Vor Pokalspiel gegen 1. FC KölnHSV-Chef Boldt über Verhandlungen mit Steffen Baumgart

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Jonas Boldt, Sportvorstand des Hamburger SV

Köln – Der 1. FC Köln trifft am Dienstag (18.30 Uhr, Rhein-Energie-Stadion) im Achtelfinale des DFB-Pokals auf den Hamburger SV. Im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ spricht HSV-Klubchef Jonas Boldt über die Parallelen zwischen den Großklubs, den auch von seinem Verein umworbenen Trainer Steffen Baumgart, die Probleme des Zweitligisten HSV und seine Vergangenheit bei Bayer 04 Leverkusen.

Herr Boldt, am Dienstag darf der Hamburger SV im Achtelfinale des DFB-Pokals auf der einst gewohnten Ebene antreten. Welche Bedeutung hat das Spiel beim 1. FC Köln für den aktuell Fünften der 2. Bundesliga?

Neben dem sportlichen Reiz, der über allem steht, gibt es auch die Chance, mit dem Einzug ins Viertelfinale Zusatzeinnahmen zu generieren. Kurzum: Es ist Pokal, wir freuen uns darauf. Schade ist natürlich, dass wieder nur sehr wenige Zuschauer im Stadion sein werden. Es wäre in Köln hundertprozentig ausverkauft gewesen. Was für ein Spiel erwarten Sie. Sehen Sie den FC als Favorit?

Alles zum Thema Steffen Baumgart

Für mich ist der FC klarer Favorit. Zum einen spielen sie zuhause, zum anderen spielen sie eine starke Saison. Dennoch treten wir in jedem Spiel an, um zu gewinnen. Das werden wir auch am Dienstag versuchen. Beide Mannschaften werden mit offenem Visier spielen. Das haben wir auch letztes Jahr mit Steffen Baumgart in den Duellen gegen Paderborn gesehen. Mit einem 4:3, wo es rauf und runter ging und einem 3:1 zu Hause, wo es sehr eng war. Bewerten Sie doch einmal die aktuelle Situation des 1. FC Köln, der lange vor dem Hamburger SV erstmals den Weg in die Zweite Liga gehen musste. Sehen Sie Parallelen zum HSV?

Die großen Parallelen sind die Beliebtheit und die Tradition, die immer auch Fluch und Segen sein können. Fluch, wenn es gerade sportlich nicht so läuft. Segen, wenn du dastehst, wo der FC steht. Hundertprozentig kann man Vereine nie miteinander vergleichen, weil jeder Klub seinen eigenen Charakter hat. Für den FC ist es immens wichtig gewesen, am Ende der letzten Saison die Relegation zu überstehen und die richtigen Schlüsse zu ziehen. Ich denke, sie haben mit Steffen Baumgart einen hochinteressanten Trainer verpflichtet, der im Klub schalten und walten kann und dem Team eine neue Mentalität eingehaucht hat. Es ist kein Geheimnis, dass der Hamburger SV mit Steffen Baumgart verhandelt hat. Warum trainiert er aktuell den FC und nicht Ihren Verein?

Natürlich ist es immer attraktiver, in der Bundesliga Trainer zu sein als in der 2. Liga. Man muss aber auch dazu sagen, dass wir uns sehr lange gar nicht mit einem Trainerwechsel beschäftigt hatten. Da war der FC deutlich früher dran. Wir hatten gute Gespräche mit mehreren Trainern, auch mit Steffen Baumgart. Ich halte ihn für einen sehr guten Trainer. Steffen hat sich für den FC entschieden und wir für Tim Walter. Mit der offensiven Ballbesitz-Idee, die er in Hamburg vom Fußball hat und der mittlerweile besten Defensive der Liga, sind wir sehr, sehr glücklich.

Sind Sie überrascht davon, wie der 1. FC Köln jetzt Fußball spielt?

Nein, davon bin ich gar nicht überrascht. Einerseits kenne ich die Spieler, von denen einige in den letzten Jahren vielleicht unter ihrem Niveau gespielt haben. Und dann kommt ein Trainer wie Steffen Baumgart, der nicht nur in der Theorie fußballerisch denkt. Er ist ein Teamplayer, einer, der sehr viel Energie reinbringt. Und wenn man ihm in solch einem Verein die Chance gibt, sich zu verwirklichen, können sich Dinge schnell in die richtige Richtung entwickeln.

Ist man beim HSV im vierten Jahr 2. Liga demütiger geworden?

Das muss man differenziert betrachten. Wir wissen genau, wo wir stehen und können die aktuelle Situation realistisch einschätzen. Aber in der öffentlichen Wahrnehmung ist der HSV vielerorts noch immer der HSV, du lebst in der zweitgrößten Stadt Deutschlands. Der HSV ist ein Statussymbol für diese Stadt. Auch die Leute, die sich nicht für Fußball interessieren, interessieren sich für den HSV.

