Baha Güngör im Interview„Was aus dem Fall Özil gemacht wurde, ist ein Armutszeugnis“

Lesezeit 4 Minuten
WM 2018 Özil

Mesut Özil steht aktuell stark in der Kritik.

  • Baha Güngör (68) ist ein deutsch-türkischer Journalist.
  • Er volontierte 1976 bei der „Kölnischen Rundschau“.
  • Von 1999 bis zum Ruhestand 2015 leitete Güngör die türkische Redaktion der Deutschen Welle in Bonn.
  • Sein Buch „Atatürks wütende Enkel – Die Türkei zwischen Demokratie und Demagogie“ erschien 2017.

Herr Güngör, wie verfolgen Sie als Deutsch-Türke der ersten Generation die Debatte um  Fußball-Nationalspieler Mesut Özil? Was geht Ihnen als Privatmann und Journalist dabei durch den Kopf?

Mir geht durch den Kopf, dass der Deutsche Fußball-Bund in dieser Sache völlig versagt hat, zuletzt in Person des Präsidenten Reinhard Grindel, der jetzt von Özil eine Erklärung fordert. Mesut Özil hat einen riesengroßen Fehler gemacht, sich von einem Despoten (Präsident Erdogan, Anm. d. Red.) missbrauchen zu lassen vor den Wahlen in der Türkei.

Aber was daraus gemacht wurde, ist ein gesellschaftliches Armutszeugnis. Ich bin überzeugt, dass der Integration in Deutschland ein Bärendienst geleistet wurde.

Können Sie präzisieren, worin genau Ihrer Meinung nach der Schaden für die Integration in Deutschland liegt?

Ich nenne jetzt einmal als Vergleich den Fall Jimmy Durmaz in der schwedischen Nationalmannschaft. Dieser in Schweden geborene Spieler, dessen Eltern aus der Türkei stammen, wurde nach dem Fehler im Spiel gegen Deutschland, der zum deutschen Siegtor führte, von Rassisten angegriffen.

Die ganze Mannschaft hat sich vor ihn gestellt und den Rassismus in Schweden schärfstens verurteilt. Das hätte ich auch von der deutschen Nationalmannschaft erwartet, auch von Spielern wie Mats Hummels und Toni Kroos, dass sie sagen: Wir stehen zu unserem Kameraden und Mitspieler, auch wenn er einen Fehler gemacht hat. Ich glaube, das Tischtuch zwischen Özil und der Nationalmannschaft ist irreparabel zerschnitten.

Wäre es nicht hilfreich gewesen, wenn sich Mesut Özil selbst klar geäußert hätte?

Es wäre sehr schwierig gewesen für Mesut Özil, sich im WM-Stress hinzustellen und sich zu erklären. Der Unterstützung durch die ganze Mannschaft nach dem Beispiel der Schweden hätte er sich auch nicht sicher sein können. Der Shitstorm hätte doch nicht aufgehört. Ich habe sogar Verständnis für sein Schweigen. Ilkay Gündogan hat es ja auch nicht geholfen, dass er sich geäußert hat. Er ist vom eigenen Publikum ausgepfiffen worden.

Er ist im Moment nur ein wenig aus den Schlagzeilen heraus, weil alle auf Özil fixiert sind. Man kann  Özil vielleicht vieles vorwerfen, aber nicht, dass er der Mannschaft schaden wollte. Er hat große Leistungen im Trikot der deutschen Nationalmannschaft gebracht und ist 2014 mit ihr Weltmeister geworden. Was mir als Mensch, als Baha Güngör, nach 57 Jahren in diesem Land, leid tut, ist, dass das alles offenbar für die Katz war, was durch solche Leistungen an Integration geleistet wurde.

Das klingt sehr pessimistisch.

Was ich mir wünsche, ist eine Versachlichung der Debatte und einen Blick über den Tellerrand hinaus. Sehen Sie sich doch mal die Nationalmannschaften anderer Länder an. Frankreich und Belgien zum Beispiel, da gibt es so viele Menschen mit Wurzeln in afrikanischen und arabischen Ländern. Oder sehen Sie sich die Engländer an mit vielen Spielern anderer Hautfarbe. Wissen wir, wer von Ihnen sich schon mal mit irgendwelchen Despoten in Afrika haben ablichten lassen? Sie werden nicht ständig in Frage gestellt.

Das könnte Sie auch interessieren:

Ist Mesut Özil eine Identifikationsfigur für Deutsch-Türken und wie wird er in der Türkei gesehen?

Spieler, die sich für die deutsche Nationalmannschaft entschieden hatten sind in der Türkei sowieso nie gut geheißen worden. Und wenn Özil mit dem deutschen Trikot in der Türkei gespielt hat, was ja vorgekommen ist, dann gab es einen Shitstorm von der türkischen Seite gegen ihn. Ich glaube, dass Mesut Özil eine vorbildhafte Figur für junge Deutsch-Türken war. Aber damit ist es jetzt vorbei.

Der Junge erleidet das Schicksal von hunderttausenden türkischstämmigen jungen Menschen in Deutschland, die sich total integriert haben, die aber, weil sie sich eben auch zu ihren türkischen Wurzeln bekennen, immer wieder zwischen die Fronten geraten. Das ist etwas, das jeder normale Türkischstämmige erlebt, dass er immer wieder aufgefordert wird, sich zu einer Seite zu bekennen.Die Gesellschaft in Deutschland gesteht einem Menschen Ihrer Erfahrung nach also nicht zu, beides zu sein: deutsch und türkisch und sich zu beiden Wurzeln zu bekennen.

WM 2018 Güngör

Baha Güngör ist ein deutsch-türkischer Journalist.

Ich arbeite gerade an einem Buch mit dem Untertitel: „Wie wir Deutsche wurden und Türken geblieben sind“. Und ich fühle mich im Moment sehr solidarisch mit Mesut Özil. Ich bin 68 Jahre alt. Ich ertappe mich immer mehr dabei, dass ich den Türken in mir nicht ablegen kann – und auch nicht möchte. Und zwar aus folgendem Grund: Die deutsche Gesellschaft möchte integrierte Türken nicht so richtig akzeptieren. Sie will nur assimilierte Türken akzeptieren.

Und die Frage wird sich jetzt darum drehen, was integriert eigentlich ist. Bin ich als kölscher Jung, als kölscher Türke im Rheinland, wirklich integriert? Oder werde ich nur toleriert? Das ist die Frage, die ich mir nach 57 Jahre wirklich stelle. Ich sehe, dass die deutsche Gesellschaft noch nicht die Reife hat, Menschen von anderer Herkunft so zu akzeptieren, wie sie sind. Mit ihrer anderen Hautfarbe, ihrer anderen Religion und ihren anderen Wurzeln.

KStA abonnieren