Georg Koch über geplatzten Mailand-Transfer„Der 1. FC Köln ist dazwischengekommen“

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Dezember 2005: Duisburg-Keeper Georg Koch (r.) mit dem damaligen Kölner Jungstar Lukas Podolski

  • Georg Koch, heute Torwarttrainer des SC Fortuna Köln, musste 2008 seine Karriere beenden, nachdem er während eines Spiels von einem Böller am Kopf getroffen wurde.
  • Im Interview spricht der langjährige Bundesliga-Profi über die Pyro-Attacke.
  • Zudem verrät Koch, wie ein Spiel beim 1. FC Köln seinen Wechsel zum AC Mailand verhinderte – und was er von Friedhelm Funkels Entlassung bei Fortuna Düsseldorf hält.

Köln – Herr Koch, am vergangenen  Wochenende wurde beim Zweitliga-Spiel des Hamburger SV erstmals kontrolliert Pyrotechnik abgebrannt. Was halten Sie davon?

Wenn das kontrolliert passiert, dann ist das für jeden Fußballer eine geile Atmosphäre. Es bringt noch einmal einen Motivationsschub. Ich habe es oft genug selbst erlebt. Als Problem sehe ich aber, dass man die Handvoll Idioten nicht ausschalten kann. Es wird immer ein paar Dummköpfe geben, die irgendetwas in die Blöcke schmeißen, wo dann auch Kinder stehen könnten. Oder wahllos auf den Rasen. Darum glaube ich nicht, dass es dauerhaft kontrolliert umgesetzt werden kann. Ich habe es ja selber erlebt, was passieren kann.

Zur Person

Georg Koch (48), geboren in Bergisch Gladbach, absolvierte für Düsseldorf, Bielefeld, Kaiserslautern, Cottbus und Duisburg 213 Bundesliga- und 165 Zweitliga-Einsätze.  Fünfmal stieg der Torhüter mit seinen Teams auf. Kurz vor seinem erzwungenen Karriereende in Wien gewann Koch 2008 mit dem kroatischen Spitzenklub Dinamo Zagreb Pokal und Meisterschaft. Seit Sommer 2019 ist Koch Torwarttrainer bei Fortuna Köln.

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Sie sprechen vom 24. August 2008, als Sie während des Derbys zwischen Rapid und Austria Wien von einem Böller am Kopf getroffen wurden. Sie erlitten damals ein Knalltrauma und eine Schädigung des Innenohres und mussten Ihre Karriere beenden.

Im ersten Moment bekommt man kaum etwas mit. Ich lag in der Kabine und habe nichts mehr gehört. Zum Glück hatten wir einen guten Arzt, der wusste, was zu tun ist. Aber die Tage danach waren schon extrem schwer mit dem lauten Piepsen im Ohr.

Wie oft denken Sie an diesen Moment zurück?

Immer dann, wenn ich ein Stadion betrete, ist es so ein kleines Gefühl. Ursprünglich wollte ich bis 40 spielen, ich musste dann leider schon mit 38 aufhören. Die Entscheidung wurde mir wegen so eines dummen Vorfalls aufgezwungen, das ist nicht schön. Man konnte sich nicht richtig von seinen Fans verabschieden, auf einmal war man verschwunden von der Bildfläche. Anfangs wird vielleicht noch etwas geschrieben, aber irgendwann ist man vergessen.

Spüren Sie noch Nachwirkungen der Böller-Attacke?

Gott sei Dank nicht mehr so viele. Anfangs hatte ich richtig Probleme. Immer, wenn der Puls über 130 ging, kam ein Schwindelgefühl. Da musste ich viel Arbeit reinstecken, bis es wieder besser ging. Ein Folgeschaden ist, dass ich auch heute noch zum Einschlafen immer ein Hintergrundgeräusch brauche, wie den Fernseher. Wenn ich mich hinlege und es ist ganz ruhig, dann höre ich ein Piepsen. Das werde ich auch nicht mehr los.

