Schulz und Wehrle im Interview„Die Gesellschaft braucht Fußball-Klubs“

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SPD-Politiker Martin Schulz (l.) und FC-Geschäftsführer Alexander Wehrle gehören der Task Force der Deutschen Fußball-Liga an.

  • Im Doppel-Interview sprechen SPD-Politiker Martin Schulz und FC-Geschäftsführer Alexander Wehrle über die Pandemie und den Fußball.
  • Beide gehören der Task Force der deutschen Fußball-Liga an.

Herr Schulz, wie ist es zu Ihrem Engagement in der Task Force Profifußball der DFL gekommen? Martin Schulz: Christian Seifert und Alexander Wehrle haben mich angesprochen, weil ich auf der europäischen Ebene einige Erfahrungen habe. In Kombination mit dem, was ich als Beiratsmitglied des 1. FC Köln über den Profifußball in Deutschland gelernt habe, war das für die DFL offenbar ganz interessant.

Wie haben Sie sich einbringen können?

Schulz: Ich glaube, dass die erarbeiteten Reformschritte nur zu einem geringen Teil national zu lösen sind. Wenn man an Gehaltsgrenzen denkt oder eine Regulierung der Beraterprovisionen, braucht es europäische Lösungen. Denn wenn der deutsche Fußball allein Regelungen verabschiedete und andere Länder nicht mitzögen, bedeutete das einen Wettbewerbsnachteil für die deutschen Klubs. Darum sollte von Beginn an die europäische Ebene mitgedacht werden, darum habe ich mitgewirkt. Hinzu kommt, dass man als Politiker einen besonderen Blick hat auf die soziale und gesellschaftliche Rolle, die der Profifußball heute spielt.

Wie nehmen Sie die Geldflüsse im Fußball wahr?

Schulz: Ich finde es befremdlich, in welchen Größenordnungen sich Ablösesummen und Spielergehälter entwickelt haben. Ablösen jenseits der 100 Millionen Euro; Spieler die in einem Monat mehr verdienen als manche Menschen in zehn Jahren. Das ist befremdlich und stößt auf immer mehr Kritik und Unverständnis. Durch die Pandemie ist  nun deutlich geworden, dass dieses Volumen kaum noch zu stemmen ist und die Vereine unter dem Finanzdruck leiden.

Alexander Wehrle: Gerade bei den Punkten, die wir zum Thema wirtschaftliche und finanzielle Stabilität besprochen haben, geht es um Reformen auf europäischer Ebene. Das ist auch die Ansicht des DFL-Präsidiums. Es gibt von der Fifa zum Beispiel die Bestrebungen, die Beraterhonorare auf sechs Prozent des Einkommens eines Profis im Jahr zu deckeln und zwischen Verein und Spieler aufzuteilen. Damit einher gehen allerdings extrem komplexe juristische Fragestellungen im europäischen Kontext auch mit Blick auf wirkungsvolle Sanktionsmechanismen. Für mich ist klar: Wir im deutschen Fußball müssen gemeinsame Positionen finden – und anschließend international vertreten, am besten zusammen mit anderen Ligen.

Wie wird es nach der Pandemie weitergehen mit der finanziellen Entwicklung im Profifußall? Spieler und Klubchefs verzichte derzeit in vielen Vereinen auf Teile ihrer Gehälter.

Wehrle: Wir werden allein durch die fehlenden Zuschauereinnahmen über die beiden Spielzeiten hinweg mehr als 40 Millionen Euro Umsatzverlust verbuchen. Da war es zum Beispiel beim 1. FC Köln kein großes Thema, mit unserem Spielerrat über einen Gehaltsverzicht bis Juni zu reden. Das Verständnis bei unserer Mannschaft ist absolut da. Blickt man auf das große Ganze im Fußball so müssen wir langfristig aufpassen, dass wir uns nicht zu sehr von der Gesellschaft, von unseren Fans, die auf der Tribüne stehen, entfernen. Denn Ablösen von 222 Millionen Euro – das versteht kein Mensch mehr.

Schulz: In Folge der Pandemie werden wir darauf achten müssen, dass die sich Wettbewerbsverzerrungen, die es auf nationaler Ebene schon jetzt gibt, nicht noch weiter verschärfen. Es gibt Klubs, die sehr gut durch die Pandemie kommen. Wenn die im Verhältnis zu den Vereinen, die angegriffen aus der Pandemie kommen, eben keinen Gehaltsverzicht brauchen, werden die, die ohnehin schon mehr haben, Mannschaften zusammenstellen können, mit denen andere dann endgültig nicht mehr konkurrieren können. Durch die  Erfolge werden diese Klubs noch mehr Geld generieren. Der Abstand würde sich vergrößern.

