Neururer im Interview„Bundesliga muss man können“

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Peter Neururer vom VfL Bochum.

Peter Neururer vom VfL Bochum.

Bochum – Herr Neururer, wissen Sie eigentlich, dass seit mehr als 20 Jahren kein Trainer einen besseren Tabellenplatz mit dem 1. FC Köln erreicht hat als Sie 1997 mit Rang zehn?

PETER NEURURER: Klar weiß ich das. Ich hatte ja zuletzt viel Zeit, um einige Dinge Revue passieren lassen. An den FC kann ich mich besonders gut erinnern, da ich seit 1962 einer der größten Fans war. Ich habe in Köln studiert ...

... mit Christoph Daum zusammen.

NEURURER: Ganz genau. Zehn Jahre habe ich in Köln gewohnt und jedes Spiel gesehen. Ich hab bei "Gilberts Pinte" gekellnert, um die Auswärts-Fahrten im Europapokal bezahlen zu können.

Und 1996 hat sich Ihr Traum erfüllt. Sie wurden FC-Trainer.

NEURURER: Ja, und da habe ich das erste Mal erfahren, was der Kölsche Klüngel ist. Mein damaliger Dozent an der Sporthochschule war Rolf Herings, der federführend für den FC als Co-Trainer arbeitete und mir während des Studiums immer Karten für den FC besorgt hatte. Ich kam in mein Büro und sagte ihm, dass er von nun an weder Co- noch Konditionstrainer, sondern Torwarttrainer sei und ich den Rest mit einem neuen Assistenten mache. Da sagte Rolf, ein ganz toller Typ übrigens, nur: "Hörens, Jung, 19 Trainer habe ich überlebt, dich überlebe ich auch noch."

Er hatte recht und hat nach Ihrem Aus weiter für den FC gearbeitet ...

NEURURER: Zum Glück für den 1. FC Köln. Aber in diesem Moment dachte ich: Was ist denn hier los? Sein Netzwerk ging über Overath, Schumacher, Hornig, Konopka, Thielen - alles absolute Größen. Der Klüngel ist ja nicht zu definieren. Es kommen von überall Dinge angeflogen. Und jede der FC-Größen hat nur den Klub im Kopf, und alle haben bestimmte Verbindungen miteinander. Das sind eigenartige Wirkungen, positiv wie negativ. Klüngel ist nicht greifbar, entweder hat man als Trainer nichts damit zu tun, oder man arrangiert sich. Ich habe versucht, es zu ändern, so wie andere auch. Aber sogar Welttrainer Weisweiler hat das nicht geschafft.

Warum mussten Sie den Klub schon in der nächsten Saison verlassen?

NEURURER: Wir sind im UI-Cup-Halbfinale unglücklich gegen Montpellier ausgeschieden und haben knapp den Uefa-Cup verpasst. Im Sommer war ich dann bei einem Länderspiel in der Ukraine und hatte von Präsident Klaus Hartmann den Auftrag, einen talentierten Stürmer zu finden. Ich habe mir einen ausgesucht: Andrej Schewtschenko, der 150 000 Mark kosten sollte.

Waren die Verträge mit dem Management schon ausgehandelt?

NEURURER: Es gab beim FC zu diesem Zeitpunkt keinen Manager. Plötzlich kam Karl-Heinz Rühl, obwohl ich Hartmann vorher gesagt hatte: Wenn der kommt, kann ich gehen, Neururer und Rühl - das geht nicht. Ich hatte in Kiew mit Trainer-Legende Walerij Lobanowski schon alles verhandelt und in Köln angerufen: Er kommt für ein Gehalt, das null und nichtig ist. Rühl sagte nur: Nein, du mit deinen Exoten! Schewtschenko ist wenig später für 37 Millionen zum AC Mailand gegangen. Und der FC abgestiegen.

Ist ein Grund für den schleichenden Niedergang, dass das Anspruchsdenken im Klub zu hoch ist?

NEURURER: Ich kann nur Dinge beurteilen, die ich selbst erlebt habe. Aber das Anspruchsdenken war auch schon zu meiner Fan-Zeit höher als das realistische Bezugsdenken, klar. Das macht den Verein aber auch liebenswert. So wie 1979, als nach dem Hinspiel im Europapokal-Halbfinale gegen Nottingham Forest schon Karten für das Endspiel verkauft wurden, an dem der FC dann gar nicht teilgenommen hat. Das resultiert auch daraus, dass der FC und speziell der damalige Präsident Franz Kremer nicht nur Mitbegründer der Liga waren, sondern Vorreiter. Ohne Kremer hätte es die Bundesliga nicht gegeben. Da ist es schwer in so einer Traumstadt wie Köln, die Träume mal flacher zu halten.

