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Wolfgang Niedecken im Interview„Fußball ist ein ästhetisches Vergnügen“

Lesezeit 11 Minuten
PIC Niedecken

Wolfgang Niedecken ist ein bekennender Fan des 1. FC Köln.

Köln  – Herr Niedecken, finden Sie eigentlich, dass beim FC genug BAP läuft?

Manchmal läuft ja was, „FC, jeff Jas“ vor allem, aber auch „Verdamp lang her“. Es gab im Februar diese Choreographie vor dem Spiel gegen Frankfurt. Da tauchten Bilder auf der Südtribüne auf mit großen Momenten der FC-Geschichte, und dazu lief „Verdamp lang her“. Das war großartig, und irgendwann fiel mir auf, dass ich das ja war, der da sang. Das hat mich total gerührt. Ich wurde dabei gefilmt, zufällig. Da wollte jemand eigentlich nur mit dem Handy die Choreographie filmen. Und in dem Video sieht man dann einen gerührten Niedecken.

Weinend.

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Das nicht ganz. Aber man sieht mir schon an, dass ich sehr gerührt bin.

Haben Sie schon mal wegen des FC geweint?

Ja, beim ersten Abstieg. Da waren wir mit der Band auf Elba und haben am neuen Album gearbeitet. Es war ja eigentlich schon eine Woche vorher klar, dass wir absteigen würden, nach der Niederlage in Bielefeld. Eine Viertelstunde nach Spielende, rief mich der Toni Polster an: Und sagte: „...du, Wolferl... wir ham’s nimmer g’schafft..“ Man glaubt ja bis zum letzten Moment an Wunder. Als es dann soweit war, wollte ich nur noch allein sein. Ich bin dann einfach mit meinem Motorrad über die Insel gefahren. Es hat auch niemand gewagt, mich anzusprechen. Obwohl wir ja zwei Leverkusen-Fans in der Band hatten. Aber da kam kein blöder Spruch. Die wussten: So etwas tut man dann nicht. Das war eine ganz pietätvolle Stimmung. Aber während ich auf dem Motorrad saß, sind mir die Tränen übers Gesicht gelaufen.

Wie sind Ihre frühen Erinnerungen an den FC?

Mein älterer Bruder und mein Vater haben sich immer die Übertragungen im Radio angehört, während ich auf dem Wohnzimmerteppich mit meinen Autos gespielt habe. Dann entwickelt man ein Gefühl dafür, was man gut zu finden hat. Das hat mich infiziert. Wenn der FC verloren hatte, sind wir anschließend auf die Straße und haben das Spiel so lange nachgespielt, bis der FC doch noch gewonnen hatte. Da war ich Hans Schäfer. Man murmelt als kleiner Junge ja die Namen seiner Helden vor sich hin, wenn man am Ball ist. Und ich war dann der Hans.

„Flohe war besser als Overath“

Ist Hans Schäfer der Mann, der Sie mit dem FC verbunden hat?

Der Held meiner Kindheit war der Hans. Der Held meiner Jugend der Wolfgang Weber. Danach brauchte ich keine Helden mehr. Später habe ich zwar noch mitgelitten. Aber die Heldenverehrung ist mir ein bisschen abhanden gekommen.

Beim Double 1978 waren Sie 27 Jahre alt. Keine Helden für Sie dabei?

Gut, Heinz Flohe kannte ich sogar indirekt, weil ein Freund von mir mit ihm zusammen in Euskirchen gespielt hat. Das war dann aber nicht mehr so ein Anbetungsding, den fand man einfach nur super. Heinz Flohe war der beste Techniker, den der FC jemals gehabt hat.

Dann muss natürlich jetzt die Frage kommen: War er besser als Overath?

Ich fürchte: ja. Der Weisweiler wusste schon, was er tat. Aber da vergleichen wir Äpfel mit Birnen. Overath war ein unglaublicher Leitwolf, der Heinz Flohe überhaupt nicht. Vom technischen her: unfassbar, der Flohe.

Wie sind Sie im Stadion? Ist Fußball eine ernste Sache?

