Bayer-KriseKlubchef Carro gibt Trainer Seoane zwei Endspiele

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Bayer Seoane

Gerardo Seoane

Leverkusen –  Zum ersten Mal, seit die Krise bei Bayer 04 Leverkusen dauert, schienen sich alle zusammen des Ernstes der Lage bewusst. Und die Krise begann ja schon im Moment des Saisonstarts. Als hätte es einer 0:4-Niederlage bei Bayern München bedurft und einem Versagen in allen Bereichen des Spiels. Als vollzöge sich die Erosion einer ehemaligen Spitzenmannschaft zur skelettösen Ansammlung ehemaliger Top-Spieler, die ziellos durch die Wettbewerbe irrt, nicht schon seit Wochen mit erstaunlicher Folgerichtigkeit.

Doch durch die Festlegung auf Trainer Gerardo Seoane vor der Länderspielpause hat sich die Werkself in eine Falle begeben, aus der es erst einmal kein Entrinnen gibt. „Wir wollen den Turnaround mit ihm schaffen, aber wir sind nicht blauäugig. Und wir sind auch nicht unvorbereitet“, sagte Bayer-Clubchef Fernando Carro am Sonntag im „Doppelpass“ beim TV-Sender "Sport1". Damit war klar: Seoane hat noch zwei Chancen. 

Auf die Frage, ob der ehemalige Chelsea-Coach Thomas Tuchel ein Kandidat sei, antworte der 58-Jährige: „Thomas Tuchel ist ein exzellenter Trainer, mit dem Rudi Völler schon vor Jahren Kontakt hatte.“ Grundsätzlich sei man mit Seoane zufrieden. „Wir glauben an ihn und sind von seinen Fähigkeiten überzeugt. Aber wir benötigen Ergebnisse - schon am Dienstag in der Champions League beim FC Porto. Und am Samstag gegen Schalke musst du die drei Punkte holen“, forderte der Vorsitzende der Geschäftsführung von Bayer 04 „So wie in München kann es nicht weitergehen. Das kann man nicht akzeptieren“, betonte Carro.

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Durch die enge Taktung des Terminplans bleibt aktuell nichts anderes, als an eine Wunderheilung zu glauben. Am Montag fliegt der Tross von Bayer 04 bereits nach Porto, zum dritten Spiel der Champions-League-Gruppenphase (Dienstag, 21 Uhr). Bis dahin bleiben wohl nur Gespräche und Appelle. Vier Tage später kommt der FC Schalke 04 in die Bay-Arena. Wer will, kann das für Seoanes erstes echtes Endspiel halten, denn die Lage in der Bundesliga ist auf Platz 17 dramatisch geworden. Stand jetzt müsste die Werkself direkt absteigen. „Es ist eine Willensfrage“, sagte der Schweizer ernüchtert: „Wir müssen uns die Frage stellen, ob wir dazu bereit sind, den letzten Meter zu machen. Die Tabelle zeigt die Lage, und die ist sehr ernst zu nehmen.“

Fernando Carro hatte im Gespräch mit dieser Zeitung keinen Zweifel daran gelassen, dass zumindest die Qualifikation für den Europapokal das Mindeste ist, was der Klub von Trainer und Mannschaft verlangt. Alleine am Fall des derzeit verletzten Florian Wirtz wird deutlich, welche Folgen ein totales Scheitern hätte. Der mit geschätzt derzeit rund 70 Millionen Euro wertvollste Spieler des rund 450 Millionen Euro teuren Kaders wird Ende Oktober auf dem Platz zurückerwartet.

Der ehemalige Führungsspieler wird er erst nach der WM-Pause im Januar wieder sein können. Es scheint trotz des im Mai bis 2027 verlängerten Vertrages undenkbar, dass Wirtz ein ganzes Jahr auf alle internationale Wettbewerbe verzichten würde. Und das wäre dann der Abschied im Sommer 2023.

Das Schlimmste an der aktuellen Situation ist, abgesehen vom Gesamteindruck, die Selbstzerstörungskraft des Teams, das mit individuellen Fehlern immer neue Wege findet, Spiele zu verlieren. Im falschen Sinn geht hier der Kapitän voran. Lukas Hradecky leistete sich in der Allianz-Arena zwei schwere Aussetzer. Er ließ einen haltbaren Schuss des überragenden Jamal Musiala zum 0:2 in die kurze Ecke durch und rutschte fünf Minuten vor Schluss unbedrängt im Strafraum aus und erlaubte Thomas Müller das 4:0.

Müller hat Mitleid mit Torhüter Hradecky

Die Aktion war so mitleiderregend, dass sich der Nationalspieler per Handzeichen beim Finnen entschuldigte. Es war bereits dessen vierter schwerer Fehler innerhalb kürzester Zeit. Schon gegen Bremen und Brügge hatten seine krasse Aussetzer Siege und Punkte gekostet. So hätte Bayer 04 neben allem anderen auch noch eine veritable Torhüter-Diskussion und müsste unter anderem die Frage beantworten, warum man den Vertrag mit dem sympathischen, aber vor allem im Fuß-Spiel permanent zu Fehlern neigenden Finnen bis ins Jahr 2026 verlängern konnte. Eigentlich müsste man der Nummer zwei eine Chance geben. Doch die heißt Andrej Lunev. Der Russe kommt gerade von einer Verletzung zurück und erscheint nicht als der Mann, auf dessen Schultern das wacklige Defensivspiel ruhen sollte.

Vor der Dramatik des Gesamtgeschehens verschwindet sogar dieser Krisenherd im Bayer-Spiel. Es geht nur noch darum, wie die Mannschaft, der im Vorjahr Platz drei in der Liga gelang, wieder zu sich selbst findet und ob das unter dem zunehmend hilflos wirkenden Trainer gelingen kann. Kerem Demirbay, der sich in den letzten zum verlässlichsten Spieler des verunsicherten Kaders aufgeschwungen hat, wurde deutlich: „Bei aller Qualität, die wir haben: Fußball ist nun mal ein Tagesgeschäft – und momentan haben wir gar keine. Ganz einfach.“

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