Max Eberl im Derby-Interview„Der FC kann Borussia Mönchengladbach nicht kopieren“

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Max Eberl, Manager von Borussia Mönchengladbach

  • Am Sonntag (15.30 Uhr) tritt der 1. FC Köln zum Derby bei Borussia Mönchengladbach an.
  • Im Interview spricht Gladbachs Manager Max Eberl über die Vorbildfunktion der Borussia für den FC und das Titelrennen in der Bundesliga.
  • Zudem erklärt Eberl, warum er seinen Klub für ein „gallisches Dorf“ hält.

Mönchengladbach – UPDATE: Wegen des Sturmtiefs „Sabine“ ist die für Sonntagnachmittag geplante Partie zwischen Borussia Mönchengladbach und dem 1. FC Köln am Sonntagmorgen abgesagt worden.

Hier unser Text vom Donnerstag.

Herr Eberl, Sie haben am vergangenen Sonntag im „Doppelpass“ angerufen und sich in die Diskussion über Gelbe Karte eingeschaltet, die es neuerdings konsequent für respektloses Verhalten gegenüber dem Schiedsrichter gibt. Am Samstag war Alassane Pléa, einer Ihrer Spieler, wegen gestenreicher Kritik am Schiedsrichter mit Gelb-Rot vom Platz gegangen. Warum der Anruf?

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Mir war wichtig, zu sagen, dass wir in Gladbach zu diesen Regeln stehen. Ich will ja selbst ein paar Dinge, die sich eingeschliffen haben, nicht mehr sehen. Dass die gesamte Bank aufspringt; dass hinter Schiedsrichtern hergelaufen wird oder Spieler dem Schiedsrichter Nase an Nase gegenüberstehen. Dem sollte man entgegenwirken, muss aber gleichzeitig den schmalen Grat treffen, um dem Fußball nicht die Emotionen zu nehmen. Ein Spieler soll sich schon noch ärgern dürfen. Über eine vergebene Chance. Aber eben auch, wenn er einen Pfiff nicht bekommen hat, von dem er glaubt, dass er ihm zusteht. 

Was halten Sie grundsätzlich von der Anpassung der Regeln?

Es ist ein guter Ansatz, allerdings müssen wir aufpassen, dass die Regeln nicht überzogen angewandt werden. Das ist ähnlich wie beim Videobeweis: Sehr guter Ansatz, aber es droht die Gefahr, dass plötzlich jede Entscheidung mit Argusaugen betrachtet und einzeln bewertet wird. Wenn ein Torwart 80 Meter über den Platz rennt, um beim Schiedsrichter eine Rote Karte zu fordern, dann ist das Gelb. Dann sage ich auch: Verschwinde, denn du hast da überhaupt nichts verloren. Aber ich würde in Situationen, die allenfalls diskutabel sind, das Spiel einfach laufen lassen. Die glasklaren Dinge muss man sanktionieren, das gilt für den VAR wie für das Thema Respekt gegenüber dem Schiedsrichter. Dann kann man schauen, wie es sich entwickelt, dann entsteht eine grundsätzliche Akzeptanz. Im Moment droht es, in eine Antihaltung zu kippen, das ist dann schlecht.

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Andere Sportarten scheinen da weiter.

Ja, das hört man immer wieder, wobei ich auch da andere Beispiele im Kopf habe. Es scheint allerdings so, dass der Fußball die Schwelle des Respekts in der Vergangenheit immer weiter ausgedehnt hat. Das müssen wir zurückholen. Aber das tun wir nicht, indem wir Fünfzig-Fünfzig-Situationen bestrafen. Es muss klar sein und sich entwickeln. 

Was halten Sie von dem Argument, dass es den Schiedsrichtern im Amateurbereich hilft, wenn in der Bundesliga konsequent gepfiffen wird, wenn ein Spieler den Schiedsrichter angeht?

