vorzügen eines Wechsels nach Leverkusen zu überzeugen. „An Kai waren damals schon praktisch alle großen Klubs dran“, sagt er. Neun Jahre später ist Havertz einer der begehrtesten Profis in Europa. Sein Marktwert liegt bei 90 Millionen Euro und wird die 100 Millionen überschritten haben, wenn er im Jahr 2020 wechseln darf. Davon träumen alle. Vor allem die Vereine. Das Beispiel des Dortmunder Wunderknaben Yousuffa Moukoko, der mit 14 Jahren der große Star des Kölner Gegners Borussia Dortmund im U-17-Finale war, scheint ihnen Recht zu geben.

Kinder werden aus anderen Ländern importiert

Deshalb gibt es im Wettbewerb um die besten Gene kaum ein Tabu mehr. In Spanien und England werden Klubs regelmäßig mit hohen Geldstrafen und  Transfersperren belegt, weil sie Kinder gegen EU-Recht ungeachtet der psychologischen und sozialen Folgen aus anderen Ländern importieren. Als der zwölfjährige Dennis Krol im Jahr 2004 von Bayer 04 Leverkusen zum FC Barcelona wechselte, wurde sein Vater dort als Koch des Klubrestaurants eingestellt. Die Profikarriere scheiterte dennoch. Heute spielt Krol nach den Stationen Düsseldorf II, Wuppertal, Hilden, Mettmann und Heiligenhaus beim 1. FC Wülfrath in der Bezirksliga.

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Auch innerhalb Deutschlands sind Vereine nicht zimperlich. Wechsel von Zwölfjährigen quer durch die Republik sind nichts Ungewöhnliches. Kaum ein Verein glaubt mehr, sich beim Monopoly um das große Talent moralische Bedenken leisten zu können, zumal nationale Grenzen inzwischen aufgehoben werden. Paris St. Germain, der dank seines katarischen Besitzers unendlich reiche Klub aus Frankreichs Hauptstadt, will Leistungszentren in Düsseldorf und Oberhausen eröffnen.

Stolz verweist der 1. FC Köln darauf, den Titel U 17 mit viel regionalem Talent erreicht zu haben. „Die U17 besteht zu einem großen Teil aus echten kölschen Jungs, die wie Marvin Obuz, Florian Wirtz, Joshua Schwirten und Torwart Vincent Friedsam schon seit der U 8 hier spielen“, sagt Chaled Malekyar, Leiter des Aufbaubereichs im Nachwuchsleistungszentrum und U-13-Trainer. Für sie gilt allerdings, anders als für Auserwählte wie Moukoko und Havertz, die ganz normale statistische Wahrscheinlichkeit für einen Weg ins Leben als echter Erstliga-Profi. Die ARD hat  anhand der Daten der U-19-Mannschaften aller Bundesligisten aus den letzten acht Jahren herausgefunden, dass von diesen Nachwuchsspielern im allerhöchsten Segment nur 3,5 Prozent den Sprung in eine der fünf Topligen Europas geschafft haben (Deutschland, England, Spanien, Italien und Frankreich) schaffen. Und nur 2,6 Prozent haben dabei zehn Spiele oder mehr absolviert.  Bezogen auf die rund 40 Jungs, die sich am Sonntag  in Dortmund treffen, wären das, leicht abgerundet:  einer. Und sie haben ja alle noch die U 19 vor sich.

Trotzdem wird sich, wenn die nächste Saison beginnt, an einem ganz normalen Samstag für Millionen Kinder, Jugendliche und ihre Eltern wieder alles um Fußball drehen.  Der Traum ist stärker als alle Fakten.

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