Baumgart zum Nizza-Skandal„Ich brauche eine ganze Weile, um das zu verarbeiten“

Lesezeit 4 Minuten
Baumgart am Geißbockheim (1)

FC-Trainer Steffen Baumgart

Köln – Trainer Steffen Baumgart vom 1. FC Köln hat sich am Tag nach den schweren Krawallen in Nizza stark mitgenommen gezeigt. „Ich halte mich nicht für den ängstlichsten Menschen“, sagte der 50-Jährige am Freitagmittag am Kölner Geißbockheim: „Aber ich glaube, ich brauche eine ganze Weile, um das zu verarbeiten. Das wird mich lange begleiten.“ Was er vor dem Anpfiff des Conference-League-Spiels bei OGC Nizza (1:1) erlebt habe, „war einfach nackte Gewalt. Das ist schon beängstigend, meine Familie war ja auch auf den Plätzen. Ich war genauso fassungslos wie ganz viele andere Menschen.“

Baumgart war nach einer Gelb-Roten Karte aus den Playoffs gesperrt und musste das Spiel aus einer Loge verfolgen. Er sah daher aus nächster Nähe, wie sich Vermummte aus dem Kölner Block auf den Weg zu den Heimfans machten. „Ich dachte, dass ich dagegenwirken kann und habe es auch versucht“, sagte er, „aber die haben durch mich durch geguckt.“ Nur wenige Ordner stellten sich in dieser Phase weit vor Anpfiff in den Weg, Polizei war noch nicht im Stadion, die Lage eskalierte dann schnell.

„Ich glaube, dass man es hätte verhindern können“, sagte Baumgart, die Sicherheitsmaßnahmen seien „nicht ausreichend“ gewesen. Es sei nun Aufgabe beider Vereine, alles gemeinsam aufzuarbeiten.

Alles zum Thema Steffen Baumgart

Baumgart: „Ich habe den jungen Mann da runterstürzen sehen“

Insgesamt wurden 32 Menschen verletzt, ein Franzose stürzte vom Oberrang, soll mittlerweile aber außer Lebensgefahr sein. „Ich habe den jungen Mann da runterstürzen sehen, da bist du einfach nur geschockt“, sagte Baumgart. Für Baumgart war es zudem eine traurige Premiere, „mein erster internationaler Auftritt als Trainer. Das wird für immer damit verbunden sein.“

Die Gewaltexzesse weckten zudem Erinnerungen. Anfang der 1990er-Jahre sei er „in der Bereitschaftspolizei“ gewesen, „und genau aus diesen Gründen bin ich dort ausgeschieden, weil ich so etwas nicht erleben wollte. Es ist nicht einfach für mich, damit umzugehen.“

Christian Keller: „Die schließen wir aus, die werden nix mehr machen“

Noch am Abend des Dramas hatte FC-Sportboss Christian Keller in Nizza nicht lange drumherum geredet. „Das geht mir richtig auf den Sack“, sagte der Geschäftsführer des 1. FC Köln am Donnerstag. Der Eindruck der Bilder der Ausschreitungen überlagerte auch kurz vor Mitternacht an der Cote d'Azur alles, auch wenn das Spiel trotzdem stattgefunden hatte und der FC sich einen verdienten Achtungserfolg erkämpft hatte.

Keller stellte klar, dass der Verein „mit aller Härte und Entschlossenheit“ versuchen werde, die Beteiligten an den Krawallen zu ermitteln. „Ich weiß nicht, ob das 50, 60 oder 70 waren. Es waren auf jeden Fall sehr, sehr wenige“, sagte er. „Aber wir werden alles probieren, um möglichst viele rauszuziehen. Und die schließen wir dann aus, die werden nix mehr machen.“

1. FC Köln droht Strafe - Werner Wolf verurteilt Ausschreitungen

Zu den Vorfällen selbst könne Keller keine fundierte Äußerung abgeben. „Dafür brauchen wir Zeit, um das auszuwerten und uns dann treffend zu äußern und keine Mutmaßungen anzustellen. Es geht auch nicht darum, wer schuld war. Es ist einfach eine Katastrophe. Sowas hat beim Fußball nichts verloren, und nirgends sonst.“

Die Konsequenzen für den Verein seien „noch nicht abzusehen. Ich will auch nicht spekulieren. Da gibt es sicher eine große Bandbreite.“

Auch FC-Präsident Werner Wolf äußerte sich zu den schwer zu fassenden Szenen im Stadion: „Wir verurteilen die abscheulichen Geschehnisse, die sich im Vorfeld des heutigen Spiels in Nizza auf beiden Seiten ereignet haben, auf das Schärfste. Die Vorfälle sind umso bedauerlicher, weil dadurch ein tolles Fanfest von rund 8000 Kölner Fans an Wirkung und Wert verloren haben.“ Der 66-Jährige war selbst beim Fanmarsch der FC-Fans vor dem Spiel eine Weile mitgelaufen. Nun soll alle Kraft in die Aufklärung der Vorfälle gesetzt werden, um „mit aller Konsequenz gegen die Gewalttäter vorzugehen. Dazu sind wir unseren vielen tausend friedlichen Fans und dem Fußball gegenüber verpflichtet.“

Von ihren Profis hatten die FC-Verantwortlichen die Bilder von den Geschehnissen fern gehalten. Die Nachrichten, die durchsickerten, waren belastend genug. Und dann leistete die Mannschaft vor dem um 55 Minuten verspäteten Anpfiff einen Schwur.

1. FC Köln gegen Nizza: Mannschaft leistet einen Schwur

„Wir haben der Mannschaft gesagt: Denkt an die friedlichen 7900 Jungs und versucht, alles so gut wie möglich für sie auszublenden“, sagte der etatmäßige Co-Trainer André Pawlak, der seinen gesperrt auf der Tribüne sitzenden Chef Steffen Baumgart vertrat.

Stürmer Steffen Tigges, der beim 1:1 in der 19. Minute die Kölner Führung erzielt hatte, hatte sich mit den Bildern vom friedlichen Fanmarsch am Mittag durch die Stadt motiviert. „Diese Bilder bleiben“, sagte der Ex-Dortmunder: „Die haben uns gepuscht. Denn dass die paar Chaoten für den Verein stehen, stimmt nicht. Die Fans, die richtig Stimmung gemacht haben, die stehen für den Verein.“

Der wie in den Wochen häufig überragende Torhüter Marvin Schwäbe sah es ähnlich. „Einerseits ist das, was da passiert ist, nicht wert, dass man drüber redet, denn das gehört nicht in den Fußball“, sagte er: „Andererseits muss man sich auch klar von sowas distanzieren und sagen, dass diese Leute im Stadion nix zu suchen haben.“ Immerhin, so stellte Schwäbe klar: „Hier waren 8500 Fans, und die Mehrheit hat eine klare Birne.“ (pst/oke/afp, sid)

KStA abonnieren