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„Auf allen Ebenen besser werden“Bayer-Klubchef Fernando Carro übt scharfe Kritik

Lesezeit 5 Minuten
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Strenger Blick: Bayer-Klubchef Fernando Carro

  • Champions League verpasst, Pokalfinale verloren und in der Europa League ausgeschieden – das sind die Resultate der vergangenen Wochen von Bayer 04 Leverkusen.
  • Geschäftsführer Fernando Carro ist mit der Saison unzufrieden, man habe alle Ziele verpasst.
  • Im „Kölner Stadt-Anzeiger“ kritisiert der Spanier das Abschneiden des Werksklubs deutlich. Und er formuliert klare Ziele für die Zukunft.

In der Düsseldorfer Merkur-Spiel-Arena findet am Montagabend um 21 Uhr das zweite Halbfinale der Europa League statt – ohne Bayer 04 Leverkusen. Für den Werksklub ist das ein großes Problem. Der Bundesliga-Fünfte hatte sich als Teil eines Szenarios gesehen, in dem er über den Gewinn dieses zweiten Europapokals die Saison rettet. Der nächste Gegner wäre Schachtjor Donezk gewesen. Aber dazu wird es nicht kommen. Bayer 04 hat im Viertelfinale bekanntlich gegen Inter Mailand 1:2 verloren.

Fernando Carro, Sprecher der Leverkusener Geschäftsführung,  übt mit ein paar Tagen Abstand im „Kölner Stadt-Anzeiger“ deutliche Kritik an der Gesamtleistung des Werksklubs: „Die abgelaufene Saison ist letztlich enttäuschend verlaufen, obwohl wir in der Liga fünf Punkte mehr geholt haben als im Jahr zuvor, im DFB-Pokal im Finale standen und in der Europa League mit dem Erreichen des Viertelfinales zwei Runden weiter gekommen sind.“ Die greifbar nahe Qualifikation für die Champions League  wurde jedoch ebenso verpasst wie ein Titel. Mit einem davon hätte die Saison als erfolgreich gegolten. „So betrachtet ist die Leistung zwar besser gewesen als im Jahr zuvor, aber unser Ziel wurde nicht erreicht.  Wir brauchen uns nicht auf die Schulter zu klopfen, wenn wir unser Ziel nicht erreicht haben“, sagt Carro.

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In diese Generalkritik bezieht Carro ausdrücklich alle Bereiche seines Klubs mit ein. „Anspruch und Realität liegen bei uns auseinander. Man hat zwei Möglichkeiten: Den Anspruch zu senken, damit er näher an die Realität heranrückt.  Oder man arbeitet daran, die Realität dem Anspruch anzugleichen. Und da habe ich eine klare Haltung: Den Anspruch werden wir nicht senken.“ Es sei schließlich die klare Erwartungshaltung der Gesellschafter von Bayer 04, jedes Jahr die Top vier der Bundesligan zu erreichen. Deshalb fordert Carro: „Wir müssen besser werden wollen. Auf allen Ebenen.“

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Fernando Carro, Kämpfer gegen die Selbstzufriedenheit bei Bayer 04

Der Spanier versteht den Kampf gegen Selbstzufriedenheit als Auftrag. Im Sommer 2018 wurde der ehemalige Bertelsmann-Vorstand von Werner Wenning, dem mächtigen Chef des Gesellschafterausschusses, auch speziell dafür geholt. Dass Bayer 04 nach einem beeindruckenden Frühjahr am Ende wieder alle seine Endspiele verloren hat, trifft Carro persönlich. Fehlende Möglichkeiten will er nicht gelten lassen. Bayer 04 hatte nach dem FC Bayern München (rund 356 Millionen Euro) und dem BVB (205 Millionen Euro) im Geschäftsjahr 2018/2019 mit 139 Millionen Euro die dritthöchsten Personalausgaben der Liga, vor Wolfsburg und RB Leipzig. Bescheidenheit in der Erwartung scheint ihm da die falsche Tugend. Dass die Leipziger am Dienstag gegen Paris um den Einzug ins Champions-League-Finale spielen, tut doppelt weh. „Wirtschaftlich weit enteilt sind alleine Bayern München und Borussia Dortmund. Dahinter können und müssen wir uns mit allen streiten“, sagt Carro, der nicht akzeptieren will, dass auch noch der Red-Bull-Klub auf Dauer enteilt. Man wolle alles dafür tun, um Schritt zu halten. „Derzeit sehe ich uns wirtschaftlich auf demselben Niveau. Wir können also prinzipiell auch erreichen, was Leipzig jetzt erreicht hat.“ Als Beleg dafür sieht er auch die Leistung des Teams bis März: „Die Corona-Pause im Frühjahr hat uns ganz offenbar geschadet, auch im Kopf. Davor hatten wir einen Lauf, die Mannschaft  hat zu keinem Zeitpunkt an sich gezweifelt.“