Einen Schiedsrichter in der Kreisliga zu attackieren, womöglich zu schlagen, ist selbstverständlich indiskutabel. Ich glaube allerdings: Wenn ein Spieler so etwas tut, dann nicht, weil er einen Bundesligaspieler gesehen hat, der sich respektlos verhalten hat. Sondern weil er offensichtlich ein ganz persönliches Problem in seiner Einschätzung davon hat, wie man sich in einer Gesellschaft verhält. Allerdings hätte es im Amateurbereich ganz andere Folgen. In der Bundesliga ist es ein verbaler, emotionaler und vielleicht medialer Aufschlag. Wenn ein Schiedsrichter in der Kreisliga so konsequent pfeift, kann das schnell Auge um Auge gehen. Das wären dann ganz andere Probleme. Daher würde ich auch im Amateurfußball versuchen, vor allem die klaren Respektlosigkeiten zu ahnden. Ich halte grundsätzlich den Vergleich zwischen dem, was in der Bundesliga auf dem Platz oder an der Trainerbank passiert und den Angriffen im Amateurbereich durch Spieler, Funktionäre oder Zuschauer für sehr weit hergeholt. Wenn sich ein Trainer zu sehr echauffiert, sieht er Gelb, das ist auch in Ordnung. Aber wir wollen keine emotionslosen Roboter.

Ist das Verhältnis zwischen Bundesligaklubs und Schiedsrichtern denn grundsätzlich schlecht?

Finde ich nicht. Wir brauchen die Schiedsrichter, ohne sie funktioniert unser Spiel nicht. Deswegen darf es keine Barriere zwischen Vereinen, Spielern und Schiedsrichtern geben. Es muss miteinander sein. Daher hat mir die Art der Kommunikation in diesem Winter auch nicht gefallen. 

Inwiefern?

Die Schiedsrichter haben sich zusammengesetzt, sich Gedanken gemacht und das Thema beschlossen. Und die Vereine dann am Donnerstag per E-Mail informiert – bevor am Freitag die Rückrunde losging. Es wäre schön gewesen, die Wichtigkeit des Themas von einem Schiedsrichter erklärt zu bekommen. So haben sie nur gesagt: Ihr wart doch informiert. Das habe ich nicht verstanden. Bei so einer wichtigen Facette, wo es um einen gesellschaftlichen Ansatz geht, hätte ich mir mehr gewünscht als eine E-Mail, das war mir zu salopp. 

Wie steht es um die Kommunikation mit den Schiedsrichtern?

Die besteht, aber man sollte sie intensivieren, das sagt ja auch unser Trainer Marco Rose. Dass sich zum Beispiel Trainer und Schiedsrichter zum Austausch treffen, um ein Gespür für den anderen zu entwickeln. Kommunikation ist für mich das Schlüsselwort. 

Wäre es denn denkbar, die Schiedsrichter-Auswahl und -Ausbildung noch einmal auf ein neues Niveau zu heben und eine Art 19. Bundesliga-Mannschaft zu etablieren?

Das Niveau ist ja schon sehr hoch mit den vielen Lehrgängen und Fortbildungen. Schiedsrichter können es nie allen recht machen, das liegt in der Natur des Jobs und macht ihn so schwierig. Wir haben gute Schiedsrichter, dabei bleibe ich. Die Frage ist, wie wir das Verhältnis wieder auf die richtige Bahn bringen. Durch pures Bestrafen werden wir es nicht schaffen. Es geht nur miteinander. 

Es gibt allerdings Unterschiede bei den Schiedsrichtern: Manche scheinen mit Kritik auf dem Platz größere Schwierigkeiten zu haben als andere.

Richtig gut werden viele Schiedsrichter meinem Empfinden nach erst mit Mitte 40. Und wann müssen sie aufhören? Mit 47. In England pfeift ein Schiedsrichter noch mit über 50, wenn er gut ist, selbst wenn er vielleicht nicht mehr so gut sprintet. Ich habe es nie geglaubt, wenn meine Eltern oder Hans Meyer es mir gesagt haben – aber es gibt nichts Wertvolleres als Erfahrung. Man sollte drüber nachdenken, ob die Altersgrenze 47 noch zeitgemäß ist.

Auch der Video-Assistent wird im Stadion bei fast jedem Einsatz kritisiert.

Ja, und ich kann es nicht mehr hören. Da geht es übrigens auch um Akzeptanz und Respekt. Wenn ein Tor nicht gegeben wird, weil es nicht korrekt erzielt war, dann bin ich doch dankbar. Ich bin dankbar dafür, wenn etwas überprüft wird. Daher habe ich für die Sprechchöre in den Stadien kein Verständnis mehr. Ich halte den VAR für eine gute Sache. Wir haben die technologischen Möglichkeiten, daher sollten wir sie einsetzen. 

Man hat den Eindruck, der VAR-Einsatz bremst den Torjubel bei Spielern und Fans.

Ich verstehe das nicht. Sollen die Leute doch erstmal jubeln. Ist doch egal, ob ich am Ende vorschnell gejubelt habe. Einfach losjubeln, das kann ja nicht falsch sein. 

