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Heidel über Mainzer Aufholjagd:„Es bedurfte eines radikalen Schrittes"

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Seit Ende Dezember 2020 ist Christian Heidel als Vorstandsmitglied für Strategie, Sport und Kommunikation zurück beim FSV Mainz 05.

Köln – Herr Heidel, sie sagten bereits, dass am Sonntag der Druck „eindeutig beim FC liegt“ und Sie „nullkommanull“ Angst hätten. Sind damit die Psychospielchen eröffnet? Christian Heidel: Meine Aussage hängt mit unserem Bielefeld-Spiel zusammen. Nach dem 1:1 hatten einige Fans Angst, wir könnten ja jetzt gegen direkte Konkurrenten wie Köln und gegen Hertha einbrechen. Ich wollte den Mainzern damit nur sagen, dass wir seit der Rückrunde Dinge geleistet haben, die keiner von uns erwartet hat. Und dann habe ich mir erlaubt zu sagen - und das war kein Psychospielchen - dass wir auf den 1. FC Köln seitdem zehn Punkte aufgeholt haben. Und weil wir jetzt zwei Punkte vor dem FC liegen, ist in Köln der Druck noch etwas größer. Aber auch wir haben Druck. Wir sind uns bewusst, was diese Spiele in der Endphase für beide bedeuten.

Wird es ein Spiel der Nerven?

Es wird sicher sehr intensiv werden, typisch für ein Spiel im Abstiegskampf gegen Saisonende. Bei meinem Amtsantritt habe ich immer wieder gesagt, dass das ein Marathonlauf für uns wird. So sehr wir uns freuen, dass wir den Anschluss wieder gefunden haben, so wird dieser Lauf jetzt nicht bei 35 Kilometern beendet. Wenn wir jetzt anfangen zu spazieren, dann werden wir das Ziel nicht erreichen.

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Wie war es überhaupt möglich, in der Kürze zehn Punkte auf den FC aufzuholen?

Wir standen ganz unten und hatten nur ein Spiel gewonnen, es bedurfte eines radikalen Schrittes. Die Idee dahinter war, diesen mit Personen wie Bo Svensson und Martin Schmitt zu machen, die den Klub, die Stadt, das Umfeld und auch noch die Mannschaft kennen. Im Winter einen Trainer zu holen, der Mainz 05 zuvor nur einmal in der Sky-Konferenz gesehen hat, wäre der falsche Ansatz gewesen. Fürs Akklimatisieren war keine Zeit. Es gab zudem Nachholbedarf, was die Atmosphäre in der Mannschaft betrifft, auch im Klub ging es zuvor einigermaßen drunter und drüber. Es ist uns dann recht schnell gelungen, für Ruhe zu sorgen. Die Mannschaft hat jetzt ein großes Selbstvertrauen, kann mit Rückschlägen besser umgehen und steht defensiv stabiler. Doch es gibt überhaupt keinen Grund zur Euphorie.

Einige hatten Sie verrückt erklärt, im Winter mit Mateta den Stürmer mit dem größten Namen abzugeben. Geholt haben Sie dafür Kämpfer wie Kohr, da Costa, Glatzel.

Mateta ist ohne Zweifel ein sehr guter Stürmer. Er hatte sieben Tore erzielt, doch wir hatten auch mit ihm nur ein Spiel gewonnen. Wir gaben ihn ab, weil es schon immer sein Wunsch war, nach England zu wechseln und er zudem für unsere Spielweise, bei der der erste Stürmer der erste Verteidiger ist, nicht prädestiniert ist. Bei der Auswahl der Neuzugänge war uns sehr wichtig, dass es Spieler sind, für die die Bundesliga kein Neuland ist. Die drei Neuen sind total bereit, alles reinzuwerfen, haben eine gute Mentalität und Lust, auch gegen den Ball zu arbeiten.

Svensson ist bereits der dritte Mainzer Cheftrainer in der Saison.

Das ist sicher atypisch für den Klub, hat aber damit zu tun, dass die Mannschaft einfach nicht erfolgreich war. Sieben Punkte in der Vorrunde sprechen eine klare Sprache. Meine Entscheidung für Bo ist zudem aus Überzeugung gefallen. Ich kenne ihn seit 2008, er war schon damals als Spieler der taktische Kopf unserer Mannschaft. Ich wusste: Das ist der geborene Trainer.

Der FC hat auf das Mittel des Trainerwechsels bisher verzichtet. Das könnte man auch als atypisch für Köln bezeichnen. Hat Sie das gewundert?

Ich habe früher in Mainz mal sieben Spiele mit Jürgen Klopp als Trainer verloren und zwei Unentschieden gespielt, dennoch habe ich ihm anschließend einen neuen Vertrag angeboten. Ich war hundertprozentig davon überzeugt, dass er der beste Trainer für Mainz ist. Horst Heldt hat sehr viel Erfahrung, und er weiß ganz genau, was er macht. Mir gefällt es, wenn man zum Trainer steht, von dem man überzeugt ist und nicht gleich bei öffentlichem Druck nachgibt. Abgerechnet wird immer am Ende und der FC hat noch immer alle Chancen.

Ändert es etwas am Spiel, dass das Duell am Sonntag nun ein „Schicksalsspiel“ für FC-Trainer Markus Gisdol ist?