Sie haben auch psychologische Hilfe in Anspruch genommen.

Ja. Diese Veränderungen in der Persönlichkeit merkt man selbst kaum. Mein Schwiegervater war glücklicherweise Arzt. Er hat es dann anhand meines Verhaltens gemerkt. Es gab Tage, an denen ich gar nicht mehr aufstehen wollte. Irgendwie verliert man die Lust, man hatte nichts außer des Fußballs. Dann gab es Tage, da wollte ich alles einreißen.

Sie standen an der Schwelle zu einer Depression.

Ja, man will es selbst ja nie wahrhaben. Aber es war gut, dass es erkannt wurde und ich Hilfe bekommen habe. Gott sei Dank haben wir es geregelt bekommen.

Ein damals 17-jähriger Austria-Ultra war tatverdächtig. Zweifelsfrei nachgewiesen werden konnte ihm der Böller-Wurf aber nie.

Es gibt Videoaufnahmen, auf denen er sein T-Shirt wechselt, es war immer die gleiche Person. Ich hatte aber nie das Gefühl, dass man so richtig hinterher war, die Sache aufzuklären. Der ganze Mist hat sich über Jahre hingezogen. Für mich war die Krönung die Aussage eines Richters: „Wenn Ihr Anwalt blind wird, kann er seine Tätigkeit ja auch weiterführen, er wäre dann auf Blindenschrift angewiesen.“

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Demnach hätten Sie trotz eines Gleichgewichtsproblems weiter Fußballprofi sein können?

Ja, genau. Das habe ich nicht ganz verstanden. Fakt ist: Für den Böllerwurf wurde nie jemand bestraft. Damit muss ich leben – und irgendwann habe ich es dann auch geschluckt. Ich wollte einen Schlussstrich ziehen, ich hatte keine Kraft und keine Lust mehr.

Sie sind seit Jahrzehnten im Profifußball aktiv. Haben Sie einen Lieblingsmoment?

Da gibt es viele. Die Aufstiege mit Düsseldorf und Duisburg oder mit Kaiserslautern das Pokalfinale oder das Halbfinale im  Uefa-Cup. Das waren  Erlebnisse. Wären wir 1994 mit Fortuna Düsseldorf in der Aufstiegsrelegation zur Zweiten Liga gescheitert, würde es den Klub auf der deutschen Fußballlandkarte wohl nicht mehr geben. Das waren tolle Momente mit tollen Gemeinschaften. Davon profitiert man das ganze Leben.

Ist Fortuna Düsseldorf der Klub, mit dem Sie sich am meisten identifizieren?

Ja, da habe ich sechs Jahre gespielt. Da habe ich die Chance bekommen, meine ersten Schritte zu machen. Dafür werde ich immer dankbar sein. Aber auch später in Zagreb war es toll. Nach dem Bürgerkrieg sind wir damals zum ersten Mal wieder in einen internationalen Wettbewerb eingezogen. Wir hatten in Amsterdam gewonnen, wie wir dann in Kroatien gefeiert worden sind – sowas habe ich noch nie erlebt. Am Flughafen waren 40 000 Leute.

Besteht noch Kontakt zu ihren Auslandsstationen?

Auf jeden Fall, so etwas bleibt. In Zagreb habe ich mit Mario Mandzukic und Luka Modric zusammengespielt. Die sind ja anschließend ihren Weg gegangen. Bei Mario hatte ich noch etwas meine Finger im Spiel, als er nach Wolfsburg gegangen ist…

… inwiefern?

Felix Magath hatte mich ein paar Mal angerufen und sich nach ihm erkundigt. Mario war zwar ein Verrückter, aber er hat Qualität – das sieht man ja an seinem Werdegang. Es war also kein schlechter Tipp, den ich Felix damals gegeben habe.

Wie sehen Sie die Entwicklung bei Fortuna Düsseldorf in den vergangenen Monaten?