Wie emotional wird es am Sonntag im Derby gegen den 1. FC Köln (15.30 Uhr/Sky)?

Ich hoffe sehr, zumindest auf dem Platz. Ich wünsche mir auch Emotionen auf den Tribünen. Die Gesänge, die Unterstützung des eigenen Vereins – es gehört ja dazu, den Schmäh des anderen zu ertragen. Das Ansingen gegen den Gegner, das ist für mich Emotion. Alles andere ist Radikalität, und das wollen wir nicht. Aber die jüngsten Derbys waren ja zwar sehr emotional, aber es ist nicht eskaliert. 

Tragen Sie die Emotionen in die Mannschaft?

Nein. Die Mannschaft weiß, dass es sportlich für uns ein wichtiges Spiel und wegen der kurzen Wege noch einmal besonders ist. Aber für uns ist jedes Spiel sehr wichtig. Es ist gegen einen rheinischen Rivalen noch einmal emotionaler. Aber die Spieler wissen, dass es am Ende wie immer darum geht, ein Spiel zu gewinnen. 

Beide Mannschaften haben zuletzt viele Spiele gewonnen. Was erwarten Sie von den Kölnern?

Die ja öffentlich und auch medial sehr kritisch begleitete Inthronisierung von Markus Gisdol und Horst Heldt hat gegriffen, die Mannschaft ist stabilisiert und in der Spur. 23 Punkte, sechs Punkte weg vom Relegationsplatz – das sah vor drei Monaten noch anders aus. Dass die Mannschaft es schaffen kann, damit habe ich gerechnet. Aber dass sie so schnell die Kurve kriegen kann und mittlerweile solide im unteren Mittelfeld steht, überrascht mich schon.

Borussia stand bereits acht Spieltage auf Platz eins und wurde bereits mehrfach mit der Meisterfrage konfrontiert. Nervt Sie das?

Da wir höflich sind, beantworten wir sie auch. Wir merken ja auch, dass wir den großen Mannschaften gefährlich werden können, wenn wir so stabil auftreten wie zuletzt. Wir sind aber realistisch und kennen unsere Rolle. Wir müssen annähernd 100 Prozent unser Möglichkeiten abrufen, um da zu stehen, wo wir jetzt sind. Damit meine ich nicht nur unsere Leistungen auf dem Platz, sondern auch die Spielidee und die Transfers. Es funktioniert nur, wenn bei uns alle am Limit arbeiten. Ich will jetzt nicht desillusionierend sein, aber wenn Bayern, Dortmund und Leipzig Konstanz an den Tag legen, dann können alle anderen Vereine machen, was sie wollen. Dann haben sie die besten Voraussetzungen und Spieler und werden die Meisterschaft unter sich ausmachen. Aber wenn sie ihr Potenzial eben nicht abrufen, schwächeln und wir dagegen unsere 100 Prozent erreichen, dann haben wir eine Chance. Im Konzert der Großen sind wir mit Abstand der Verein mit dem kleinsten Etat. Und das ist schon seit einigen Jahren so und wird auch so bleiben. Bei uns in Gladbach muss jeder Transfer sitzen, weil wir das Geld nur einmal haben. Wir können nicht im Winter auf einmal zehn oder 20 Millionen Euro für Neuzugänge zum Nachbessern auf den Tisch legen. 

Das kann das von Ihnen genannte Trio. Trotz der engen Tabellen-Konstellation spricht doch wieder viel für den Meister FC Bayern. Ist das nicht schlecht für die Liga?

Ich sehe das anders: Es ist doch wunderbar, dass vier Mannschaften so eng beisammen sind. Und es wäre klasse, wenn der Titel erst am letzten Spieltag entschieden wird. Wir sollten den Abgesang über die Liga einstellen. Sollten die Bayern diese Saison doch wieder Meister werden, dann hätten sie es durch harte Arbeit und großen Kampf geschafft. Die Bayern haben sich ihren Vorsprung der Konkurrenz gegenüber in vielen Jahren erarbeitet. Und deshalb wird auch in Zukunft der Meister wohl oft aus München kommen.

Vereine wie Gladbach oder Köln könnten diesen Vorsprung – wenn überhaupt – nur minimieren, wenn sie die 50+1-Regel aufgeben und Investoren die Übernahme ermöglichen würden.

