FC-Profi Toni Leistner über Rassismus:„Es ist unsere Pflicht, Stellung zu beziehen"

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Toni Leistner gab beim 5:0-Sieg bei Hertha BSC sein Debüt für den 1. FC Köln und wird auch am Samstag gegen Schalke in der Startelf erwartet.

  • Der 29-jährige Verteidiger wurde bis zum Sommer von den Queens Park Rangers ausgeliehen.
  • Bis zu seinem 24. Lebensjahr spielte der Abwehrspieler in seiner Heimatstadt Dresden. Dort machte er auch eine Ausbildung als IT-Kaufmann.
  • Im Interview spricht Leistner sowohl über rechte Tendenzen als auch über Verbesserungen in Sachsen.

Köln – Herr Leistner, war es für Sie als gebürtigen Sachsen, der zuletzt in Berlin und London spielte, eine Art Kulturschock, auf dem Rosenmontagszug mitzufahren?

Es fängt schon damit an, dass Karneval im Osten Fasching heißt. Dort wird er in einem viel kleinerem Rahmen gefeiert. Da war das nicht mein Ding, aber man sollte ja fast alles in seinem Leben einmal ausprobieren. Und der Rosenmontag war ein riesiges Erlebnis, das ich sehr genossen habe. Stimmungstechnisch war es sogar das Beste, was ich jemals mitgemacht habe. Die kölschen Lieder kannte ich jetzt nicht, aber wir haben die FC-Hymne mitgesungen und wurden nach dem 5:0-Sieg bei Hertha von den Zuschauern gefeiert.

An Ihrem Debüt für den FC dürften Sie auch nichts auszusetzen haben, oder?

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Wenn man auswärts fünf Tore erzielt, hinten keins bekommt und als Verteidiger in der Startelf steht, dann gibt es in der Tat wenig auszusetzen. Ich war auch ganz zufrieden mit meiner Leistung. Mit 29 hat man auch schon ein paar Spiele auf dem Buckel, da ist man beim Debüt nicht mehr so nervös. Aber das ist jetzt alles abgehakt. Vor Schalke geht alles wieder bei null los.

Reinigungsdienst im Stadion aufgestockt

50 000 Zuschauer werden am Samstagabend (18.30 Uhr) zur Bundesliga-Begegnung zwischen dem 1. FC Köln und Schalke 04  im Rhein-Energie-Stadion erwartet. Trotz des Coronavirus’, das in NRW  bisher die meisten Infektionen aufweist, soll es wie geplant – und mit Zuschauern – stattfinden.

Der 1. FC Köln steht im engen Austausch mit dem Gesundheitsamt der Stadt. Der Klub reagiert mit mehr Personal und wird in den Hygienebereichen den Reinigungsdienst aufstocken. Zudem gibt der FC den Fans explizit Handlungsempfehlungen. „Wichtig wird sein, dass jeder Stadionbesucher seine eigene Situation betrachtet und sich an alle empfohlenen Maßnahmen hält, die auch in der Grippesaison gelten“, teilte der Bundesligist mit.

Der FC verwies auf die DFL, die beim Thema in Kontakt mit dem Bundesgesundheitsministerium stehe. Nach derzeitigem Stand gebe es keinen Hinweis darauf, dass die Begegnungen der Bundesliga und 2. Bundesliga nicht wie geplant ausgetragen werden können. „Sollte sich an der derzeitigen Lage etwas ändern, entscheiden die örtlichen Gesundheitsbehörden über mögliche Konsequenzen.“

Nach dem Spiel haben Sie sich mit Union-Stürmer Sebastian Polter im Stadion getroffen.

Sebastian ist mein Trauzeuge. Wir haben uns in unserer ersten gemeinsamen Union-Zeit näher kennengelernt und angefreundet. Wir haben fast täglich Kontakt. Wir versuchen uns oft zu sehen – selbst zu der Zeit, als erst er und dann ich in England war und wir uns bei den Queens Park Rangers deshalb leider knapp verpasst haben. Wir liegen auf einer Wellenlänge, und unsere Frauen verstehen sich super. Sebastian hat sich für uns gefreut. Mit Union hat er dieses Jahr schon ein Derby gegen Hertha gewonnen. So bleibt Berlin rot-weiß.

Getrübt hat den 5:0-Sieg die schwere Halswirbel-Verletzung von Ihrem Innenverteidiger-Kollegen Rafael Czichos. Wie haben Sie die Szene und ihre Folgen erlebt?

Das war schon ein Schock, ich stand ja direkt daneben. Am Anfang dachte ich, dass es glimpflicher für Rafa ausgehen würde. Doch dann lag er sehr lange am Boden, hielt sich immer wieder den Hals. Und die herbeigeeilten Ärzte signalisierten dann schnell, dass es eben nicht so glimpflich war. Das ist extrem bitter und zeigt einem, dass sich vieles von der einen auf die andere Sekunde verändern kann. Als Rafa noch in Erfurt spielte und ich in Dresden, sind wir uns öfter über den Weg gelaufen – als Gegner auf dem Platz oder auf Partys. Die Chemie hat sofort gestimmt. Nicht nur ich, wir alle hoffen, dass er möglichst schnell auf den Platz zurückkehrt.

Wenn man Ihre Vita anschaut, war da immer klar, dass Sie Fußballprofi werden würden?

Nein. Nach meinem Realschulabschluss habe ich deshalb eine dreijährige Ausbildung als IT-Kaufmann bei der Telekom abgeschlossen. Als ich dann bei den Profis von Dynamo Dresden mittrainieren durfte, musste ich das alles unter einen Hut bringen. Das war nicht so einfach, aber meinen Eltern und mir war es damals sehr wichtig, auch noch eine berufliche Alternative zu haben.