Wehrle: Aufgrund von Corona sind wir einerseits dazu angehalten, nachhaltiger zu wirtschaften. Andererseits könnten Investorenklubs in Zukunft sogar noch begünstigt werden, sollte die Uefa die Regeln des Financial Fairplay aufweichen. Darüber mache ich mir in der Tat Sorgen. Glücklicherweise sehen das unsere Spitzenvereine wieder FC Bayern oder Borussia Dortmund genauso. 

Der 1. FC Köln könnte sich allerdings auch selbst für Investoren öffnen.

Wehrle: Wir haben eine klare Position: Wir sind ein Mitglieder-geführter Verein, deshalb stellt sich die Frage gegenwärtig für uns nicht. Man muss den Wettbewerb im Auge behalten, aber unsere Position zum Thema Investoren ist klar.

Schulz: Diese Frage müssen Sie an den Vorstand des 1.FC Köln richten. Dessen Position hat Herr Wehrle ja gerade vorgetragen. Der 1. FC Köln ist auch nicht der einzige Mitglieder-geführte Klub. Aber wir stecken insgesamt in einer komplexen Lage, das hat sich auch in den Gesprächen der Task Force ergeben. Es lastet ein ungeheurer ökonomischer Druck auf den Managern der Profivereine. Und dann gibt es die Fans, die idealistischen Vorstellungen nachhängen, die mir sehr sympathisch sind. Die aber von ihren Vereinen auch fordern, ein regionaler Klub zu bleiben, auf dessen Erfolge man stolz sein kann. Der aber gleichzeitig nicht von fremdem Geld abhängig ist. Das führt wiederum dazu, dass die Vereine angesichts der finanziellen Möglichkeiten nicht so erfolgreich sein können, wie die Fans es gern hätten. Diese Frustspirale auf beiden Seiten ist auch durch die Arbeit der Task Force nicht durchbrochen worden. Beide Seiten haben gute Argumente. Ich selbst bin mit dem 1. FC Köln aufgewachsen, das ist mein Verein, für den mein Herz schlägt. Ich würde mir natürlich wünschen, dass der FC Deutscher Meister wird, sehe aber selbstverständlich auch, dass sich der Klub keine Mannschaft leisten kann, mit der man Meister wird.

Sie wünschen sich einen erfolgreicheren FC, doch der steht mit Klubs im Wettbewerb, die unter unterschiedlichen Voraussetzungen teilnehmen.

Schulz: Ja, das ist so. Wenn es keine Wettbewerbsgleichheit mehr gibt, haben wir eine Mehrklassengesellschaft. Und objektiv ist es so, dass wir in der Bundesliga Verzerrungen haben. Viele Klubs aus dem Mittelfeld und dem Tabellenkeller sind kaum noch in der Lage, langfristig mit den dicken Fischen mitzuhalten. Diese Kapital-Akkumulation bei einigen Wenigen führt erfahrungsgemäß irgendwann zur Revolte der anderen. Diese Revolte gab es in der Task Force allerdings nicht. Aber es wurden erste Schritte getan, um Wettbewerbsgleichheit zumindest anzustreben.

Wehrle: Auch bei der nationalen TV-Verteilung hatten wir teilweise eine sehr emotional geführte Debatte. Wir werden auch hier die wirtschaftlichen Unterschiede, die in den vergangenen Jahren entstanden sind, nicht von heute auf morgen beseitigen. Aber wir müssen uns auf den Weg dorthin begeben. Das war ein erster Schritt – auch wenn ich mir mehr gewünscht hätte.

Was genau?

Wehrle: Gerade was die internationale Ausschüttung der TV-Gelder angeht, hätte ich mir noch mehr Solidarität gewünscht. Am Ende gab es einen Kompromiss, den wir mitgetragen haben. Ein Beispiel: Als Champions-League-Sieger kann man bis zu 130 Millionen Euro einnehmen. In einem einzigen Wettbewerb! Das ist so viel wie andere Vereine als Gesamtumsatz ausweisen. Daher müssen auch die Klubs, die nicht an dem Wettbewerb teilnehmen, mehr profitieren.

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Schulz: Auf der europäischen Ebene gibt es folgendes Problem: Es gibt keine Rahmensetzung wirtschaftsrechtlicher Art für Profiklubs. In der Task Force ist noch einmal deutlich geworden: Für die einen ist ein Klub wie der 1. FC Köln ein Verein, der einen regionalen Auftrag und eine bestimmte Erwartungshaltung von seinen Fans hat. Und für die anderen ist er ein Wirtschaftsunternehmen, das möglichst in einem internationalen Wettbewerb erfolgreich bestehen muss. Dieses Dilemma lässt sich nicht ohne weiteres auflösen. Und auf Dauer kann das nicht gutgehen. Deshalb glaube ich, dass wir eine integrale Reform des Fußballs brauchen, national wie international.

