Müngersdorf-Blues in Corona-ZeitenSo leidet Wolfgang Niedecken mit dem 1. FC Köln

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Wolfgang Niedecken im Stadion

Wolfgang Niedecken im leeren Rhein-Energie-Stadion

  • Wolfgang Niedecken hängt sehr am 1. FC Köln.
  • Dass die Spieler am Sonntag aufgrund der Pandemie ohne Anfeuerung in ihr schwerstes Spiel der Saison gehen müssen, hält er nur schwer aus.
  • Der BAP-Sänger über das Fan-Sein in Corona-Zeiten, die Angst vor dem Abstieg und seinen Appell an die Mannschaft.

Köln – Der Wind treibt den Schnee herüber zur Osttribüne, Wolfgang Niedecken hat sich dick eingepackt, er seufzt. Am Sonntagabend wird der 1. FC Köln hier das bislang wichtigste Spiel der Saison austragen, gegen Mainz 05 muss unbedingt ein Sieg her, sonst wird es düster. Vor zehn Tagen ist Niedecken 70 Jahre alt geworden, die Feier in der Lanxess Arena musste um ein Jahr verschoben werden, feiern konnte er nur im engsten Familienkreis, doch die Tage waren voll: Noch immer hat er nicht alle Glückwünsche beantworten können.

An diesem kalten Morgen im leeren Rhein-Energie-Stadion denkt Wolfgang Niedecken an die Kölner Mannschaft, die im leeren Stadion versuchen muss, ein Spiel zu gewinnen. Niedecken hängt am FC, er hält es nicht aus, dass es am Sonntag keine Anfeuerung geben wird, keine mentale Unterstützung. „Wir können die Jungs doch nicht allein da rauslaufen lassen. Das können wir doch nicht machen“, sagt er.

Jeder leidet für sich

Es ist die Hilflosigkeit; „Helfe kann dir keiner“, schrieb er 1977, es war sein erster großer Text: „Da kannste maache, wat de wills, Jung/Do blievste allein“, heißt es darin. Und dieses Alleinsein, das die Pandemie den Menschen in so vielen Momenten antut, das empfindet Niedecken auch beim Gedanken an die FC-Spiele. Jeder leide für sich, das passe nicht zu dieser Stadt, zu diesem Verein: „In Köln – da hat man immer etwas miteinander zu tun!“

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Seit mehr als einem Jahr spielt der 1. FC Köln nicht mehr vor Publikum, und Wolfgang Niedecken hat sich auch nie um einen Platz im Stadion bemüht, obwohl er die Möglichkeit hätte. So ein Geisterspiel würde ihn zwar interessieren, „studienmäßig“, sagt er. Doch will er nicht privilegiert sein. Lieber hält er die Geisterspiele aus, wie die anderen Fans: Der FC spielt in Müngersdorf, und „der Niedecken sitzt auf seinem Sofa und ist nervös wie sonst was“. Er schaut nicht nur die Kölner Spiele, im Gegenteil kann er die Konferenz am Samstag eigentlich besser genießen, denn „abseits vom ganzen Elend mit dem FC ist Fußballgucken am Wochenende für mich die totale Entspannung. Wenn Leverkusen gegen Wolfsburg spielt, okay dann sind mal Zwischenfragen erlaubt. Aber beim FC: no way.“

„Wenn et sinn muss, durch et Füer“

Allerdings kommt Niedecken nicht „Helfe kann dir keiner“ in den Sinn, als er über den FC nachdenkt, eher die „Hymne“: „Wenn et sinn muss, durch et Füer“. Aber wenn Niedecken „Hymne“ sagt, meint er vor allem „En unserem Veedel“ von den Bläck Fööss, das nicht vor den Partien gespielt wird, sondern danach – wenn Köln verloren hat. Das sind die Momente, in denen die Solidarität auf der Probe steht – und in denen die Kölner Südkurve die Mannschaft auch für Niederlagen feiert, wenn die Haltung gestimmt hat. Das Resultat ist dann nachrangig. „Denn he hält mer zesamme“, heißt es im Text, darauf kommt es Wolfgang Niedecken an. Doch die Pandemie verhindert es, die Solidarität zu zeigen. „Wir halten zusammen – ja, verdammt: Wie denn?“, fragt Niedecken in den eisigen Morgen: „Wir sollten dieses Volkslied zum Maßstab nehmen. Wie ein Glaubensbekenntnis, nach dem man sich verhalten muss: Egal, was auch passiert.“ Das Bedingungslose ist Niedecken wichtig: „Unsere Stadt ist ein solidarischer Körper. Wir dürfen unsere Jungs jetzt nicht allein im Regen stehen lassen – und am Ende kriegen sie womöglich noch einen drauf. Das kann man nicht machen.“

Es geht dem Musiker gar nicht so sehr um seine persönliche Angst vor dem Abstieg. Beim ersten Mal 1998 arbeitete BAP gerade auf Elba am Album „Comics und Pin-ups“, als Toni Polster am Samstagabend persönlich anrief: „Du, Wolferl, wir ham’s nicht mehr gepackt“, sagte der Wiener Torjäger. Niedecken fuhr anschließend allein mit dem Motorrad über die Insel, ziellos. „Ich bin damals nicht in Tränen ausgebrochen. Aber ansprechen musste man mich auch nicht“, sagt er. Er habe dann „FC, jeff Jas“ geschrieben, ein Appell an die Fans, bei der Fahne zu bleiben.