Mit der Psyche des FC befassen wir uns wenig. Wir tun alles dafür, um in Köln zu punkten und es macht jetzt wenig Sinn, dass wir uns mit möglichen Folgen beim Gegner befassen. Ich erwarte einen FC, bei dem man von der ersten Minute an spürt, dass er gewinnen will. Das Spiel in Wolfsburg hat gezeigt, dass er nicht in einer spielerischen Krise steckt. Aber das weiß auch unsere Mannschaft, wir sind darauf eingestellt.

Köln hat  – auch bedingt durch den Córdoba-Verkauf – knapp 20 Millionen Euro in neue Spieler investiert. Hätten Sie den FC besser erwartet?

Die Mannschaft ist personell gut besetzt. Doch wenn große Traditionsklubs in einen Negativlauf geraten, ist es für sie oft schwieriger, da wieder rauszukommen. Der Druck ist einfach größer. Vor der Saison habe ich mir nicht so viele Gedanken darüber gemacht. Der 1.FC Köln hat sicher das Potenzial die Klasse zu halten. Das haben wir aber auch, also schaffen wir es gemeinsam.

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Was ändert sich, wenn man zum zweiten Mal in verantwortlicher Position bei einem Verein tätig ist?

Das hatte ich mich auch gefragt, denn die Rückkehr war nicht Teil meiner Lebensplanung. Das hat sich innerhalb von zehn Tagen kurzfristig ergeben. Ganz weg war ich ja nie, ich musste mich nicht groß einleben. Ich habe dann gleich gemerkt, dass sich viele Leute gefreut haben, dass ich wieder da bin. Das hat es einfacher gemacht. Ich denke auch, dass ich mit Krisen gut umgehen kann. Doch den Hauptanteil an unserer Aufholjagd haben die Mannschaft und ihr Trainer.

Ihr vorheriger Klub Schalke 04 wird den Abstieg nicht mehr verhindern können. Was entgegnen Sie den Leuten, die Ihnen eine Mitschuld am Absturz geben?

Ich bin vor über zwei Jahren zurückgetreten. Sechs Monate zuvor waren wir Vizemeister. Wir hatten dann die Gruppenphase der Champions League überstanden und zudem die höchsten Umsätze und Gewinne aller Zeiten im Verein eingefahren. Aber wir hatten eine schwache Bundesliga-Saison gespielt und standen im unteren Mittelfeld. Ich habe dann erklärt, warum ich mich entschieden habe, zu gehen. Ein Jahr nach meinem Ausscheiden stand Schalke mit neuem Trainer und neuer sportlicher Führung auf einem Champions-League-Platz. Alles war gut und die Stimmung total euphorisch. Erst dann begann leider dieser bis heute andauernde Negativlauf, verbunden mit vielen Personalwechseln vom Trainer über sportliche Führung bis zum Aufsichtsrat. Ich habe noch heute gute Kontakte zu den Verantwortlichen und bedauere diese Entwicklung sehr.

Hat es Sie überrascht, dass sich Schalkes einstiger „Weltklassespieler“ Max Meyer in dieser Winterpause Abstiegskandidat Köln anschloss? Sie hatten im Frühjahr 2019 ja so Ihre Differenzen.

Diese Geschichte mit Max hat mir im Nachhinein sehr leidgetan, er bekam da einen Stempel aufgedrückt. Er kann überhaupt nichts dafür, der „Weltklasse“-Ausspruch stammte nicht von ihm. Max ist ein super Fußballer, den wir damals bei Schalke sehr gerne behalten hätten. Aber es gab keine Einigung. Er kann heute dem FC und auch vielen anderen Mannschaften mit seinen Qualitäten helfen. Dass es für ihn in England bei Crystal Palace nicht so geklappt hat, dass kann jedem Spieler mal passieren. Von meiner Seite aus ist da nichts mehr hängen geblieben. Ich wünsche Max alles Gute – nur am Sonntag muss er seine Klasse gegen uns nicht unbedingt zeigen.

Sie stehen weiter im engen Austausch mit Ihrem Ex-Trainer Jürgen Klopp. Nach dem bombastischen Erfolg läuft es für ihn beim FC Liverpool jetzt nicht mehr rund. Kennen Sie seine weitere Karriereplanung?

Wir sind enge Freunde, haben darüber aber nicht konkret gesprochen. Doch da ich Jürgen gut kenne, weiß ich: Er hat einzig und allein den FC Liverpool im Kopf und wird dort weiter arbeiten. Das ist sein Traumverein.

Hätten Sie Klopp denn nicht gerne als Nachfolger von Bundestrainer Joachim Löw gesehen?

Natürlich kann der Kloppo Bundestrainer. Ich wüsste auch überhaupt nicht, wer daran zweifelt. Doch Jürgen sieht sich noch als Vereinstrainer. Er liebt die tägliche Arbeit, den Umgang mit der Mannschaft. Das schließt zwar nicht aus, dass er solch ein Engagement eines Tages vielleicht eingeht. Aber das Thema stellt sich für ihn noch nicht. Er wird im Sommer ganz sicher kein Bundestrainer.

Zur Person

Christian Heidel, geboren am 2. Juni 1963 in Mainz, gehörte von 1992 bis 2016 dem Vorstand des 1 FSV Mainz 05 als Manager an  und stellte Jürgen Klopp und Thomas Tuchel als Trainer ein. Zur Saison 2016/17 wechselte er  als Sportvorstand zu Schalke 04. Rücktritt Ende Februar 2019. Am 28. Dezember 2020 kehrte Heidel zu Mainz 05 als Vorstandsmitglied zurück. (LW)

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