FC-Fußballerin Sharon Beck„Ein krasser Moment, als Tel Aviv bombardiert wurde“

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Sharon Beck, Offensiv-Allrounderin des 1. FC Köln

Köln – Frau Beck, am Donnerstag findet im Rahmen der WM-Qualifikation das erste Frauen-Länderspiel zwischen Israel und Deutschland statt. Welche Gefühle löst diese Begegnung bei Ihnen aus? Für mich ist das ein ganz besonderer Moment meiner Karriere; eine für mich fast unglaubliche Konstellation, weil ich 2018 noch im Aufgebot der deutschen Nationalmannschaft stand. Ich freue mich sehr, das erste Spiel in Israel in Tel Aviv bestreiten zu dürfen, wo ein Teil meiner israelischen Familie dabei sein kann und danach ein Spiel in Deutschland machen zu können, wo ich aufgewachsen bin. So ein großes Kartenkontingent wie für das Rückspiel in Essen habe ich noch nie benötigt: Familienangehörige und Freunde wollen kommen, deshalb werde ich 15 bis 20 Tickets brauchen.

Ihr Vater ist Jude, ihre Mutter Christin. Ist diese Begegnung auch innerhalb der Familie schwierig? Nein, meinen Eltern haben mich immer darin unterstützt, wo ich mich am wohlsten fühle.  Deswegen gab es da nie Streitigkeiten. Wir haben diese Entscheidung, dass ich für Israel spiele, im Sommer vor drei Jahren zusammengetroffen.

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Sie standen im Februar 2018 noch im Kader der deutschen Frauen-Nationalmannschaft, kamen unter Steffi Jones beim „SheBelievesCup“ in den USA aber nicht zum Einsatz. Sie sagten einmal, für Israel zu spielen, sei die beste Entscheidung ihres Lebens gewesen. Die Entscheidung würde ich immer wieder so treffen. Es war eine absolute Herzenssache. Ich weiß, dass es der komplett richtige Entschluss war.

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Und sprachlich ist es auch keine Hürde? Hebräisch verstehe ich den größten Teil, ansonsten helfen wir uns mit Englisch – das können alle fließend.

Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg hat verraten, Sie und ihre Familie schon als Elfjährige von der Niederrheinauswahl zu kennen. Das ist wirklich ganz lustig. Als ich in jungen Jahren bei den Jungs beim SC Union Nettetal spielte und einen Verein auf höherem Verein suchte, hat mir der Ehemann der Bundestrainerin, Hermann Tecklenburg, geholfen, der sich ja beim SV Straelen sehr engagiert. Dort konnte ich dann ein Jahr spielen. Den Kontakt hatte mein Papa Simon über Martina hergestellt, die sich bereits über meine Zeit bei der Niederrheinauswahl kannten. Und so ist eine besondere Beziehung entstanden.

Was können Sie über den Leistungsstand und den Stellenwert des israelischen Frauen-Nationalteams verraten? Man kann die Strukturen zwischen dem israelischen und deutschen Frauenfußball nicht vergleichen. Die Frauen-Teams in Israel trainieren maximal drei Mal die Woche, aber Israel ist dabei, die Entwicklung voranzutreiben, das erlebe ich selber auch mit. Wir haben mittlerweile einen eigenen Staff mit Athletiktrainer oder Videoanalyst. Wir möchten nicht mehr nur als kleine Frauenfußball-Nation abgestempelt werden, sondern auch im eigenen Land etwas bewegen. Das Gute ist, dass der Headcoach der Männer, der Österreicher Willi Ruttensteiner, hinter dem Konzept steht, auch die Frauen zu fördern.

Zur Person

Sharon Beck vereint vor dem ersten Aufeinandertreffen zwischen den Frauen-Nationalteams von Israel und Deutschland beide Welten. Der Vater der in Tönisvorst am Niederrhein geborenen israelischen Nationalspielerin ist Jude, ihre Mutter Christin.

