Bundesliga-Spielerin Juliane Wirtz„Frauen dürfen im Fußball nicht egal sein”

Lesezeit 7 Minuten
imago1011531607h

Juliane Wirtz (20) , Schwester von Nationalspieler Florian Wirtz,  begann beim SV Brauweiler mit dem Fußball und kam über den 1. FC Köln (2010 - 18) zu Bayer 04 Leverkusen. Sie durchlief alle Junioren-Nationalmannschaften bis zur U 19.

Leverkusen – Juliane Wirtz (20) spielt seit 2018 für die Bundesliga-Frauen von Bayer 04 Leverkusen. Zuvor hatte sie acht Jahre lang in den Nachwuchsmannschaften des 1. FC Köln gekickt. Die Schwester des Leverkusener Nationalspielers Florian Wirtz (19) spricht vor dem EM-Halbfinale Deutschland - Frankreich über die Ungerechtigkeit des Fußballs gegenüber Frauen, ihren Arbeitgeber Bayer 04, die Notwendigkeit eines Mindestlohns und den schwer fassbaren Reichtum ihres jüngeren Bruders.

Frau Wirtz, aus welcher Sicht sehen Sie als Bundesliga-Spielerin von Bayer 04 Leverkusen das EM-Halbfinale der Frauen gegen Frankreich? Als Kollegin der Spielerinnen, als Konkurrentin oder als Fan?

Juliane Wirtz: Als Fan, ich fiebere mit. Es ist so wichtig, dass unsere Nationalmannschaft gerade alle mitreißt. Frankreich ist eine körperlich sehr starke Mannschaft, aber ich glaube trotzdem, dass Deutschland eine gute Chance hat, dieses Spiel zu gewinnen. Sie sind super athletisch, spielen toll zusammen, haben eine großartige Kommunikation. Deshalb hat diese Mannschaft auch diese Reichweite und die Beachtung.

Diese Beachtung hat im deutschen Frauenfußball nur die Nationalmannschaft. Im Verein gibt es diese große Bühne nicht. Wie kann das langfristig geändert werden?

Ich glaube, dass es ganz, ganz wichtig ist, dass die großen deutschen Vereine durch Mannschaften in der Frauen-Bundesliga vertreten sind und sie angemessen fördern, und dass es eine Zusammenarbeit mit dem Männerbereich gibt. Frauen dürfen im Fußball nicht egal sein. Das ist das Allerwichtigste.

Wie ist das bei Bayer 04 Leverkusen?

Wir sind auf keinen Fall egal. Geschäftsführer Fernando Carro hat schon viel bewegt für uns Frauen. Seit er bei uns ist, hat sich so vieles zum Positiven weiterentwickelt, genauso mit Thomas Eichin, dem Leiter Nachwuchs und Frauen. Das ist fast eine andere Welt geworden. Und wenn das in jedem anderen Klub auch so sein würde, dann könnte man richtig viel auf die Beine stellen.

Das könnte Sie auch interessieren:

Das Frauen-Team hatte zum 100-jährigen Jubiläum von Bayer Mexiko einen großen Auftritt. Mit Flug, Hotel, Spiel im Aztekenstadion. Wie haben Sie das empfunden?

Das war toll. Es fing damit an, dass wir, wie die Männermannschaft Ende Mai, Business Class geflogen sind. Ich bin zuvor noch nie Business Class geflogen. Das ist zwar nicht lebensnotwendig, aber für uns war es eine neue Form der Wertschätzung, etwas richtig Schönes. Und wie wir empfangen wurden, wie richtige Stars, wir wurden überall nach Autogrammen gefragt. So etwas kennen wir in Deutschland nicht. Damit mussten wir erst einmal klarkommen. Und dann haben wir vor mehr als 20 000 Menschen im Aztekenstadion gespielt. Vor so einer Kulisse hatte ich zuvor nie gespielt. Es waren nur vier, fünf Tage. Aber wir bekamen so viele neue Eindrücke, dass es sich angefühlt hat wie zwei Wochen.

Ihr Bruder Florian lebte immer in der anderen Fußball-Welt, in der man nicht wegen seines Geschlechts um Beachtung und Anerkennung kämpfen muss. Hatten Sie, was Fußball betraf, nie den Gedanken: Mist, warum bin ich kein Junge?

Diesen Gedanken hatte ich definitiv. Öfter. Ja. Ein Beispiel: Wir spielten mit dem 1. FC Köln in der U 17 um die Deutsche Meisterschaft. Das hat keinen interessiert. Und als Flori mit dem FC sein U-17-Finale gegen Dortmund spielte, da waren tausende von Menschen im Stadion Rote Erde. Und da wünscht man sich, auch einmal diese Aufmerksamkeit zu haben. Vielleicht geht es um Bestätigung, dass die Leute sehen, wofür du täglich auf dem Platz arbeitest. Gott sei Dank hatten wir in der U 17 beim 1. FC Köln so eine coole Mannschaft. Alle Eltern, von jeder Spielerin, waren immer dabei und haben uns angefeuert. Das war toll. Aber manchmal hat man sich schon gewünscht, dass mehr Augen auf einen gerichtet sind.

Sie spielen in einer ambitionierten Bundesliga-Mannschaft, haben letzte Saison das DFB-Pokal-Halbfinale erreicht, trainieren unter Hochleistungsbedingungen. Würden Sie sich als Profi bezeichnen?