Schmerzt es Sie persönlich, die sportliche und wirtschaftliche Entwicklung des Klubs zu sehen?

NEURURER: Die Zeiten des Fan-Daseins sind vorbei. Sympathie ist noch da, die emotionale Bindung wie zum VfL habe ich aber nicht mehr. Zu der finanziellen Situation steht mir kein Urteil zu. Aber als ich noch TV-Experte war, habe ich den Satz von Toni Schumacher gehört, der FC müsse in diesem Jahr nicht aufsteigen. Da habe ich gedacht: Oh, das kann normalerweise nicht der Anspruch vom 1. FC Köln sein. Das war für mich als Sympathisant ein Alarmzeichen: Da muss etwas los sein.

In der jüngeren Vergangenheit wurde versucht, den Klüngel zu reduzieren und neue Wege zu gehen.

Neururer: Ja, aber da kommt ein Volker Finke, der hat vorher in Japan, Freiburg und Havelse gearbeitet. Das ist kein Vorwurf. Dann sagt er: "Der FC hat mit Stale Solbakken eines der größten Trainertalente Europas verpflichtet." Da wäre ich fast umgefallen. Der FC verpflichtet jetzt schon Trainertalente - also Trainer, die irgendwann einmal die Fähigkeit haben, einen Klub wie den FC zu trainieren. Talent kann ich noch so viel haben, das reicht nicht. Bundesliga muss man können. Aber eins, und das ist ja das Tolle, ist geblieben: Die Stadt liebt den Verein. Es geht los mit der Hymne, die singe ja sogar ich noch mit.

Mitten in den Kampf um den Aufstieg kommt das Spiel in Bochum mit Ihnen als Trainer. Ist dieses Spiel ein Geschenk für Sie nach drei Jahren ohne Trainerjob?

NEURURER: Mit Sicherheit wird es ein besonderes Spiel, von der Atmosphäre her ist es gefühlte Erste Liga, Spitzenniveau. Obwohl wir aktuell davon meilenweit entfernt sind.

Holger Stanislawski hat schon angekündigt, dass es auch an der Seitenlinie hoch hergehen könnte. Es gab ein wenig Ärger, nachdem Sie gesagt hatten, die Verpflichtung Stefan Maierhofers führe die Transferpolitik ad absurdum, und Christian Eichner spiele nicht, weil seine Einsatzprämie zu hoch sei.

NEURURER: Ich stehe zu dem, was ich sage. Ich habe mich aufgrund mir zugetragener Informationen als TV-Experte geäußert, nicht als Trainer. Aufregen kann sich jeder. Ich würde das Gleiche noch mal sagen, wenn ich die Informationen aus dem Klub-Umfeld erhalte. Das war meine Pflicht als TV-Experte. Stani und ich haben uns bislang immer freudig umarmt. Ich werde ja sehen, ob sich das geändert hat.

Wie fühlt es sich jetzt in Bochum an, nachdem Sie sich in den drei Jahren ohne Trainerjob eine Rückkehr in die Bundesliga ersehnt haben?

NEURURER: Das ist falsch. Gesehnt habe ich mich danach, wieder vernünftig zu arbeiten. Ich muss zum Glück ja nicht mehr alles machen. Und da gab es nur den FC, Schalke und Bochum. Morgens 'ne Runde Golf spielen, mit der Harley fahren und nach Marbella zu fliegen ist gigantisch. Aber nur zwei Monate. Wenn du aber noch so einen großen Drang in dir hast, dann bist du der frustrierteste Mensch, den es gibt. Und das war ich. Ich hab meinen Gärtner beschimpft, weil der Rasen nicht richtig geschnitten war. Ich habe mich über Fliegen an der Wand aufgeregt, obwohl gar keine Fliegen da waren. Ich musste mich ja über etwas aufregen, ich hatte ja sonst nichts mehr.

Gab es keine Anfragen?

NEURURER: Doch, aber mal stimmte der Aufwand nicht. Oder es hatte politische Gründe. Nationaltrainer im Iran zu werden war für mich nicht vertretbar. Ich hatte fast abgeschlossen, dann hat der VfL angerufen.

Im Juni 2012 lagen Sie nach einem Herzinfarkt vier Tage im Koma. Gab es danach nicht Überlegungen, sich einmal zur Ruhe zu setzen?

