Ultras vom 1. FC KölnSo zelebrierten die „Boyz“ ihre Auflösung – wie geht es weiter?

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Gesichter des Fußballs: Die „Boyz“ bei ihrer Vereinsarbeit.

Köln – Das Ende ihres 17-jährigen Treibens haben die „Boyz“ minuziös geplant. Es soll kein stiller Abgang werden, sie wollen ihre Auflösung zelebrieren, so viel ist klar. Und so sammeln sich am Samstagmittag, vor dem Anpfiff zum Spiel gegen Mainz 05, rund 1000 Meter vom Stadion entfernt, ungefähr 400 Ultras am Militärring/Ecke Junkersdorfer Straße. Aus Richtung Stadion kommen 300 Ultras verschiedener Kölner Gruppierungen, die sich mit den „Boyz“ solidarisch erklären. Die übrigen 100 stoßen aus Richtung Aachener Straße dazu, es sind die knapp 60 „Boyz“, dazu Mitglieder befreundeter Ultras von Borussia Dortmund. Anschließend marschieren sie geschlossen in Richtung des Stadions, „aufreizend lässig“, beschreibt es ein Beobachter.

Vor der Südkurve, noch außerhalb des Rhein-Energie-Stadions, sammelt sich die Gruppe zu einer Art Abschiedskundgebung. Der Mitgründer der „Boyz“ gibt bekannt, dass die Gruppe fortan nicht mehr existiert. So will es der „Kodex“, den die Ultra-Szene sich selbst gegeben hat, eine Art ungeschriebenes Gesetz: Gerät die eigene Zaunfahne in die Hände gegnerischer Fans, muss die Gruppe sich auflösen.

Fahnen-Klau der Gladbacher als Vergeltungsakt

Der Fahnen-Klau war ein Vergeltungsakt. Beim Heimspiel gegen Borussia Mönchengladbach im Januar dieses Jahres hatten sich FC-Fans als Ordner verkleidet und die Zaunfahne der Gladbacher Ultra-Gruppe „Scenario Fanatico“ gestohlen, die sich danach kodexgemäß auflöste. Nachdem Gladbach-Anhänger den „Boyz“ beim FC-Spiel in Hoffenheim am 31. März das Banner geklaut haben, hat es nun auch die Kölner erwischt. Und natürlich nehmen die „Boyz“, eine der einflussreichsten und gefürchtetsten Ultra-Gruppen in Deutschland, die kruden Spielregeln sehr ernst. Man werde dennoch weiterhin alles für den FC geben, kündigt der „Boyz“-Chef an. Applaus, Schulterklopfen, Umarmungen, Küsschen links, Küsschen rechts. Dann wird das Kapitel „Boyz“ geschlossen.

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Der 1.FC Köln will sich zur Auflösung offiziell nicht äußern. Man habe davon erfahren, hieß es. Mehr nicht. Das kann kaum verwundern, denn zwischen dem Verein und den Stimmungsmachern von der Südkurve herrscht seit vergangenem Sommer Eiszeit.

Mit den „Boyz“ an sich habe der Konflikt nichts zu tun, ist aus Vereinskreisen zu hören. Nach den Stadionverboten gegen 64 Anhänger, die der FC wegen des Einsatzes von Pyrotechnik beim U21-Spiel gegen Rot-Weiss Essen verhängt hatte, haben sämtliche Kölner Ultragruppen den Dialog mit dem Verein abgebrochen.

„Boyz“-Aktionen immer wieder in den Schlagzeilen

„Wir wollen keine Lobeshymnen anstimmen, aber die »Boyz« haben sich zuletzt ruhig und kooperativ verhalten“, heißt es dennoch aus dem Klub. Ganz korrekt ist das allerdings nicht: Vor zwei Wochen erst musste sich ein Vorsänger der „Boyz“ vor der Stadionverbotskommission des FC verantworten. Zusammen mit einem Vorsänger der Wilden Horde, der größten FC-Ultragruppierung, soll er während des Spiels gegen den VfB Stuttgart Gästetorwart Ron-Robert Zieler aufgefordert haben, er solle es doch wie Robert Enke machen – der Torwart von Hannover 96 hatte sich wegen Depressionen das Leben genommen. Allerdings konnte der FC dem „Boyz“-Vorsänger sein Vergehen nicht zweifelsfrei nachweisen. Der Vertreter der Wilden Horde erhielt zwei Jahre Stadionverbot.

