Bayer-Profi Julian Baumgartlinger„Man kann uns Meinungslosigkeit nicht vorwerfen”

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Julian Baumgartlinger

  • Die amerikanische Nationalspielerin Megan Rapinoe hat kürzlich eine weltweit beachtetes flammendes Plädoyer für mehr Toleranz gehalten. Warum ist ein solcher Auftritt bei männlichen Fußballern so schwer vorstellbar?
  • Bayer-Profi Julian Baumgartlinger erklärt im exklusiven Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger”, warum er sich Meinungslosigkeit nicht vorwerfen lassen will.
  • Außerdem erzählt der Kapitän der österreichischen Nationalmannschaft, wie er auf die politischen Entwicklungen in seinem Heimatland reagiert.
  • Und warum er sich bei Taktikeinheiten von Trainer Peter Bosz wie an der Universität fühlt.

Herr Baumgartlinger, Sie können aufgrund einer entzündeten Fuß-Wunde nicht mit der Mannschaft trainieren. Wie geht es Ihnen?

Sehr gut, ich bin schon wieder relativ weit, habe intensive Sachen gemacht. Die Rückkehr ins Mannschaftstraining steht  bevor. Es dauert ja noch eine Weile, bis die Plätze vergeben werden. So gesehen habe ich keine großen Bedenken.

Sie äußern sich auch zu Themen abseits des Rasens, wie zum Beispiel den Rechtsruck in der Gesellschaft und wachsendem Populismus in der Politik. In Österreich sind diese Dinge sehr aktuell.

Wir hatten in Österreich einen sehr turbulenten Polit-Sommer. Diese Vorgänge sind nicht alltäglich, daher hoffe ich, dass ab Herbst eine fähige und stabile Regierung wieder eine positive Richtung einschlägt.

"Mit der Nationalmannschaft versuchen wir natürlich, Werte zu vermitteln und Tugenden weiterzugeben"

Wie gehen Sie als Kapitän der Nationalmannschaft damit um, wenn viele rechte Töne aus der Regierung kommen?

Mit der Nationalmannschaft, dem Aushängeschild des österreichischen Fußballs, versuchen wir natürlich, Werte zu vermitteln und Tugenden weiterzugeben. Wir sind multikulturell aufgestellt, stehen für sportliche Werte wie Fairplay, aber auch für Integration und Vielfalt. Das ist das, was wir als Sportler und Nationalspieler machen können.

Aber mit der großen Plattform eines Profifußballers könnte man durchaus auch mal aufstehen und laut die eigene Meinung kundtun. Megan Rapinoe, Kapitänin der US-Weltmeisterinnen, hielt kürzlich ein flammendes Plädoyer für Gleichheit und mehr Toleranz.

In erster Linie ist es mutig. Nicht nur, weil sie etwas sagt, sondern auch wegen des Zeitpunktes, während einer WM. In dem Moment, wo du dich zu solchen Themen äußerst, polarisierst du automatisch. Gerade in Amerika, einem so gespaltenen Land, ist das noch viel extremer. Also das zu sagen, selber dann noch herausragend zu spielen und den Titel holen, das ist schon bemerkenswert. Höchsten Respekt, so etwas abzuliefern.

Bei männlichen Fußballern ist so ein Auftritt  schwer vorstellbar.

Man muss das in Relation sehen. Weil eine Fußballerin öffentlich Stellung bezieht, kann man nicht allen männlichen Kollege Meinungslosigkeit vorwerfen. Sich während einer laufenden Großveranstaltung zu äußern, kann ablenken, aber auch belasten und mitunter das ganze Team beschäftigen. Wenn man bedenkt, was für eine Dynamik 2018 vor der WM ein Foto von zwei Spielern mit einem Staatsoberhaupt   in Deutschland aufgenommen hat, sollte es wohlüberlegt sein, was und wann und wie man etwas sagt.

Haben Fußballer zu wenige Ecken und Kanten?

Es wird erwartet, dass sich jeder zu allem äußert. Tut man das, heißt es ganz schnell: Er soll sich aufs Fußballspielen konzentrieren. Darin liegt die Diskrepanz. In dem Moment, in dem man eine Angriffsfläche bietet, wird diese auch genutzt. Und wenn so etwas in der Welt ist, wird es immer wieder aufgewärmt. Da bin ich ja ein Beispiel: Ich beschäftige mich mit vielen Dingen – aber am liebsten rede ich über Fußball.

Sie  sind nicht mehr in den sozialen Netzwerken aktiv. Warum?

Weil ich zum Schluss gekommen bin, dass ich keinen Mehrwert daraus ziehe. Jetzt bedeutet es mir viel, mehr Zeit ohne Handy in der Hand zu haben. Und das ist schon ein gutes Argument, gerade wenn man eine Familie hat.

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Auch wenn Sie so vermutlich den Großteil des Lebens vieler Teamkollegen verpassen.

Ja, das ist furchtbar (lacht). Zu Not frage ich ihn am nächsten Morgen bei einem Espresso, was er so gemacht hat.

Ihr Trainer Peter Bosz veranstaltet hier im Trainingslager jeden Abend ein kurzes Taktik-Meeting. Wie sieht so eine Sitzung aus?

Das ist nichts Neues für uns. Im Januar, als er kam, hatte er auch wenig Zeit, um Dinge in die Mannschaft hineinzutragen. Er macht das ganz prägnant, bringt es klar und analytisch auf den Punkt. Und es dauert nicht so lange, dass die Aufmerksamkeit nachlassen könnte. Wenn man so mag, ist es wie eine kurze Vorlesung an der Uni. Gut choreografiert durch die Videoanalysten und dem Team drumherum.

Es gibt Doku-Szenen, die Pep Guardiola bei Manchester City in solchen Situationen zeigen. Da kommt so eine Art Fußball-Wahnsinn durch.

Peter Bosz ist da anders. Er ist, wie auch dem Platz,  ruhig und sachlich, fährt nie aus der Haut. Für mich als Spieler ist ein Trainer mit solchen Eigenschaften sehr, sehr angenehm.

Wie ist er im Vergleich zu Thomas Tuchel, der drei Jahre in Mainz Ihr Trainer war?

Grundsätzlich ist es immer schwierig, Trainer zu vergleichen. Die beiden sind ähnlich akribisch und fußballverrückt, aber in der Art, es auszuleben und zu coachen, sind sie anders.

Ihr Vertrag in Leverkusen läuft im Sommer 2020 aus. Wie geht es weiter?

Ich fühle mich hier wohl, ich habe tolle Menschen kennengelernt. Es gibt Gespräche, ich kann mir gut vorstellen noch länger in Leverkusen zu bleiben.

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