NEURURER: Ich bin einen Tag vorher durchgecheckt worden und hatte die besten Werte, die man sich vorstellen kann. Aber nach vier Wochen Reha war alles wieder erledigt. So etwas kann jeden treffen, meine Lebensplanung hat das nicht betroffen. Nur mit dem Rauchen habe ich aufgehört. Ich bin topfit, sie haben den Stecker neu aufgeladen. Jetzt geht's weiter.

Hatten Sie Selbstzweifel, als Sie das erste Mal wieder vor eine Mannschaft getreten sind?

NEURURER: Selbstzweifel? Mit Sicherheit nicht. Das ist das Einzige, was ich vielleicht an meiner eigenen Person kritisieren müsste. Bei mir kann alles auftreten, Selbstzweifel mit Sicherheit nie. Da ist mein Selbstwertgefühl teilweise übersteigert. Das hat mich bei einigen Leuten unsympathisch erscheinen lassen.

Wie die Aussage, dass Sie eigentlich Real Madrid trainieren müssten ...

NEURURER: Zu der Aussage stehe ich. Wobei Real Madrid ja nicht mehr das Maß aller Dinge ist, sondern Bayern München.

Muss sich auch ein Peter Neururer der Entwicklung im Fußball und der Zeit ein wenig anpassen?

NEURURER: Die Zeit muss sich an mich anpassen (lacht). Nehmen Sie den Begriff Matchplan. Da kriege ich so einen Hals. Ich finde es ja toll, dass Trainer einen Matchplan haben. Aber wer kommt auf die Idee, das als etwas Besonderes darzustellen? Wobei das die Trainer selbst gar nicht getan haben. Noch ein Beispiel: Wenn ich so Dinge höre wie Konzepttrainer, dann werde ich wahnsinnig. Klar hat man immer ein Konzept, aber dann guckt man sich am ersten Tag die neue Mannschaft an und merkt, dass für das Konzept ein Stürmer, ein Außenverteidiger und ein Sechser fehlen. Das Konzept gibt immer der Verein aus, niemals der Trainer.

Bei Christoph Daum in Frankfurt und Otto Rehhagel in Berlin hat das nicht geklappt. Sie haben drei Siege aus drei Spielen geholt. Was haben Sie beim VfL verändert? Ihr Spieler Kramer hat gesagt, er glaube, er habe einen Zauberer auf der Bank.

NEURURER: Er wird nie mehr spielen (lacht). Wir haben noch nichts erreicht, meine effektive Leistung kann man am Ende der Saison beurteilen. Vielleicht denken einige Spieler: Der Alte ist da, uns kann nichts mehr passieren. Das ist natürlich totaler Quatsch. Aber wenn ich ihnen in der Wackelsituation Halt gebe, ist das hilfreich. Es ist falsch, mir den Erfolg zuzuschieben. Das Positive an der Euphorie ist, dass das Team weiß: Wenn sie verliert, verliere ich. Ich bekomme auf die Fresse. Die Schlagzeilen vom sich abnutzenden Feuerwehrmann kenne ich doch.

Ist es dennoch eine Genugtuung, als Trainer vom Abstellgleis nun die Liga aufzumischen?

NEURURER: Wem gegenüber soll ich Genugtuung empfinden? Ich stecke in einer Schublade, da komme ich doch eh nicht mehr raus. Das wird sich nicht mehr ändern, da kann ich wunderbar mit leben.

Gab es die FC-Bettwäsche eigentlich wirklich?

NEURURER: Klar, die gab es. Die Bettwäsche und einen richtig schweren Bronze-Geißbock. Den habe ich irgendwann mal bei einer Feier 1978 im Geißbockheim wahrscheinlich geklaut. Am Ende meines Studiums bin ich zu meiner späteren Frau gezogen und hatte alles dabei, was ich besaß: Eine Plastiktüte mit Unterwäsche und den Geißbock. Als sie mich am Eingang gesehen hat, sagte sie: Du kannst alles mitbringen, aber die Ziege kommt mir nicht ins Haus.

Gibt es den Geißbock noch?

NEURURER: Die Ziege kam immer mit. Als ich dann aber beim FC gearbeitet hab, habe ich zu meiner Frau gesagt: Wenn du Hennes in der Gegenwart der FC-Verantwortlichen als Ziege bezeichnest, bin ich den Job sofort los. Nach meinem Rauswurf habe ich ihn aber verschenkt.

Das Gespräch führte Michael Krämer

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