Aerosolforscher zum FC-Derby„Veranstaltungen im Freien sind nicht das größte Problem“

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FC Derby Ränge

Volle Ränge im Rhein-Energie-Stadion beim Derby zwischen 1. FC Köln und Borussia Mönchengladbach.

Köln/Gemünden – Gerhard Scheuch gilt als weltweit anerkannter Aerosolforscher. Der 66-jährige Physiker aus Gemünden (Wohra) berät zahlreiche Institutionen, unter anderem auch das Robert Koch-Institut. In den Jahren 2010 bis 2018 war er zudem Berater der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA). Aber Scheuch ist auch Sport- und insbesondere Fußballfan. Der Kölner Stadt-Anzeiger sprach mit Scheuch über Geisterspiele, Kritik am 1. FC Köln und Hallensportarten.

Herr Dr. Scheuch, der 1. FC Köln steht seit dem vergangenen Wochenende massiv in der Kritik, dass beim Derby gegen Borussia Mönchengladbach 50.000 Zuschauer im Stadion waren – unter 2G-Bedingungen und mit einer kurz zuvor angewiesenen Maskenpflicht auf den Plätzen. Vor allem zahlreiche Politiker äußerten ihr Unverständnis. Aus Ihrer Sicht zurecht?

Gerhard Scheuch: Nein, die Kritik ist unverhältnismäßig. Ich würde fast schon von Aktionismus sprechen. Natürlich ist es für den Normalbürger schwer zu verstehen, wenn seine kleinere Veranstaltung abgesagt wird und Fußballspiele vor 20.000, 30.000 oder sogar 50.000 Zuschauer wie in Köln stattfinden. Aber darum geht es letztlich nicht. Es geht auch nicht um Extrawürste für den Profifußball. Es geht vielmehr darum: Wir wissen, dass sich die Menschen zu 99 Prozent in Innenräumen infizieren.

Als Fan des BVB war ich zuletzt zwei, drei Mal in Dortmund im Stadion. Dort wurde auf die Einhaltung der Regeln sehr gut geachtet und das Hygienekonzept streng kontrolliert. Doch wenn man auf Nummer sicher gehen will, dann bräuchte man statt der 2G- sogar die 2G-Plus-Regel, also von jedem Geimpften noch einen zusätzlichen tagesaktuellen Test. Denn wir wissen leider, dass sich auch Geimpfte infizieren und das Virus weitergeben können. Aber Veranstaltungen unter freien Himmel sind ganz sicher nicht unser großes Problem.

Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder fordert flächendeckend Geisterspiele im deutschen Profifußball. Ist das eine politische oder pandemische Forderung? Und vor allem: Ist diese Forderung zielführend?

Das ist ganz klar eine politische Forderung, und sie ist meiner Meinung nach auch nicht zielführend. Der Stadionbesuch hat so gut wie keinen Einfluss auf das Pandemiegeschehen. Die Politiker sollten vielmehr immer wieder daran appellieren: „Leute, passt in den kleinen Innenräumen auf“. Für mich sind Forderungen nach Geisterspielen aber weniger ein Ablenkungsmanöver, sondern sie sind viel mehr Alarmismus. Es geht darum, den Bürger allgemein zu einer massiven Reduktion der Kontakte zu bewegen. Und das passiert ja auch, bereits seit dem 1. November gehen die Mobilitätszahlen deutlich zurück – unabhängig von irgendwelchen Stadien-Besuchen.

Wäre denn ein Kompromiss, zum Beispiel eine Drittel- oder 50-prozentige Stadionauslastung, eine gute Lösung?

Die Leute sollen ja gerade ins Freie gehen. Und da kann dann auch ein Stadion- oder Weihnachtsmarktbesuch dazu gehören – sofern die Abstände eingehalten werden können. Natürlich sollen die Zuschauer in den Stadien nicht eng an eng stehen und auch nicht in überfüllten Bahnen oder Bussen an – und abreisen. In dem Fall wäre eine Kapazitätsbegrenzung sicherlich eine gute Lösung – vor allem in Städten, in denen die Inzidenz sehr hoch ist. Aber am Sonntag habe ich das Geisterspiel in Leipzig gegen Leverkusen im TV gesehen. Da dachte ich mir: Was für ein Irrsinn, dass in dieser riesigen Schüssel überhaupt keine Zuschauer zugelassen sind.

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Ist die Bundesliga überhaupt ein Infektionstreiber?

Die Frage können Sie fast selbst beantworten: Nein, das ist sie natürlich nicht. Infektionstreiber sind private Treffen in Innenräumen, das sind die Bars, Diskos, schlecht gelüftete und kleine Büros oder Kindergärten und Schulen, in denen es unverständlicherweise immer noch viel zu wenige Luftfilter gibt.

Gibt es belastbare Studien über die Ansteckungsgefahr in den Stadien - auch in den Logen?

Dass die Ansteckungsgefahr im Freien fast zu vernachlässigen ist, darüber gibt es entsprechende Studien aus England oder zuletzt von der Deutschen Fußball-Liga. Den Logen-Besuch im Stadion sehe ich kritischer. Ich war zuletzt selbst in Dortmund in der Loge und habe dort eine Messung durchgeführt. Der CO2-Wert war relativ hoch, das heißt, der Luftaustausch war nicht optimal.

Kölns Trainer Steffen Baumgart hat sich gegen die Kritik am Profifußball gewehrt und entgegnet, dass dieser oft zum „Sündenbock“ gemacht werde und für die Versäumnisse der Politik herhalten müsse. Teilen Sie diese Auffassung?

Die Politik hat sicherlich einiges versäumt, aber aus dem Thema möchte ich mich heraushalten.

Wie ist Ihre Meinung zu Handball-, Eishockey- oder Basketballspielen, die in vergleichsweise großen Hallen oder Arenen ausgetragen werden?

In Hallen mit guten Lüftungssystemen und Teststrategien, insbesondere in so großen wie der Lanxess Arena in Köln, muss man sich keine große Sorgen machen. Natürlich spielt auch die Höhe der Inzidenz eine Rolle. Je höher sie liegt, desto größer ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass man im Innenraum doch auf einen Infizierten trifft.

Haben Sie die Befürchtungen, dass wir mit der neuen Omikron-Variante in eine Endlosschleife geraten können?

Da muss man abwarten. Das Thema ist noch so frisch und die Datenlage zu gering.

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