Sportlich gesehen ja. Wir trainieren jetzt täglich immer vormittags. Der Fußball steht im Mittelpunkt. Aber wenn es ums Finanzielle geht, dann fällt die Antwort nicht eindeutig aus.

Was wäre für Sie eine akzeptable finanzielle Entschädigung als Fußballerin in der Bundesliga?

Ich sage deutlich: Ich muss keine Millionen verdienen. Darum geht es nicht. Das brauche ich auch nicht. Ich würde mir aber wünschen, dass ich mir, während ich Fußball spiele, keine Sorgen darum machen muss, wie ich meine Ausbildung machen und mein Studium finanzieren kann. Unsere Nationalspielerin Almuth Schult hat gesagt, dass es angemessen wäre, wenn eine Bundesliga-Spielerin 30 000 Euro im Jahr verdienen würde. 2500 Euro im Monat. Das wäre ein guter Start.

Ist hier nicht die Deutsche Fußball Liga in der Pflicht, die so etwas von den Klubs bei der Lizenzerteilung verlangen müsste?

Genau so sehe ich es. Hier müsste man ansetzen. Es fängt im Nachwuchsbereich an. Jeder Verein muss ein Nachwuchsleistungszentrum für Jungs haben, damit er eine Lizenz bekommt. Warum keines für Mädchen und Frauen? Das verstehe ich nicht. Das ist ungerecht. Warum geben wir ihnen nicht die Möglichkeiten wie den Jungs?

Weil Fußball eine Männerwelt ist.

Also ich zitiere hier jetzt viel Almuth Schult, aber sie hat sinngemäß auch gesagt: Wenn es um Wahlen geht, um die Besetzung von Ämtern und Posten, dann haben die Frauen einfach keine Chance, weil der Großteil der Stimmrechte bei Männern liegt... Ich würde mir wünschen, dass da junge Leute wären, die Lust haben, etwas zu verändern, die nicht in ihren Strukturen festgefahren sind. Wir müssen ein Bewusstsein dafür schaffen, dass Engagement für den Frauen-Fußball etwas Cooles ist und nicht etwas, das man unter Zwang eben gerade tut, weil es die politische Korrektheit verlangt.

Ihr Bruder Florian bekommt wegen seines großen Talentes mit 19 Jahren alles im Übermaß, wovon Frauen im Fußball nur träumen können: Beachtung, Fürsorge und viel Geld. Wie gehen Sie damit um?

Wenn ich sehe, wie viel auf Fußball-Stars einprasselt, dann bin ich froh, dass ich nicht in Floris Haut stecke. Jeden Tag belagern sie ihn auf Instagram, wenn er zum Training fährt, wollen alle ein Autogramm, alle ein Foto. Alle erkennen ihn. Ich bin froh, wenn mich keiner erkennt und ich machen kann, was ich will. Ich gönne Flori alles. Ich tue mich aber damit schwer, mich damit zu vergleichen, weil ich es ja nicht habe und nicht bekommen werde. Ich kann es mir auch im Leben nicht vorstellen, als so junger Mensch schon so viel zu besitzen und erreicht zu haben. Das ist für mich alles ein bisschen unreal, ich kann das einfach gar nicht so wahrnehmen, dass er das alles schon erreicht hat.

Welches Verhältnis haben sie zueinander?

Ein sehr gutes, ein sehr vertrautes, ein sehr ehrliches. Wir sind in unserer Familie eben die zwei Jüngsten, wir waren immer zusammen, wir haben beide bei Brauweiler gespielt, sind dann zum FC; sind zu Leverkusen gewechselt, wir haben vieles, über das man sprechen kann. Wir sind zwar keine besten Freunde, denn wir sind ja Geschwister. Aber wir haben ein sehr, sehr gutes Verhältnis.

Nach seinem Kreuzbandriss, sagt ihr Bruder, hätten ihn alle aufgefangen. Allen voran die Familie.

Ich glaube, dass wir ihm immer das Gefühl gegeben haben, dass es auch okay ist, sich mal schlecht zu fühlen. Dass er seinen Emotionen freien Lauf lassen kann. Wir haben das immer so gelebt. Das ist für ihn und mich das Allerwichtigste. Die Unterstützung der Familie. Ich weiß nicht, wie viele tausend Kilometer unsere Eltern mit uns mitgereist sind, damit wir Fußball spielen konnten. Und sie haben da keinen Unterschied gemacht zwischen Junge und Mädchen, Mann und Frau, Flori und mir. Darüber bin ich sehr froh. Ohne unsere Eltern und ohne unsere Geschwister hätten wir das niemals geschafft.

Was sind Ihre persönlichen Ziele?

Zunächst einmal möchte ich mein Studium beenden, damit ich eine gute Grundlage habe. Ich studiere Sonderpädagogik und Sport auf Lehramt in Köln. Fußballerisch haben wir eine neue Saison mit dem neuen Cheftrainer Robert de Pauw, ich möchte mich in die Startelf spielen. Ich weiß, dass wir ein Riesenpotenzial haben, wir wollen in die obere Tabellenhälfte. Und persönlich will ich irgendwann in die Nationalelf. Ich möchte alles dafür geben. Auch wenn es vielleicht ein Traum ist. Aber vielleicht geht er irgendwann in Erfüllung.

KStA abonnieren