Würden Sie sich als Spätstarter in Sachen Fußballprofi bezeichnen?

Da ich erst im Alter von 23, 24 Jahren dauerhaft in der Zweiten Liga gespielt habe, kann man das so sagen. Zu meiner Anfangszeit als Profi setzten viele Trainer überwiegend auf erfahrene Verteidiger, heute sind überwiegend junge Spieler gefragt. Da ist man mit 29 Jahren fast schon ein alter Hase. Fußball entwickelt sich, aber für mich hat zum Glück alles gepasst.

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Sie waren zwar bei QPR Kapitän und Stammspieler, doch als Sie kurz vor Ende der Transferperiode vom FC verpflichtet wurden, war bei den Fans nicht nur Begeisterung zu vernehmen. Nach dem gescheiterten Transfer von Benedikt Höwedes galten Sie für einige eher als „B-Lösung“.

Der FC ist ein großer Verein, der sich mit größeren Namen beschäftigt. Unabhängig davon bin ich froh, dass ich die Chance bekommen habe. Die Bundesliga ist etwas anderes als die Zweite Liga in England. Ich habe gemerkt, dass ich noch einmal eine neue Herausforderung brauche. Es ist ja auch bekannt, dass QPR finanzielle Schwierigkeiten hat. Als der Anruf aus Köln kam, musste ich nicht lange überlegen.

Sie sind erst einmal nur bis Saisonende ausgeliehen. Und dann?

Es liegt jetzt vor allem an mir, zu zeigen, dass es sich lohnt, mich auch über die Saison hinaus zu verpflichten. Vorstellen kann ich mir das natürlich.

Wie haben Sie das Leben in der Weltmetropole London empfunden?

Es hat uns definitiv weitergebracht. Unsere Tochter hat am Ende im Kindergarten fließend Englisch gesprochen. Da ich keine deutschen Mannschaftskollegen hatte, war auch ich gezwungen, Englisch zu sprechen und es zu verbessern. Und wir hatten die Gelegenheit, die schönen Seiten dieser pulsierenden Stadt kennenzulernen. Wenn Angehörige oder Freunde zu Besuch kamen, war ich froh, dass meine Frau die Stadtrundfahrten übernommen hat (lacht). Es war auch eine neue Erfahrung, mal über Weihnachten Spiele zu bestreiten. Es war eine coole Zeit.

Sie sind direkt vor dem Brexit gewechselt. Wie haben Sie ihn wahrgenommen?

Natürlich hat man den Brexit in den Medien verfolgt, auch die Unabhängigkeitsbestrebungen der Schotten und Nordiren. Doch in der Kabine war das kein Thema. Wahrscheinlich habe ich mir mehr Gedanken darüber und die Folgen gemacht als meine Mitspieler. Nur ein Beispiel: Wenn die Briten ihr Gehalt ausgezahlt bekommen, sind die Kursschwankungen ja unerheblich. Bei uns war das anders. Als Sebastian Polter 2015 bis 2016 für QPR gespielt hat, war ein Pfund noch 1,4 Euro wert. Zur meiner Zeit gab es für ein Pfund nur noch 1,13 Euro.

Sie sind in Dresden geboren, aufgewachsen und haben dort mit einer kurzen Unterbrechung bis zu Ihrem 24. Lebensjahr gespielt. Wegen der politischen Situation in Ihrer Heimat rümpfen vor allem einige Westdeutsche die Nase. Was empfinden Sie dabei?

Dresden wird leider oft mit Pegida oder anderen rechten Entwicklungen in Zusammenhang gebracht. Diese braunen Bewegungen gibt es, aber sie kommen weniger aus Dresden selbst, sondern mehr aus dem Umland. Wenn ich durch Dresden spaziere, dann habe ich allerdings auch nicht das Gefühl, dass es dort rassistisch zugeht. Dresden ist ganz klar überwiegend multikulturell und friedlich. Und ich bin ebenfalls für ein liebevolles Miteinander und eine offene Gesellschaft und ganz klar gegen rechts und Extremismus.

Sie sind 1990 geboren. Existiert in den Köpfen noch eine Schere zwischen Ost und West? Können Sie nachvollziehen, dass sich einige abgehängt fühlen?

Für mich spielt dieses ,Ost-West-Denken‘ keine Rolle. Ich sehe in erster Linie, wie sich Städte wie Dresden oder Leipzig entwickelt haben. Nämlich äußerst positiv. Das ist kein Vergleich mehr zur Wendezeit und zu meiner Kindheit. Für mich gibt es nur ein Deutschland, ich habe genauso viele Freude aus dem Westen wie aus dem Osten. Ich bin Fußballprofi, verdiene gut und fühle mich nicht abgehängt, aber auch in meiner Familie und in meinem Umfeld in Dresden ist das nicht der Fall.

Zuletzt haben sich einige, wenige Profis aus der Deckung gewagt und vor Rassismus gewarnt. Müssten sich da mehr Profis deutlicher engagieren?

Fußballprofis, Sportler oder andere Prominente werden generell mehr gehört. Deshalb ist es unsere Pflicht, etwas zu sagen und gegen bestimmte Tendenzen Stellung zu beziehen. Der Fan und der normale Mitbürger sind aber genauso gefordert.

Zur Person:

Toni Leistner, geb. am 19. August 1990, spielte bis 2014 in seiner Heimatstadt Dresden (u.a. Dynamo Dresden, FV Dresden-Nord). Über Union Berlin (2014 –2018) und die Queens Park Rangers (2018 –2020) kam der 29-jährige Verteidiger Ende Januar auf Leihbasis zum FC.   (ksta)

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