Die Offensivallrounderin des 1. FC Köln durchlief alle DFB-Jugendnationalmannschaften, reiste auch noch mit der deutschen Frauen-Nationalmannschaft im Februar 2018 zu einem Einladungsturnier in die USA, wo sie nicht zum Einsatz kam, ehe sie sich vor drei Jahren entschied, für ihr zweites Heimatland Israel aufzulaufen. Klar, dass die 26-Jährige das WM-Qualifikationsspiel in Tel Aviv zwischen Israel und Deutschland am Donnerstag (18 Uhr/livestream sportschau.de) aus einem besonderen Blickwinkel betrachtet. (ksta)

Mit welcher Zielsetzung geht ihr Team ins Spiel gegen Deutschland? Angst haben wir definitiv nicht. Wir wissen, was für eine Klasse die deutsche Mannschaft hat, aber die meisten von uns freuen sich, gegen so bekannte Spielerinnen antreten zu können. Wir werden unser Bestmögliches geben.

Es gibt in Israel erst 2500 Frauen und Mädchen, die Fußball spielen. Wie viele Mitspielerinnen können denn wie Sie ein professionelles Niveau vorweisen? Vor drei, vier Jahren hatten wir noch keine Spielerin, die im Ausland war. Nun ist eine Mitspielerin in Frankreich aktiv, eine in Spanien in der zweiten Liga beim FC Villareal. Es gibt erste Fußballerinnen, die am College in den USA aktiv sind. Es tut sich also was.

Ist die gesellschaftliche Akzeptanz für den Frauenfußball in Israel denn vorhanden? Vor drei, vier Jahren hat das tatsächlich kaum jemand interessiert. Mittlerweile werden auch unsere Spiele live übertragen, es gibt Aktionen vor unseren Heimspielen, um mehr Mädchen zu begeistern oder für Zuschauer zu werben.

Sie haben bemängelt, dass es auf dem Weg zur Gleichberechtigung auch in Deutschland noch ein weiter Weg ist. Was fehlt Ihnen konkret? Ich glaube, man könnte den Frauenfußball noch viel besser vermarkten, wenn man sich noch mehr damit auseinandersetzen würde. England hat das mit einem geschickten Marketing vorgemacht. Von einer Gleichberechtigung sind wir auch deshalb noch weit entfernt, weil selbst in der Frauen-Bundesliga viele nicht hauptberuflich Fußball spielen können. Ich würde mir wünschen, dass alle namhaften Vereine eine Frauen-Abteilung aufbauen. Die Investition ist doch für die meisten Männer-Vereine nur Peanuts. Es wäre schade für eine an sich gute Liga, wenn wir stehenbleiben und uns nicht weiterentwickeln.

Der DFB hat ausdrücklich betont, sich bei der Reise auch um kulturelle, geschichtliche und gesellschaftspolitische Aspekte kümmern. Wie bewerten Sie das? Als der DFB das Statement veröffentlichte, hat das eine Spielerin sofort in unsere Nationalmannschaftsgruppe gepostet, das kam sehr gut an – ich persönlich finde das auch toll. Ich rate auch immer jedem, sich mit dem Land und der Geschichte zu beschäftigen, wenn man dort hinreist.

Was haben Sie durch den Fußball noch über Israel erfahren? Mein Papa hat mir die Geschichte von klein auf mitbeigebracht und mich daran teilhaben lassen. Eine krasse Erfahrung war sicherlich der Moment, als ich bei einem EM-Qualifikationsspiel gegen Bosnien-Herzegowina im November 2019 erlebt habe, wie Tel Aviv bombardiert wurde. Wir mussten damals sogar in einen Bunker flüchten. Das vergisst man nicht. 

In Deutschland haben sich in jüngerer Vergangenheit die antisemitischen Vorfälle gehäuft. Sind Sie davon auch betroffen? In meinem direkten Umfeld habe ich das nicht mitbekommen, und dafür bin ich auch dankbar, dass mir solche Erlebnisse erspart geblieben sind. Trotzdem finde ich es sehr traurig, dass es überhaupt zu solchen Vorfällen kommt.

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