Die Kölner Fan-Gruppierungen

Die Wilde Horde ist die bekannteste Ultra-Fan-Gruppe des 1. FC Köln. Sie stellt bei jedem Heimspiel in der Südkurve den Vorsänger. Die Gruppe gründete sich 1996 und ist maßgeblich an den Fan-Choreographien beteiligt.

Die Boyz Köln sind eine der größten Ultra-Gruppierungen des1. FC Köln. Sie gründeten sich 2001. Ihr Name steht in Verbindung mit dem Platzsturm in Maleranzügen 2015 sowie den Beleidigungen gegen den Stuttgarter Torhüter Ron-Robert Zieler.

Die Coloniacs gingen 2009 aus der Wilden Horde hervor. Sie gelten als politisch links und bestehen aus jüngeren Fans. Bei Heimspielen geben die Coloniacs das Magazin „Kallendresser“ heraus.

Die Revolte 0221 machte beim Fahnenklau gegen Mönchengladbach auf sich aufmerksam. Laut Polizei besteht hier eine Radikalisierungstendenz. Dafür spricht auch eine Solidarisierung mit der inzwischen aufgelösten Dortmunder Hooligan-Gemeinschaft „Riot 0231“.

In der Vergangenheit landeten die „Boyz“ wegen ihrer Aktionen immer wieder in den Schlagzeilen. Da sind etwa die Bilder vom Platzsturm 2015 beim Derby in Gladbach, als unter anderem „Boyz“ vermummt und in Maleranzügen auf die Wiese rannten und wild um sich schlugen. Nach dem Vorfall hatte der 1. FC Köln den „Boyz“ mit sofortiger Wirkung den Fanklub-Status entzogen und sie aus der AG Fankultur ausgeschlossen. Auch bei der Massenschlägerei vor dem Testspiel gegen Schalke am Rudolfplatz im Januar 2014 waren „Boyz“ beteiligt.

Kontakte zu Neo-Nazis?

Mit dabei waren damals auch „Desperados“ aus Dortmund, mit denen die „Boyz“ seit Jahren eine Art Freundschaft pflegen. Beiden Gruppen wird eine rechte Gesinnung nachgesagt. So wie manche Dortmunder sollen auch einige „Boyz“ Kontakte zu Denis Nikitin unterhalten haben, einem russischen Hooligan, Käfig-Kämpfer und Chef der Neonazi-Klamottenmarke „White Rex“.

T-Shirts des Labels fand die Polizei auch bei einem Einsatz in Pulheim-Stommeln Ende April 2017. Dort hatten 200 gewaltbereite FC-Anhänger auf einen Zug mit Gladbach-Fans gewartet, die auf dem Rückweg vom Auswärtsspiel in Mainz waren. Aus dem Umfeld des FC heißt es, man wisse um vereinzelte Kontakte in die rechte Szene. Aber deshalb zu behaupten, die „Boyz“ seien generell eine Neonazi-Truppe, sei falsch.

Wie geht es weiter?

Was aus den rund 60 Mitgliedern der „Boyz“ wird, ist unklar. Einige könnten sich anderen Ultra-Gruppen in der Südkurve anschließen. Auch eine Neugründung unter neuem Namen ist denkbar. Vielleicht zehn Mitglieder oder auch mehr, schätzt ein Insider, könnten die Auflösung aber auch als Gelegenheit nutzen, endlich aus der Szene auszusteigen. „Einige haben ja inzwischen Familie. Um ihr Gesicht zu wahren, könnten sie ihren Rückzug sogar glaubhaft mit dem Argument begründen: Entweder »Boyz« oder gar nicht, heißt es.

In Sicherheitskreisen hält man gar eine Art Revolution innerhalb der Kölner Ultra-Bewegung für denkbar. Vorstellbar sei, dass alle verbliebenen Ultra-Gruppen sich nun mit den ehemaligen „Boyz“ zu einer einzigen großen Gruppierung zusammenschlössen.

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