Nachruf zum Tod der FC-LegendeHans Schäfer, der Held von nebenan

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SChäfer Meisterschaft dpa FC PIC

Nach dem Gewinn der Meisterschaft 1962 hält Hans Schäfer (l.) beim Empfang in der Kölner Innenstadt die Schale hoch.

  • Im Alter von 90 Jahren ist am Dienstagmorgen Hans Schäfer im Kreise der Familie gestorben.
  • Der langjährige Kapitän des 1. FC Köln konnte mit Heldenverehrung wenig anfangen.

Köln – Als in Bern noch keiner an ein Wunder glaubte, es war Sekunden vor dem Anpfiff des Endspiels um die Weltmeisterschaft 1954, schritt Ferenc Puskas auf Hans Schäfer zu. 62.500 Zuschauer auf den Rängen des Stadions Wankdorf, viele davon aus Deutschland angereist, waren noch damit beschäftigt, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass Deutschland tatsächlich im WM-Finale stand - und sie dabei waren.

Puskas, wahrscheinlich der größte Torjäger aller Zeiten, hatte schon in der Vorrunde gegen Deutschland gespielt; 8:3 hatten die Ungarn gewonnen. Nun also Bern. Vier Tore hatte Hans Schäfer in den vier WM-Spielen bis dahin erzielt, und Puskas war gewarnt, aber gelassen. Seit viereinhalb Jahren hatten die Ungarn kein Spiel verloren. „Na, bist du gut drauf?", fragte der Ungar den Deutschen im Regen von Wankdorf. Und der antwortete, ungerührt: "Dat wirste gleich sehen."

Legendärer Ballgewinn

Und Puskas sah. Hätte Hans Schäfer aus Köln-Zollstock dem ungarischen Läufer Jozsef Bozsik in der 84. Minute nicht den Ball abgenommen und geflankt - Rahn hätte niemals aus dem Hintergrund schießen können. Und Deutschland wäre nicht Weltmeister geworden. Wahnsinnig viele Dinge wären nicht passiert. Der WM-Sieg gilt vielen als die eigentliche Geburtsstunde der Bundesrepublik, und tatsächlich gab der Erfolg von Bern dem jungen deutschen Staat etwas, das die Menschen forttrug von den Schrecken des Krieges und hinein in die Wirtschaftswunderjahre.

An der WM 1950 in Brasilien hatte Deutschland nicht teilnehmen dürfen, seit dem Krieg war die deutsche Mannschaft von vielen Ländern boykottiert worden. Allein die Teilnahme hatte 1954 große Bedeutung. Dass in den Nachkriegsjahren kaum Gegner zu finden waren, ist eine Erklärung für Schäfers geringe Zahl an Länderspielen: 39 Partien (15 Tore) - verglichen mit der Bedeutung des Kölners für den deutschen Fußball ein Witz.

Schäfer blieb Schäfer

Was dem Titel folgte, ist deutsche Geschichte. Die Zugfahrt der Mannschaft zurück in die Heimat, von Hunderttausenden umjubelt. Die Spieler, die über Nacht zu Helden geworden waren, mussten sich an ihr neues Leben gewöhnen. Denn weder hatten sie mit dem Titelgewinn rechnen können. Noch mit den Folgen. Niemand hatte sie auf das vorbereitet, was zu Hause wartete. Viele kamen mit dem Ruhm nicht zurecht. Ruinierten ihre Karrieren. Verloren alles an den Alkohol.

Hans Schäfer jedoch blieb einfach er selbst. Er gönnte sich den Luxus eines vergleichsweise konventionellen Lebens. Wegen seines Dickschädels riefen ihn die Kollegen schon zu seiner aktiven Zeit "De Knoll". Und den Dickschädel behielt er, womöglich seine Rettung. Wer mit Hans Schäfer über Fußball sprechen wollte, brauchte Glück. Er war zwar ein Fußballverrückter, einer, der sich in Begeisterung reden konnte. Doch die Frage, wie es denn so war, damals in Bern - die brachte ihn nicht zum Sprechen. Es musste aus der Situation heraus geschehen. Und dann erzählte Schäfer von Typen und Zeiten, wie es sie nie wieder geben wird. In seinem Angesicht gewann der Begriff der lebenden Legende eine Bedeutung. Was Schäfer auslöste, war die reine Ehrfurcht.

Mit Heldenverehrung konnte Hans Schäfer nichts anfangen

Allerdings nicht bei sich selbst. Hans Schäfer konnte nichts anfangen mit Heldenverehrung oder Erzählungen von Wundern, die sich in Bern zugetragen haben sollen. Er wollte die Dinge einfach halten, pflegte einen pragmatischen Umgang mit sich und seiner Bedeutung. Schon früh hatte er mitbekommen, wie bedeutend Dinge sein können. Im Alter von 16 Jahren musste Schäfer als Flakhelfer in den Krieg; dieser Hinweis hilft bei der Einordnung eines seiner zentralen Zitate: „Ich weiß nicht, was unser Sieg mit Heldentum zu tun hat. Helden sind für mich Jungs, die an die Front gehen, kämpfen und sich eventuell auch noch erschießen lassen müssen. Aber es ist doch kein Heldentum, wenn ich ein Spiel gewinne - und sei es eine Weltmeisterschaft", sagte er einmal in einem Zeitungs-Interview.

Schäfer äußerte sich in den vergangenen Jahren zwar immer seltener. Er lebte nicht zurückgezogen, überhaupt nicht. Er war gern unter Menschen, ging ins Stadion, wenn es die Gesundheit zuließ. War präsent in seinem Viertel. Es war möglich, Hans Schäfer auf der Straße zu treffen und ihm einen guten Tag zu wünschen. Doch er lebte nicht das Leben eines Stars; unternahm nicht den Versuch, bedeutungsvoll aufzutreten. Zeitweise führte Schäfer eine Tankstelle auf der Ecke Dürener Straße/Gürtel in Lindenthal, nicht weit entfernt von dem Haus in der Franzstraße, in dem er mit Frau, Tochter und Schwiegersohn bis zu seinem Tod lebte.

Am Dienstagmorgen schlief Hans Schäfer ein. Seine Familie war bei ihm. Er wurde 90 Jahre alt.

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