Wir sind und bleiben ein klarer Verfechter von 50+1. Bei uns wird es keinen Investor geben. Das schließt aber nicht aus, dass wir in Zukunft vielleicht mal einen strategischen Partner haben werden. Das wäre ein denkbarer Schritt, für den wir aber erst die Mitglieder befragen müssten. Von Investoren-Geschichten wie bei Hertha BSC sind wir bei Borussia aber weit entfernt. Wir haben eine klare Identität und unsere Grenzen. Und die bringen vielleicht manchmal auch Nachteile mit sich. Ein Beispiel: Wir würden sehr gerne noch ein separates Haus für die Lizenzspielerabteilung bauen, aber dafür muss erst einmal das Geld zur Verfügung stehen. Und dann muss man die Frage stellen: Willst du dieses Haus bauen oder doch lieber einen neuen Spieler verpflichten? Das sind bei uns strategische Entscheidungen – und auch Einschränkungen. Ich sehe uns als gallisches Dorf. Das soll uns aber nicht bewusst klein machen, das heißt vielmehr: Wir sind ambitioniert und versuchen mit unseren Mitteln, gewachsenen Traditions-Vereinen wie Bayern, Dortmund, Schalke und alimentierten Klubs wie Leipzig, Leverkusen und Wolfsburg Paroli zu bieten. 

Und Sie sind derjenige mit dem Zaubertrank?

Wir überlegen noch, wer bei uns wer ist. Ich bin leider nicht in den Zaubertrank gefallen (lacht). Das gallische Dorf wollte ja auch nicht Rom zu Fall bringen, sondern sein Areal in erster Linie verteidigen. Wir wollen zwar nicht nur verteidigen und auch mal die anderen angreifen – aber im Rahmen unserer Möglichkeiten und unser Identität. 

Das gelang in den vergangenen Jahren. Was ist Borussias Erfolgsfaktor?

Die Kontinuität bei den handelnden Personen ist sicher ein Schlüssel zum Erfolg. Die bedingt aber auch großes Vertrauen. Und das haben wir untereinander. Wenn wenige Menschen lange zusammenarbeiten, dann kann sich das natürlich auch abnutzen und uninspiriert sein. Aber wir können es uns mit unseren Voraussetzungen erst gar nicht erlauben, faul und ideenlos zu sein. Hier ist in den vergangenen Jahren sicherlich viel entstanden, natürlich auch in Sachen Infrastruktur. Aber es bleibt kaum Zeit, das auch mal zu genießen. Wir müssen immer überlegen, wo wir uns noch weiter verbessern können. 

Taugt Borussia als Vorbild für den FC?

Als ich als 2008 als Sportdirektor anfing, war für mich Werder Bremen eine Art Vorbild. Wenn jetzt andere Klubs uns zum Vorbild nehmen, dann ist das schön, aber am Ende muss jeder Verein seinen eigenen Weg finden, da auch jeder Klub seine eigene Identität und DNA hat. Das kannst du nicht kopieren.

Beim FC reden stets gerne viele Leute bei Entscheidungen mit, bei Borussia wirken die Strukturen und Gremien schlanker.

Meiner Meinung braucht man wenige, aber qualitativ hochwertige Leute, dazu kurze Entscheidungswege und kurze, klare Diskussionen, um Entscheidungen zu treffen. Und die haben wir, und das ist sicherlich ein Vorteil. Wir haben wöchentlich eine Präsidiumssitzung. Zudem haben wir einen Aufsichtsrat, der im Hintergrund helfend und beratend tätig ist. Nicht die, die am lautesten schreien, sind die größten Hilfen. Sondern die, die konstruktiv und intern Hilfestellung leisten. 

Herr Eberl, Sie sind bereits seit 1999 im Verein, erst als Spieler, dann als Funktionär. Auf einen Titel warten Sie allerdings noch. Den könnten Sie beispielsweise beim FC Bayern in jeder Saison gewinnen.

Und das wird der Brazzo (Hasan Salihamidzic, Bayerns Sportdirektor, d. Red.) vielleicht auch schaffen. Im Profi-Fußball sollte man zwei Adverbien vermeiden: nie und immer. Ich kann nicht sagen, dass ich immer bei Borussia bleibe und nie woanders hingehe. Vielleicht will ja auch der Klub eines Tages mich nicht mehr. Ich habe Ambitionen und möchte einen Titel gewinnen, aber Bayern ist für mich kein Thema. Ich habe bei Borussia einen Vertrag bis 2022 und Bayern ist für die Zukunft bestens aufgestellt. Da muss ich mir keine Gedanken machen. Dinge geschehen – oder eben nicht.

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