Von außen wird der HSV in der 2. Liga immer noch als etwas arrogant wahrgenommen, keine Ahnung, woher das kommt. Ich denke jedoch, man nimmt wahr, dass wir einen nachhaltigeren Weg eingeschlagen haben, dass es ruhiger geworden ist. Wir machen nicht irgendwelche Millionentransfers, um zu sagen: Das ist jetzt die Aufstiegsgarantie. Ich kenne niemanden, der nicht aufsteigen will. Aber es gibt eben keine Garantie. Deshalb ging es darum, einen Plan nachhaltig zu entwickeln, dass du, wenn es nicht klappt, im Folgejahr keinen wirtschaftlichen Totalschaden erleidest. Nach dem Abstieg 2019 unter einer großen Schuldenlast herrschte das Gefühl: Wenn der HSV nicht in spätestens zwei Jahren wieder aufgestiegen ist, ist er tot. Dazu kommt die Corona-Pandemie. Wie geht es Ihnen wirtschaftlich? Wie überleben Sie?

Uns geht es wirtschaftlich nicht rosig, das ist klar, weil wir auch mit den wirtschaftlichen Einbußen zu kämpfen haben, die nicht zu vernachlässigen sind. Aber wir haben Dinge angepasst und optimiert. Zum einen haben wir keine Spieler mehr mit Erstligaverträgen, zum anderen haben wir uns auch eine imaginäre Gehaltsobergrenze gesetzt. Jedes Spiel ohne Zuschauer tut uns weh, wie allen Vereinen, aber in den letzten eineinhalb Jahren haben wir einige Maßnahmen ergreifen können, die uns geholfen haben. Seitdem ich da bin, haben wir in jedem Jahr einen Transferüberschuss erwirtschaftet und nicht wie in den Jahren zuvor das Geld einfach so rausgeblasen. Das hilft uns auch, zu überleben.

Der Job des Sportvorstandes beim Hamburger SV unterscheidet sich vermutlich deutlich von dem des Sportdirektors bei Bayer 04, den sie zuvor innehatten. Was mussten Sie neu lernen?

Ich lerne gefühlt jeden Tag etwas Neues, weil ich immer neuen Dingen begegne. Der große Unterschied ist, dass ich jetzt einen Job habe, der einen großen öffentlichen Fokus mit sich bringt, gepaart mit repräsentativen Aufgaben, die die Gremien, die Fans und die Medien betreffen. Hinzu kommt die Führungsrolle für den sportlichen Bereich und das ganze Unternehmen, bei der die Hauptaufgaben Strategie und Leadership sind. In einer anderen Funktion habe ich vieles auch in Leverkusen gehabt, aber eben eher in der zweiten Reihe begleitet.

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Vor mir war immer eine Galionsfigur, die im Sturm gestanden ist. Jetzt muss ich das tun. Die große Kunst war am Anfang, operativ loslassen zu können, was aber gut gelingt, weil ich mit Michael Mutzel einen sehr guten Sportdirektor habe, der mich entlastet. Auch wenn ich bei meinem Abschied in Leverkusen nicht wusste, welche Möglichkeiten sich ergeben werden, ist die Größe der Herausforderung hier für mich wie ein Sechser im Lotto. Ihre Zeit bei Bayer 04 Leverkusen ging 2019 enttäuschend zu Ende. Mit welchen Empfindungen blicken Sie zurück?

Leverkusen ist für mich nicht irgendein Klub gewesen. Ich habe 15 Jahre dort gearbeitet. Der Abschied war sehr emotional, das ist auch kein Geheimnis. Aber Bitterkeit empfinde ich überhaupt nicht. Im Gegenteil. Letztendlich ist es meine Entscheidung gewesen. Der Kontakt zu vielen Menschen in Leverkusen ist nach wie vor richtig gut, weil Freundschaften entstanden sind. Ich war vor Weihnachten auch mit Rudi Völler wieder essen, als ich in der Ecke war. Leverkusen hat unabhängig von Personen immer eine stringente Strategie gehabt und funktioniert auch deshalb so gut. Das war nach dem Abschied von Michael Reschke (früherer Kaderplaner und Manager, Anm. d. Red) so. Das war nach meinem Abschied so. Ich freue mich, dass durch meinen Teil der Arbeit, die ich vor allem gemeinsam mit Rudi Völler geleistet habe, der Verein die Chance hatte, aktuell einen solchen Kader zu haben – auch, weil sie von den Vertragskonstellationen, Werten und Verkäufen wie zuletzt von Kai Havertz und Leon Bailey profitieren. Rückblickend lässt sich sagen, dass ich sehr viel gelernt habe und dafür sehr dankbar bin.

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