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Bayer-Boss Fernando Carro„Ohne Rudi Völler wird der Klub ein anderer sein“

Lesezeit 8 Minuten
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Fernando Carro, Klubchef von Bayer 04 Leverkusen

Leverkusen – Herr Carro, ein Sieg trennt Bayer 04 Leverkusen vor den letzten beiden Spielen noch vom Einzug in die Champions League. Hängt daran das Gelingen einer ganzen Saison?

Die Qualifikation zur Champions League ist unser klares Ziel und unser Anspruch. Und wenn man Ziele hat, sollte man alles dafür tun, sie auch zu erreichen. Darüber hinaus hat die Frage, ob wir in der Champions League spielen oder nicht, Einfluss auf mehrere Bereiche: Auf das Budget in der kommenden Saison, auf die Kaderplanung und auf die Strahlkraft des Vereins insgesamt. Ob man will oder nicht.

Wie groß berechnen Sie intern den finanziellen Unterschied zwischen Champions League und Europa League, zwischen Platz vier und fünf?

Alles zum Thema Florian Wirtz

Wir planen immer vorsichtig. Für die Champions League rechnen wir mit rund 25 Millionen Euro mehr als bei Erreichen der Europa League. Für die Kalkulation sind der aktuelle Uefa-Koeffizient, die Rangfolge im so genannten Marketpool sowie das Startgeld maßgeblich.  Am Ende ist natürlich das sportliche Abschneiden im Wettbewerb selbst eine entscheidende Größe.

Zur Person

Fernando Carro (57), geboren in Barcelona, ist seit dem 1. August 2018 Sprecher der Geschäftsführung von Bayer 04 Leverkusen. Davor war der Spanier 24 Jahre lang in verschiedenen Funktionen beim Bertelsmann-Konzern tätig, darunter im Vorstand. Seit Sommer 2021 sitzt Carro im Vorstand  der einflussreichen europäischen Klub-Vereinigung ECA. Fernando Carro ist verheiratet und hat drei Kinder. (ksta)

Allerdings hat Bayer 04 auch in dieser Saison keinen Titel gewonnen, während Klubs wie Frankfurt, Leipzig und Freiburg in den Pokal-Wettbewerben weit gekommen sind. Die Träume müssen im Sommer neu formuliert werden. Trifft Sie das nach rund vier Jahren in Leverkusen hart?

Ich muss ehrlich sagen: Dieses Jahr tut es weniger weh. Wir hätten gegen Bergamo in der Europa League durchaus weiterkommen können. Aber mit den gravierenden Verletzungsproblemen, die wir nun haben, hätte uns die Doppelbelastung stark beeinträchtigt. Das Finale der Europa League wäre unter diesen Umständen viel schwerer zu erreichen gewesen – und selbst in der Bundesliga wäre es noch komplizierter geworden, unser Ziel zu erreichen. Aber wenn man mich grundsätzlich fragt, was wichtiger ist, Champions-League-Qualifikation oder Titel? Dann würde ich sagen: ein Titel. Die Sehnsucht ist groß. 

„Patrik Schick steht nicht zum Verkauf“

 Florian Wirtz erlebte bis zu seinem Kreuzbandriss eine Traum-Karriere. Kaum ein Spieler hat die Hürden bis hin zur Nationalmannschaft schneller übersprungen als er. Und sein Wert für Bayer 04 wurde sichtbar, als er plötzlich fehlte.

Florian ist Stammspieler bei uns geworden, als er noch nicht einmal 18 Jahre alt war. Und er ist nicht nur Stammspieler, sondern Leistungsträger.   Die Mannschaft war schon geschockt als er sich so schwer verletzt hatte. Aber egal wie wichtig einzelne Spieler sind: Wenn sie ausfallen, musst du es als Gruppe auffangen und dich darauf einstellen können. Das haben wir aus meiner Sicht gut geschafft.

Kaderplanung ist bei Bayer 04 immer auch Kadererhaltung. Wirtz wird zumindest eine weitere Saison bleiben. Was ist mit Patrik Schick?

Patrik Schick ist für uns immens wichtig. Er fühlt sich hier wohl. Wir wollen ihn halten. Er steht nicht zum Verkauf. Das hat auch Simon Rolfes schon mehrfach bekräftigt.  Aber ich wiederhole das gerne. Generell bemühen wir uns um eine intelligente und vorausschauende Kaderplanung. Was nicht heißt,  unbedingt viel Geld investieren zu müssen. An Sardar Azmoun waren wir einige Jahre dran, aber da war er nicht ablösefrei und die finanziellen Bedingungen nicht zu stemmen. Jetzt haben wir es zu moderaten Konditionen hingekriegt, im Vergleich zu seinem Marktwert. Genauso gibt es andere Spieler, an denen wir schon ein, zwei Jahre dran sind, aber man muss dann den richtigen Moment finden. Deshalb ist die Arbeit von Simon Rolfes und seinem Team in der Kaderplanung essenziell für den Verein.

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 Wie bewerten Sie die Arbeit von Trainer Gerardo Seoane?

Gerardo Seoane macht hier eine hervorragende Arbeit. Er hat viele Fähigkeiten, die ein moderner Trainer im Spitzenfußball braucht. Er hat ein gutes Team um sich herum, und er tut dem Verein generell gut, weil er sehr anspruchsvoll ist und in allen Bereichen eine maximal professionelle, anspruchsvolle Haltung erwartet – und einfordert.  Die Phase der Eingewöhnung, Einarbeitung und Anpassung an die neue Liga hat er zügig hinter sich gelassen. Und er hat es schon jetzt geschafft, Bayer 04 als Ganzes besser zu machen. Ich finde das sensationell. 