„Unser Anspruch ist ein Platz unter den ersten vier. Mit oder ohne Corona“

Dem Chef des Werksklubs ist klar, dass die erste Saison, die während der Corona-Pandemie beginnt,  voller Unwägbarkeiten steckt. Dennoch will er die Krise als Entschuldigung für das Verfehlen sportlicher Ziele nicht gelten lassen. Man erlebe einen ungewöhnlichen Sommer ohne eine lange Erholungspause, auf den viele Englische Wochen folgen werden.  „Es gibt keine Erfahrungswerte, wie Spieler physisch und mental auf diese Belastung reagieren“, sagt Carro dieser Zeitung, „aber das darf keine Entschuldigung sein. Der Druck wird bleiben. Unser Anspruch ist ein Platz unter den ersten vier. Mit oder ohne Corona.“

Auch der zu erwartende Kaderumbau nach dem bevorstehenden Abgang von Kai Havertz wird bei Carro als Begründung für schlechte Ergebnisse nicht taugen. Bayer 04 befindet sich, wie der Geschäftsführer dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ bereits am Freitag bestätigte, in Verhandlungen unter anderem mit dem FC Chelsea, der offenbar schon Einigkeit mit dem 21-jährigen Nationalspieler erzielt hat und offenbar auch bereit ist, die geforderte Ablöse in der Region von 100 Millionen Euro zu bezahlen. Carro ist überzeugt davon, dass die sportliche Leitung mit Geschäftsführer Rudi Völler, Sportdirektor Simon Rolfes und Trainer Peter Bosz ungeachtet eines Personalumbaus künftig die Ziele erreicht.  Generell ist er mit der Grundstimmung im Klub auch einverstanden. „Ich sehe hier viele ehrgeizige Menschen, die hohe Ziele erreichen wollen, aber vielleicht brauchen wir noch mehr davon“, sagt Carro.

Konzepte für Rückkehr der Zuschauer liegen in der Schublade

Zu den fußballerischen Herausforderungen kommt die Herausforderung von Spielen ohne Publikum. Bayer 04 hat bereits Pläne für alle denkbaren Szenarien einer teilweisen Zuschauerrückkehr während der Corona-Zeit ausgearbeitet, aber sie müssen vorerst in der Schublade bleiben. „Wenn die Politik entscheidet, dass es nicht mit Zuschauern geht, geht es nicht“, sagt der Bayer-Geschäftsführer, „aber wenn sie grünes Licht geben, wird ein professionell erarbeitetes, variables Konzept da sein. Die Fans fehlen uns.“

Zum Thema finanzielle Solidarität im Fußball hat der Wirtschaftsfachmann eine klare Meinung. „Es gibt viele Argumente dafür, dass die Geldverteilung, wie sie jetzt funktioniert, richtig ist“, sagt der Spanier, dem die Mischung aus Solidarität und Erfolgsbeteiligung bei der Verteilung der nationalen TV-Einnahmen gefällt. „Das Leistungsprinzip muss gelten“, erklärt er. Die Gefahr einer Revolution durch Klubs wie St. Pauli, Düsseldorf und Mainz, die das Gießkannenprinzip bei der Geldverteilung fordern, sieht er nicht.

Personalausgaben werden laut Carro sinken

Für eine Begrenzung des zuletzt ungehemmten Wachstums der Personalausgaben werde die Corona-Krise sorgen. Carro sagt: „Die Einnahmen verringern sich, also werden sich auch die Ausgaben anpassen müssen. Die Vereine sind Wirtschaftsunternehmen. Ob das schon alle Spieler und deren Berater verstanden haben, weiß ich nicht. Es gibt Ausnahmen, aber im Durchschnitt werden die Transfers auf einem niedrigeren Niveau stattfinden als gewohnt,  die Gehälter sinken. Es ist ein langfristiger Prozess.“

Was Fernando Carro mit solchen „Ausnahmen“ meint, liegt auf der Hand: Transfers von Ausnahmespielern wie Kai Havertz.

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