Sportlich war es erfolgreich. Aber das Theater mit Friedhelm Funkel war absehbar. Hätte er im letzten Jahr nicht diese Spiele gewonnen, hätte man sich damals schon von ihm getrennt. So musste man den Vertrag verlängern. Ich sage bewusst „musste“, weil der öffentliche Druck  hoch war. Jetzt hat man einfach auf einen Moment gewartet, in dem  man reagieren konnte.

Die Klubführung brauchte einen Vorwand, um Funkel zu entlassen?

Ja, das glaube ich. Friedhelm ist in den letzten Jahren zum Gesicht von Fortuna Düsseldorf geworden. Und da gab es sicherlich einige, die nicht gut damit leben konnten. Das ist mir schon immer eine gewisse Scheinheiligkeit des Vorstands dem Trainer gegenüber aufgefallen.

Glauben Sie, dass Uwe Rösler der Klassenerhalt  gelingt?

Ich kenne ihn zwar nur als Spieler, aber ich hoffe es. So Vereine gehören in die Erste Liga, egal wer an der Seitenlinie steht.

Sie können auf fünf Aufstiege zurückblicken…

… ja, das kann sein. Irgendwann habe ich nicht mehr mitgezählt (lacht).

Was ist das Erfolgsgeheimnis?

Ich habe immer die Herausforderung gesucht. Als ich 2004 nach Duisburg gewechselt bin, gab es einen Dreijahresplan für den Aufstieg. Da habe ich bei meiner Vertragsunterschrift zum Präsidenten gesagt: „Warum drei Jahre? Ich will in dieser Saison aufsteigen.“ Der hat mich ausgelacht. Dann haben wir gewettet – und ich habe gewonnen. Wenn ich mich unter Druck gesetzt habe, habe ich die besten Leistungen gebracht.

Sie wären 1997 beinahe beim AC Mailand gelandet. Was ist Ihnen damals dazwischengekommen?

Der 1. FC Köln ist dazwischengekommen. Ralf Hauptmann hatte scheinbar was dagegen (lacht). Es war der Rückrundenauftakt beim FC und ich hatte eh schon keinen guten Tag. Dann kam ein Rückpass, der etwas zu kurz war. Ralf wollte über mich drüberspringen, ist ausgerutscht und hat mir das Knie ins Gesicht gerammt und ist dann  auf meiner Hand gelandet. Nasenbein und Jochbein waren kaputt, in der Hand auch noch etwas. Nach dem Spiel hätte ich den Vertrag bei Milan unterschreiben sollen. Ein bisschen später haben sie halt Jens Lehmann geholt.

Bei Fortuna Köln sind Sie seit   2019 Torwarttrainer. Wie fällt Ihr erstes Fazit aus?

Es war eine Riesen-Herausforderung. Das hätte sich nicht jeder angetan, bei null anzufangen. Aber alle – vom Vorstand bis zum Platzwart – haben es positiv gesehen, obwohl viele Sachen im Argen lagen. Dass die Mannschaft Zeit brauchen würde, war uns klar. Wir hatten allerdings nicht damit gerechnet, dass es so lange dauern würde. Die Klubführung hat aber auch in kniffligen Situationen zu uns gestanden und dann haben wir  die Kurve bekommen.

Sie sagen, dass Sie immer Herausforderungen suchten. Die Drittliga-Rückkehr mit Fortuna Köln in der nächsten Saison wäre eine.

Ob das in der nächsten oder übernächsten Saison ist. Aber ja: Unser Anspruch muss dann sein, ganz oben mitzuspielen. Natürlich kommt es auch immer darauf an, was für Möglichkeiten der Verein hat. Damit meine ich gar nicht, dass man so viel Geld ausgeben muss. Wir müssen Spieler finden, die das Projekt hier mit Herz und Leidenschaft angehen. Thomas Stratos hat dann noch die schwierige Aufgabe, den Jungs das Fußballspielen nach seinen Vorstellungen beizubringen (lacht). Aber was hier in den letzten Monaten passiert ist, war schon sensationell.

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