Vereine wie den FC trifft es wirtschaftlich noch mehr als die großen Klubs, seit einem Jahr auf Zuschauer verzichten zu müssen. Wann rechnen Sie mit einer Rückkehr der Fans?

Schulz: Erst einmal: Ich leide wie ein Hund. Ein Derbysieg des FC in Gladbach ist eigentlich ein berauschendes Erlebnis. Wenn der aber vor leeren Rängen erzielt wird, ist das grauenvoll. Aus meiner Sicht braucht die Gesellschaft Fußballklubs. Und ich weiß, dass die Klubs Zuschauer brauchen. Das leere Stadion ist für die nicht so starken Vereine zudem ein weiterer Wettbewerbsnachteil. Denn 50 000 Zuschauer, die bedingungslos hinter dem Außenseiter stehen, haben einen Einfluss auf das Spiel und können dazu beitragen, dass dieser den stärkeren Gegner auch mal ärgern oder besiegen kann.

Wann rechnen Sie denn mit einer Rückkehr der Zuschauer in die Stadien?

Schulz: Wenn der Impfstart effektiver gewesen wäre hätte ich Hoffnung auf eine frühere Rückkehr. Dennoch glaube ich, dass wir irgendwann im Juli mehr als die Hälfte der impffähigen Menschen auch tatsächlich geimpft haben werden. Ich könnte mir vorstellen, dass wir mit Beginn der neuen Saison eine beträchtliche Anzahl von Zuschauern wieder in die Stadien lassen können, Geimpfte und Genesene sowieso. Sobald die Impfungen einigermaßen vorangeschritten sind, wird allgemein in der Gesellschaft ein Druck entstehen, auch größere Veranstaltungen wieder zuzulassen. Und diesem Druck wird man sich gar nicht verweigern können.

Herr Schulz, sie waren einige Jahre Beiratsmitglied beim 1. FC Köln. Können Sie sich vorstellen, sich nach dem Ausscheiden aus dem Bundestag noch einmal bei Ihrem Lieblingsklub zu engagieren?

Schulz: Ich war Mitglied im Beirat. Dann wurde die Entscheidung getroffen keine Politiker mehr in den Beirat zu berufen. Damit hat sich ihre Frage erledigt. Ich werde meinem FC allerdings weiterhin helfen wo ich helfen kann.

Sie kennen Alexander Wehrle lange. Er ist seit mittlerweile über acht Jahren beim FC. Aktuell wird er immer mal wieder mit der DFL oder anderen Klubs in Verbindung gebracht. Was würde sein Weggang für den Verein bedeuten?

Schulz: Aus meiner Sicht ist Alex Wehrle für den FC ein großer Gewinn. Der Verein wurde von ihm bisher sehr gut geführt. Es wäre daher ein großer Verlust für den FC, wenn er den Klub verlassen würde. Aus der Ferne beobachte ich, was da gerade beim FC abläuft. Alex Wehrle sieht sich da manchmal, vor allem in den sozialen Netzwerken, Attacken ausgesetzt, die wirklich unangemessen und unter der Gürtellinie sind. Das ist sehr schade, denn er leistet für den FC eine gute Arbeit.

Machen Sie sich Sorgen um den FC?

Schulz: Sportlich muss man sich aufgrund der Platzierung und des Restprogramms Sorgen machen. Ich drücke die Daumen, dass es in dieser Saison doch noch gut geht.

Zur Person:

Martin Schulz (65) war von 1994 bis 2017 Mitglied der Europäischen Union und von 2012 bis 2017 dessen Präsident. Der ehemalige Bürgermeister aus Würselen gehörte von 1999 bis 2018 durchgehend dem Bundesvorstand und dem Parteipräsidium der SPD an. Von 2017 bis 2018 amtierte er als SPD-Parteivorsitzender und war 2017 ihr Kanzler-Kandidat. Schulz ist bekennender Fan des 1. FC Köln und gehörte bis Oktober 2019 dem Beirat des Klubs an.

Alexander Wehrle (45) ist seit Januar 2013 Geschäftsführer des 1. FC Köln. Zuvor war der gebürtige Schwabe beim VfB Stuttgart tätig. Seit August 2019 gehört Wehrle dem Präsidium der Deutschen Fußball-Liga an. Sein Vertrag beim FC läuft noch bis zum 30. Juni 2023.

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