Wenn ich Fußball gucke, will ich das in Ruhe tun. Weil es für mich auch ein ästhetisches Vergnügen ist. Manchmal zumindest. In dem Zeitraum, in denen wir drohten, sogar aus der Zweiten Liga abzusteigen, natürlich weniger. Da sah das ja alles eher nach Schulhof aus. Aber grundsätzlich: Andere gehen ins Ballett, um Hochkultur zu erleben. Und ich gehe zum Fußball.

Also empfinden Sie Fußball als Kunst?

Es ist ein ästhetisches Vergnügen. Ein perfekt funktionierendes Fußballspiel – das ist durchaus Kunst.

Im Lied „Ne schöne Jrooß“ zeichnen Sie das Bild eines furchtbaren Typen. Engstirnig, spießig. Und dann singen Sie, der habe eine Stehplatz-Mitte-Jahreskarte beim FC. Was hatten Sie gegen die Leute auf Stehplatz-Mitte?

Gar nichts. Als es die Stehplätze noch gab, stand ich ja selbst immer dort. Direkt neben der Südkurve hinter der Eckfahne. Wenn man einen Song schreibt, setzt man Charaktere zusammen. Und auf Stehplatz-Mitte gab es eben diese Leute, die nichts als Fußball im Kopf hatten und davon ihr Glück abhängig machten. Dieser total verengte Blick auf den Fußball, der ist mir dann doch suspekt. Da Frage ich mich: Haben die nichts anderes? So verbittertes Fantum, das war für mich immer schon unerträglich. Klar, wenn der FC verloren hat, dann sieht meine Frau mir schon an, wie das Spiel ausgegangen ist. Aber ich bin grundsätzlich fest entschlossen, meine Familie nicht darunter leiden zu lassen, wenn der FC verliert. Und das gelingt mir immer öfter.

Passt ein erfolgreicher FC eigentlich zu Ihnen? In Ihren Liedern geht es oft um Situationen, in denen man am Boden liegt, aber auf Besserung hofft.

Die Abstiegsversion von „FC, jeff Jas“ beschreibt ja genau das. Ich hatte damals wirklich Sorge, dass die Fans von der Fahne und nach Leverkusen gehen würden. Was für ein unglaublicher Irrtum! Aber ich dachte damals tatsächlich, ich müsste ein Lied schreiben, um die Leute bei der Stange zu halten: „He weed nit resigniert!“ Und den urkölschen Anspruch, dass man was zum Feiern haben will. „Mir wolle fiere“.

Gehen Sie mit dem Anspruch ins Stadion, etwas zu feiern?

Viele Leute wollen in erster Linie feiern. Es gab ja Zeiten, in denen es hieß, die Dreiviertelstunde vor dem Anpfiff sei der Hammer – wenn bloß das Spiel nicht käme.

Wo kommt das her?

Der Kölner liebt wie kaum ein anderer seine Stadt. Darum geht es in meinem neuen Lied „Dausende vun Liebesleeder“. Ich habe noch nirgendwo erlebt, dass Menschen dermaßen in ihre Stadt verschossen sind wie die Kölner. Das manifestiert sich ja in den ganzen Liedern, von denen viele wirklich gut sind. Es gibt schlechte und auch furchtbar schlechte, ist ja auch Kitsch dabei. Aber der Wille ist da, der Stadt zu huldigen. Wenn nach einem verlorenen Spiel die Südkurve „En unserem Veedel“ von den Fööss singt, dann krieg ich einen Kloß im Hals. Das ist doch sagenhaft. In anderen Stadien müssen die sich behelfen. Das brauchen wir nicht. Wir haben unser eigenes „You’ll never walk alone“; wir mussten das nicht in Liverpool klauen wie Borussia Dortmund oder St. Pauli. Wir haben et Veedel.

„Ich bin kein Auftragskiller“

Wie finden Sie eigentlich die FC-Hymne?

Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt. Sogar daran, dass die ein Leverkusen-Fan singt. Es gibt viele schöne Zeilen in dem Lied. Ich kann es trotzdem nicht mitsingen, weil da einfach zu viele Zeilen drin sind, bei denen ich denke: Mensch, was ist das denn für ein Kölsch? Und es ist viel aus der Abteilung „Reim dich oder ich fress dich“ dabei. Aber „Nippes, Poll, Esch, Pesch und Kalk“, das finde ich wirklich schön, das rollt. Wir sind damals auch gefragt worden, ob wir eine Hymne für den FC schreiben wollen. Aber ich bin kein Auftragskiller. Würde bei mir nicht funktionieren. Ich könnte auch nicht auf einen Auftrag hin ein Liebeslied schreiben. Ich mag es, wenn alle mitsingen und die Schals hochgehen. Aber am liebsten habe ich im Stadion die Lieder, die gar nichts mit Fußball zu tun haben.

Zum Beispiel?

„Mir sin Kölsche Junge“. Dass sowas im Stadion zur Anwendung kommt, das ist so unfassbar komisch. Dass da gesungen wird: „Wir sind kölsche Jungen, haben Spitzenhöschen an.“ Das ist doch Wahnsinn. Als Willy Millowitsch hier am Chlodwigplatz beim „Arsch huh“-Konzert aufgetreten ist, haben die Höhner „Ich bin ene Kölsche Jung“ angestimmt. Aber die Leute haben gesungen: „Mir sin kölsche Junge“. Da war das Lied plötzlich ein antifaschistisches Statement. So geil!

Sozusagen das Schweizer Taschenmesser unter den Kölschen Liedern.

Das ist es! Das Schweizer Taschenmesser. Super, das werde ich mir merken. Und im Stadion taucht das dann als Fußballlied auf. Oder et Trömmelche, weil es so schön auf Kölle Alaaf endet. Oder der Treue Husar. Das ist die reine Anbetung der Stadt. Oder wenn die gegnerischen Fans singen: „Hauptstadt der Schwulen, ihr seid die Hauptstadt der Schwulen“. Und die Südkurve antwortet: „Hauptstadt der Schwulen, wir sind die Haupt der Schwulen“. Hey – da sage ich: Ja, in dieser Stadt will ich leben.

Könnten Sie eine Hymne schreiben, die überhaupt nicht gebrochen ist?

Nein. Nicht gebrochene Lieder sind in der Regel Kitsch. Unser Leben besteht aus ganz vielen Situationen, in denen man verliert. Das Leben besteht auch aus Brüchen.

Wäre es dann nicht ein Ansatz, die Situation von vor ein paar Jahren zu nehmen, als der Verein janz kapott war, und nun eine Hymne über erfüllte Hoffnungen zu schreiben? Wo es doch jetzt wieder läuft beim FC?

Ja, vielleicht. Aber ich glaube, dass die Höhnerhymne zu sehr etabliert ist. Die ist ja auch in Ordnung. Obwohl ich wirklich über Jahre Probleme damit hatte. Das gebe ich gern zu. Hätte der Janus Fröhlich die gesungen, der ja wirklich in FC-Bettwäsche schläft, dann wäre das okay gewesen. Ich wollte damals auch nicht, dass der Leverkusen-Fan Major Heuser bei „FC, jeff Jas“ mitspielt. Ich wollte das nur mit Leuten aufnehmen, die dahinterstehen.

Dafür waren Stefan Raab dabei und Guildo Horn.

Ja, echte FC-Fans. Wir haben damals ein Video gemacht bei einem Pokalspiel, das wir verloren haben. Aber das war mir egal, weil ich dabei den Hans Schäfer kennengelernt habe. Er saß neben mir und hat mir erklärt, was da auf dem Rasen abging. Das war, als würde einem Chuck Berry erklären, was die Stones da gerade auf der Bühne machen. Als säße ich neben Tarzan. Ein totaler Held. Meine Frau musste das ja alles erst lernen mit den FC-Helden. Wir haben zu Hause eine Kaffeedose mit der Doublemannschaft drauf. Und wenn wir früher einen der Spieler trafen, habe ich immer zu meiner Frau gesagt: „Das ist einer von der Kaffeedose“.