Rudi Völler wird im Sommer aus dem operativen Geschäft ausscheiden. Er war jahrzehntelang das Gesicht von Bayer 04. Was macht das mit dem Verein?

Das ist eine Zäsur. Der Verein wird ohne Rudi Völler ein anderer sein. Seine Erfahrung im Fußball hat hier keiner, und es kann ihn auch keiner nachmachen. Er wird zwar zu einigen Spielen kommen, er wird im Gesellschafterausschuss aktiv sein, wir werden uns sicher auch regelmäßig treffen. Aber in der täglichen Arbeit, in den Sitzungen, in den Besprechungen wird er nicht mehr da sein.  Darauf haben wir uns allerdings gewissenhaft vorbereitet. Wir sind dabei, den Verein so aufzustellen, dass wir auch ohne eine Galionsfigur, eine Figur wie Rudi Völler, weiterhin auf Top-Niveau arbeiten können.

Simon Rolfes wird für Rudi Völler in die Geschäftsführung aufrücken.

Es werden sich auch in anderen Bereichen Änderungen ergeben. Und auch im Bereich von Simon Rolfes wird die Struktur geschärft. Rudi Völler hat uns viel an medialer Arbeit abgenommen. Da werden Simon Rolfes und auch ich selbst künftig sichtbarer werden müssen. Auch in den Gremien im DFB und der DFL brauche ich mehr Unterstützung. Das alles sind Dinge, die wir seit dem letzten Jahr vorbereitet haben, und die jetzt umgesetzt werden. Als Ratgeber wird Rudi Völler uns erhalten bleiben.

Was hat Rudi Völler Bayer 04 Leverkusen gegeben?

Man kann sagen, dass er dabei geholfen hat, den Klub auf ein neues Level zu heben. Als er 1994 als Spieler zu Bayer kam, hatte Bayer zwar einmal sensationell den Uefa-Pokal und einmal den DFB-Pokal gewonnen, aber es war ein anderer Verein. Seitdem wurde das Stadion vergrößert. Die inzwischen breite und sehr treue Fan-Basis, auf die wir sehr stolz sind, hat heute eine andere Dimension als damals. Wir sind zu einem sehr beständigen Vertreter in Champions und Europa League geworden, sind interessant für internationale Top-Spieler. An all dem hat Rudi, aber auch die seinerzeit Verantwortlichen und besonders Werner Wenning, der Vorsitzende des Gesellschafterausschusses, einen großen Anteil.

„In unserer nationalen Bedeutung sind unsere Potenziale limitiert“

Wie sehen Sie die Marke Bayer 04 positioniert?

Ich glaube, dass wir international anders positioniert sind als national. In Deutschland haben wir viele Fußball-Marken in großen Städten mit einer großen Anzahl der Fans, die uns zahlenmäßig überlegen sind. Allein in NRW in einem geballten Raum haben wir um uns herum viele starke Marken und Vereine wie Gladbach, Schalke, Köln und Dortmund. International sieht es ganz anders aus. Da sind einige dieser Marken nicht so bekannt wie Bayer 04. Der FC Barcelona war, wie sich gezeigt hat, beim Europa-League-Duell von der Wucht der Anhängerschaft der Eintracht total überrascht. Sie haben diesen Verein als Ganzes unterschätzt. Das ist natürlich ein wenig ignorant, zeigt aber, dass die nationale und internationale Bedeutung nicht dasselbe sind, beides muss man sich durch regelmäßige Präsenz erarbeiten. In unserer nationalen Bedeutung sind unsere Potenziale limitiert. International haben wir dank unserer regelmäßigen Präsenz und unserer Spielweise eine ganze Reihe von Möglichkeiten, was die Aufwertung der Marke Bayer 04 angeht. In den sozialen Medien sind wir mittlerweile die Nummer drei in Deutschland, nach Bayern und Dortmund. Das kommt nicht von der nationalen, sondern zu einem Großteil von der internationalen Reichweite. Unser Ziel ist es, in Europa im Ranking der Klubs nicht, wie aktuell, zwischen 20 und 30, sondern zwischen 15 und 20 zu sein. Aber dazu braucht es eben mehr als eine intelligente Digital-Kommunikation. Bestenfalls braucht es dazu durchschlagenden, sportlichen Erfolg. Daran arbeiten wir.

Beim Thema 50+1 hat das Bundeskartellamt Änderungen der Ausnahmeregelungen für die Klubs Leverkusen, Wolfsburg und Hoffenheim angemahnt, die von Bayer, VW und Dietmar Hopp kontrolliert werden und deshalb nicht den Bedingungen für klassische Vereine entsprechen. Die DFL hat sich an Ihre Seite gestellt. Wie geht es weiter?

Ich wünsche mir, dass das Kartellamt die Stellungnahmen aller, die an diesem Prozess beteiligt sind, gewissenhaft studiert. Wenn sie das tun, werden sie aus meiner Sicht zum Schluss kommen, dass die aktuelle Regelung fair und gangbar ist. Bayer 04 ist ein Verein, der vor mehr als 100 Jahren aus Fabrikarbeitern entstanden ist, ein echter Werksklub. Wir haben eine lange Tradition, spielen seit mehr als 40 Jahren ununterbrochen in der Bundesliga. Wir wirtschaften seriös und zuverlässig mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln. Wir unterstützen den Breitensport und nehmen in hohem Maße unsere gesellschaftliche Verantwortung an.  Das  gibt mir die Zuversicht, auch künftig im Rahmen der geltenden Regelungen Mitglied der Bundesliga-Familie sein zu dürfen.  

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