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Bayer-SportdirektorSimon Rolfes kritisiert Ex-Trainer Bosz für taktische Mängel

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Bayer-Sportdirektor Simon Rolfes

Leverkusen – Simon Rolfes erinnert sich daran, wie er 2018 auf der Rückreise von der Uefa-Zentrale in der Schweiz im Zug saß und Zeitung las. Dabei fiel ihm erstmals der Name Gerardo Seoane auf. Damals wechselte der Schweizer nach vielen Jahren im Nachwuchsbereich und einem Jahr als Cheftrainer beim FC Luzern zu Young Boys Bern und war in seiner Heimat noch kein großer Name. „Seitdem habe ich seinen Weg verfolgt“, sagt der ehemalige Bayer-04-Kapitän, der heute Sportdirektor des Werksklubs ist und die Zukunft seines Klubs im zweiten Pandemie-Sommer planen muss.

Gerardo Seoane spielt dabei eine entscheidende Rolle. Bayer 04 hat den 42-Jährigen im Mai nicht nur wegen seinen drei Meistertiteln verpflichtet, die er in Folge mit Bern geholt hat, sondern wegen seiner offensichtlichen Fähigkeit, mit jungen Spielern zu arbeiten und sie besser zu machen. In einer Zeit, da auch für Bayer 04 ganz große Transfers nicht mehr an der Tagesordnung sind, eine entscheidende Fähigkeit. Die lange Jahre bewährte Strategie des teuer Verkaufens und ein weniger teuren Einkaufens funktioniert in einem depressiven Markt so nicht mehr. Der Megatransfer von Kai Havertz zum FC Chelsea im August 2020 für inzwischen 100 Millionen Euro dürfte das letzte große Ding für längere Zeit gewesen sein.

„Viele Vereine wollen ihre Kader verkleinern und Kaderplätze mit eigenen jungen Spielern belegen. Das ist Folge der Pandemie. Das mittlere Transfersegment wird erst in Bewegung geraten, wenn es Großtransfers gibt. Das kann noch einige Zeit dauern“, sagt Rolfes. Nur massiv fremdfinanzierte Klubs wie Chelsea, Manchester City und Paris St. Germain können 15 Monate ohne Zuschauereinnahme und (wie in Frankreich) teilweise weggebrochene TV-Erlöse ignorieren. Auch Bayer 04, trotz seiner jährlichen 25-Millionen-Euro-Spritze vom Werk, kann das nicht, wenngleich nach dem Abgang der Bender-Zwillinge und von Aleksandar Dragovic Handlungsbedarf besteht. „Wir werden im defensiven Bereich definitiv noch etwas tun. Das könnte auch kann schon bis zum Trainingsauftakt am 5. Juli passieren“, sagt Rolfes dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Mit Mittelfeldabräumer Robert Andrich (26), dessen Vertrag bei Union Berlin 2022 endet, ist man offenbar schon einig. Außerdem ist der von vielen Top-Klubs umworbene Mainzer Innenverteidiger Jeremiah St. Juste (24) ein Kandidat.

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Im Offensivbereich, erklärt der Sportdirektor, habe man „quantitativ betrachtet mehr Möglichkeiten.“ Hier wird man nur reagieren, wenn namhafte Summen für einen Transfer erzielt werden können. Lucas Alario, der nach einer Verletzung gerade bei der argentinischen Nationalmannschaft gesundet, wäre als zuverlässiger Torschütze so ein Kandidat. Aber dafür müsste erst der Transfermarkt in Schwung kommen.

Die entscheidende Bewegung auf dem Weg hin zu den eigenen Zielen, die der Werksklub mit Platz sechs in der vergangenen Saison verpasst hat, erwartet Rolfes ohnehin vom vorhandenen Kader: „Wir haben in den letzten Jahren viele junge Spieler verpflichtet. Einige haben keine besonders gute Saison hinter sich. Da erwarte ich einen nächsten Entwicklungsschritt aus der Mannschaft heraus.“ Hier setzt man große Hoffnungen in den neuen Trainer. Die Analyse der abgelaufenen Saison, in der Bayer 04 nach der Tabellenführung am zwölften Spieltag im Frühjahr regelrecht zusammenbrach, ist eindeutig. „Die Energie, die in der Mannschaft steckte, hat in unserer erfolgreichen Phase individualtaktische Schwächen überdeckt“, sagt Rolfes, „irgendwann hat es aber nicht mehr funktioniert, Spiele nur mit Pressen und Druck zu gewinnen, da wurden diese Unzulänglichkeiten sichtbar.“ Das ist, ohne dass der Name fällt, durchaus als Kritik an Trainer Peter Bosz zu verstehen, von dem sich der Klub acht Spieltage vor Schluss getrennt hat.“ Rolfes: „Heute braucht man im Fußball, und selbst in einem Spiel, verschiedene taktische Grundausrichtungen, weil es Gegner gibt, die sich beispielsweise durch jedes Pressing hindurch spielen. Hier wollen wir den nächsten Schritt gehen, denn unsere Ziele bleiben hoch.“

Eine klare Ansage macht Simon Rolfes an Spieler wie Mitchell Weiser (Vertrag bis 2023), die sportlich keine große Perspektive im Kader mehr haben. Namentlich sind das, ohne dass der Sportdirektor sie nennt, „Wir hatten für manche schon im letzten Sommer Angebote, aber sie wollten lieber bleiben. Das muss natürlich jeder selbst für sich entscheiden. Ich denke, dass ein Fußball-Profi den Ehrgeiz haben muss, zu spielen. Und wenn man das will, wird es auch Wege zu anderen Klubs geben. Die Spieler und deren Berater wissen alle Bescheid“, erklärt er. Die wichtigsten Personalien sind aber, glaubt man der Klubführung, bereits seit Wochen geklärt. U-21-Europameister Florian Wirtz (18) und Innenverteidiger Edwin Tapsoba (22) haben ihre Verträge bis 2026 verlängert, Außenstürmer Moussa Diaby (21) bis 2025. „Das geht mir etwas unter. Es ist keine Selbstverständlichkeit, mit solch jungen Top-Spielern so langfristig zu verlängern. Sie sind Eckpfeiler für die Zukunft“, sagt Geschäftsführer Rudi Völler, der vor seiner letzten Saison im operativen Geschäft steht und die sportliche Planung dann endgültig ganz in die Hände von Simon Rolfes übergibt.

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