Wer sind heute Ihre Bezugspunkte beim FC?

Sentimental oder vom Können her?

Interessante Gegenfrage.

Ich habe neulich Jörg Schmadtke kennengelernt, den fand ich sehr, sehr angenehm. Ein Mann des klaren Wortes. Und ich habe das Gefühl, dass der Ahnung hat. Richtig Fußball-Ahnung. Jetzt die Spieler zu halten. In Verträge zu investieren mit Leuten, die schon da sind, anstatt irgendwen zu holen – finde ich sensationell. Ich hätte auch nie gedacht, dass dieses Präsidium sich so zurückhält. Am Anfang dachte ich: „Oh Gott, jetzt haben wir drei von der Sorte!“ Aber es läuft wunderbar.

Ist es ein Problem, dass ein Düsseldorfer für den Erfolg verantwortlich ist?

Überhaupt nicht. Abgesehen davon, dass ich viele Freunde aus Düsseldorf habe; die Hosen, Wim Wenders... Das Köln-Düsseldorf Theater – also, wer das wirklich ernst nimmt, der tut mir leid. Wirklich leid.

Lukas Podolski hat in den vergangenen Jahren die Kölner Fahne hochgehalten. Wäre er jetzt gut für den FC oder nicht?

Poldi war gut für den FC. Ein großartiger Spieler, großes Herz, sympathischer Kerl. Leider ist er nach München gegangen, vielleicht wäre Bremen besser gewesen, die hatten damals eine super Mannschaft. Trotzdem habe ich es ihm nicht übel genommen. Er musste weg.

Glauben Sie, dass Podolski noch einmal für den FC spielen wird?

Ach – wie soll das gehen? Wenn ich jetzt nur sentimental denken würde, als Fan, dann wäre das natürlich schön. Aber diese Sentimentalitäten, davon darf sich ein professioneller Sportdirektor nicht lenken lassen.

Aber ein Fan darf doch Wünsche äußern.

Da versuche ich, erwachsen zu sein.

Was bedeutet der FC in Ihrem Tagesablauf?

Wenn ich morgens aufwache,  frage ich mich immer: Was steht heute an? Und wenn mir dann einfällt, dass ich an dem Tag zum FC darf – dann bin ich glücklich. Ich kann beim FC wunderbar abschalten. Ich bin ja leider Chef von diesem ganzen mittelständischen BAP-Rock’n’Roll-Familienbetrieb. Manchmal muss ich so viel organisatorisches Zeug machen, dass ich mich frage, ob ich die Lieder überhaupt noch kann. Dann bin ich froh, wenn ich auf der Bühne stehe und mal drei Stunden fuffzehn meine Ruhe habe. Auf der Bühne kann ich entspannen. Und so ist das auch, wenn ich den FC gucke. Sogar wenn die auswärts spielen, dann sitze ich in meinem Sessel und denke nicht darüber nach, welche Kuh ich noch vom Eis kriegen muss. Dann gucke ich Fußball. Bei uns zu Hause braucht zwischen drei Uhr und dem Ende aller Nachbereitungssendungen keiner anzukommen und was zu wollen. Es wäre unvorstellbar, dass der FC keine Rolle in meinem Leben spielt. Als ich den Schlaganfall hatte, haben die in der Klinik dafür gesorgt, dass ich Fußball gucken konnte. Da konnte ich noch nicht wieder reden, mein Arm war gelähmt. Und dann hing in der Südkurve dieses Transparent: „Weed flöck widder jesund, Wolfgang.“ Da habe ich schon ein Tränchen verdrückt. Diese Verbundenheit. Diese Jungs in der Südkurve, die sind ein Drittel so alt wie ich. Aber irgendwer hat sich ausgedacht, mich zu trösten. Das hat mich sehr, sehr berührt, tut es sogar jetzt gerade noch, wenn ich davon rede. Das ist auch eine Form von Liebe. Letztendlich: Love is all you need.

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