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Später habe er sich ein wenig an die Abstiege gewöhnt. Im Jahr 2012, als das letzte Saisonspiel im Chaos endete und die Südtribüne hinter einer Wand aus schwarzem Rauch verschwand, da habe er noch einmal gelitten. „Ich war mit meiner Tochter im Stadion, und als diese Apokalypse losging, habe ich nur noch gesagt: Wir müssen jetzt ganz schnell hier raus. Das war wirklich ein Fluchtreflex, ich hatte Angst um mein Kind. Damals habe ich mir geschworen: Wenn so etwas nochmal passiert, dann gehe ich hier nicht mehr hin. Bei aller Emotion und aller berechtigter Sentimentalität: Das brauche ich nicht.“

Der Fanatismus ist ihm fremd geblieben, „und trotzdem mag ich die Südkurve total. Die Coloniacs, die Wilde Horde. Ich kann das alles nachempfinden, den Stolz und die Emotionen. Wir sehen ja jetzt, wie die Stimmung im leeren Stadion ist“, beschreibt er.

Seine Botschaft richtet sich vor allem an die Mannschaft, der er signalisieren will, dass die Fans da sind, Zigtausende, selbst wenn niemand im Stadion ist, so sitzen sie doch alle vorm Fernseher und fiebern mit. Gerade in dieser Saison war er oft zufrieden mit den Kölner Auftritten. „Ich habe einen großen Respekt vor der Mannschaft, die alles gibt.“ Er sehe eindeutig, dass sich niemand verstecke, dass noch lange keiner aufgegeben habe. Seine Botschaft: „Ihr sollt wissen, dass wir das wissen.“

Doch am Sonntag muss die Mannschaft einmal mehr ohne die Hilfe der Massen auskommen, und Niedecken leidet mit. „Ich sehe die Jungs in den Interviews nach den Spielen und bewundere, wie gefasst sie sind. Wenn ich mir vorstelle, ich müsste nach einem Konzert, das nicht optimal gelaufen ist, vor der Kamera erklären, warum es nicht gelaufen ist. Wenn ein junger Spieler zweimal patzt und dann vom Platz muss, da denke ich nur: Was würdest du jetzt tun, wenn du dessen Vater wärst? Ich könnte da gar nicht schnell genug hinkommen, um ihn in den Arm zu nehmen. Unfassbar, wie jung die sind!“

„Ich weiß nicht, wie die Spieler heutzutage ticken“

Er kenne keinen der Spieler mehr wirklich persönlich; „ich weiß nicht, wie die heutzutage ticken. Das war früher mal anders, da sind wir nach den Spielen zusammen essen gegangen. Jetzt kann ich die Jungs nur noch vom Fernseher aus einschätzen.“

Den Coach schließt Niedecken in seine Solidaritätserklärung ein. „Ich glaube, dass Markus Gisdol ein guter Trainer ist. Ich erinnere mich daran, wie er engagiert wurde. Da hat doch eigentlich keiner mehr daran geglaubt, und trotzdem hat er den Klassenerhalt geschafft. Ich kann ihm keine handwerklichen Fehler vorwerfen – vor allem nicht, dass der Andersson die ganze Zeit verletzt war. Ich habe den Eindruck, dass er die Mannschaft versteht und die Mannschaft ihn. Ich sehe keinen Abbruch der Kommunikation. Bewundernswert, wie er die Ruhe bewahrt.“

Er würde zu gern helfen, doch helfen kann ja keiner, wer wüsste das besser als er. Was, wenn man ihn vor dem Anpfiff in die Kabine ließe? Für eine Ansprache? „Ich könnte denen nichts Kompetentes erzählen“, sagt Niedecken. Er fühlt sich nicht zur Kabinenansprache berufen. Er vergleicht das mit einem Auftritt mit der Band, „wir machen Soundcheck, die Mannschaft spielt sich warm. Bevor man dann loslegt, muss sich jeder einzelne sammeln. Wenn dann einer käme und würde mir eine Predigt halten, da würde ich sagen: Geht’s noch? Lass mich in Ruhe! Die Spieler würden wohl eher denken: »Das jetzt auch noch. Nä, lass mal!«“

So wird Wolfgang Niedecken also am Sonntag allein mit seinem Hund vor dem Fernseher sitzen und versuchen, die Fassung zu wahren, selbst wenn es schiefgeht. „Ich müsste dann schon ein paarmal geistig um den Block laufen“ sagt er und blickt in den Schnee, der über die verlassenen Tribünen wirbelt. Er muss lachen angesichts der unendlichen Tristesse, das Ambiente nötigt ihm Respekt ab: „Ich muss schon sagen: Das ist eigentlich der Blues!“, lacht er, aber der Blues kann heilen.

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