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Abu Hanna spielte in der Ukraine„Ein Physio sucht in Mariupol noch nach seinem Vater“

Lesezeit 6 Minuten
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Joel Abu Hanna, geboren in Troisdorf, ist Profi beim polnischen Erstligisten Legia Warschau.

  • Joel Abu Hanna galt als großes Talent bei Bayer 04, war Junioren-Nationalspieler, landete irgendwann bei Fortuna Köln und fiel in ein Karriereloch.
  • Er wechselte mit 21 in die Ost-Ukraine, ins Kriegsgebiet. Und rettete seine Karriere. Mit Luhansk spielte er im Europapokal, bekam aber dem Krieg hautnah mit.
  • Heute spielt er für Polens Top-Klub Legia Warschau und ist Nationalspieler Israels, da sein Vater dort als arabischer Christ geboren wurde.
  • Interview mit einem ungewöhnlichen Fußballprofi aus Hennef

Köln – Herr Abu Hanna, Sie spielten von 2019 bis Sommer 2021 für Sorja Luhansk in der ersten ukrainischen Liga. Im von russischen Separatisten besetzten Luhansk und in Saporischschja, wo Luhansk spielte und Sie lebten, ist Krieg und wird gekämpft. Was hören Sie von ehemaligen Mitspielern?

Ich habe noch regelmäßigen Kontakt zu ihnen. Auch wenn ich mittlerweile seit Juli 2021 in Warschau spiele und lebe, habe ich unmittelbar nach Kriegsausbruch richtig schlecht geschlafen. Denn nicht nur sportlich, auch menschlich hatte ich dort eine tolle Zeit. Und dann hörst du Geschichten von Menschen, die wirklich alles verloren haben. Die Geschichte von unserem früheren Physiotherapeuten, der in Mariupol immer noch seinen verschollenen Vater sucht. Oder von meinem ehemaligen Trainer Viktor Skripnik (früherer Coach und Spieler bei Werder Bremen, d. Red.), der Jugendspieler des Klubs bei sich aufgenommen hatte und bei Bombenangriffen mit ihnen in den Keller flüchtete. Das sind Geschichten, die lassen keinen kalt. Und man überlegt, wie man selbst helfen kann.

Haben Sie geholfen?

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Mein Verein Legia Warschau hat eine Stiftung, bei der Geld- und Sachspenden für ukrainische Flüchtlinge abgegeben werden konnten. Da haben wir, wie viele Freiwillige, auch bei der Abgabestelle mitgeholfen, ich selbst habe regelmäßig Hilfsgüter eingekauft und sie dorthin gebracht. Wir haben auch Familienangehörigen meiner Ex-Mitspieler geholfen, nach Deutschland zu gelangen und dort auch unter zu kommen. Meine Mutter, die in Hennef lebt, hat selbst fast zwei Monate lang Geflüchtete bei sich zu Hause aufgenommen. 15 Leute haben zwischenzeitlich im Haus gewohnt. Es war voll, aber es wurde Platz geschaffen. Ich habe großen Respekt, was meine Mutter und meine Schwester für diese Menschen getan haben.

Zur Person

Joel Abu Hanna, geboren am 22. Januar 1998 in Troisdorf, wuchs in Hennef auf. Der Innenverteidiger begann beim SC Uckerath und bei TuRa Hennef/FC Hennef 05. 2008 kam er in die Jugend von Bayer 04 Leverkusen. Im Sommer 2017 wechselte Abu Hanna zum 1. FC Kaiserslautern in die 2. Bundesliga. Weitere Stationen: Magdeburg, Fortuna Köln (als Leihspieler in der Rückrunde 2019), Sorja Luhansk (2019 bis 2021), Legia Warschau (seit Juli 2021). Der ehemalige DFB-Juniorennationalspieler (Mutter Deutsche, Vater gebürtiger Israeli) ist seit Oktober 2020 A-Nationalspielers Israels und absolvierte bisher sechs Einsätze.

Sie waren fast zehn Jahre für Bayer 04 Leverkusen aktiv und bestritten 20 Junioren-Länderspiele für den DFB. Warum sind Sie 2019 mit 21 Jahren in die Ostukraine gewechselt?

Ich hatte in Deutschland eine ganz schwierige sportliche Phase mit einigen Wechseln und Verletzungen hinter mir, vor allem meine letzte Station in Magdeburg war für mich persönlich leider eine zum Vergessen. Ich habe sicherlich auch eigene Fehler gemacht, aber vor allem fühlte ich mich zu der Zeit in Deutschland abgeschrieben. Viele trauten mir einfach nichts mehr zu. Ich hatte das Gefühl: Um meine Karriere zu retten, muss ich hier raus und Deutschland verlassen. Zu der Zeit rief mich Viktor Skripnik an, der mich noch aus meiner Bayer-Zeit kannte. Er sagte zu mir: „Wenn du bereit bist, einen Schritt als Mann zu machen, dann komm‘ zu mir nach Luhansk.“ Ich habe zugesagt und es nie bereut.

Denn sportlich lief es, Sie wurden zum Stammspieler bei Sorja Luhansk. Sie absolvierten 55 Pflichtspiele in zwei Jahren und liefen sogar in der Europa League auf. Wie haben Sie diese Zeit empfunden?

Sie war meine bisher beste und erfolgreichste. Wissen Sie, Saporischschja ist als vielleicht als Stadt keine typische Schönheit, auch das Trainingsgelände umweht Ostblock-Charme. Wir hatten wegen des Krieges auch keine richtigen Heimspiele, aber wir hatten Erfolg und vor allem eine geile Truppe mit tollen Charakteren und einer super Stimmung. Meine Freundin Alina, die damals noch in Deutschland studierte, kam so oft es ging zu Besuch. Es war eine gute Zeit, für die ich dankbar bin. Und ich hatte gemerkt, dass ich auf dem Niveau mithalten kann. Wir hatten ja nicht irgendwelche Kirmes-Spiele, sondern unsere Gegner hießen Schachtjor Donzek, Dynamo Kiew und international Leicester, Braga oder Espanyol Barcelona.

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Im Sommer 2021 nahmen Sie dann das Angebot von Legia Warschau an. Wie kam es dazu?

Es heißt ja immer so oft: Spieler XY will den nächsten Schritt machen. Aber das traf auch auf mich zu. Luhansk wollte zwar mit mir verlängern, aber Legia ist der Top-Klub in Polen und Warschau eine tolle, spannende Metropole. Ich habe einen Vertrag bis 2024 unterschrieben, mit dem ich sehr zufrieden bin. Der Verein hat eine große Tradition und unglaubliche Fans, die sehr fanatisch sind. Wer schon mal da war, der weiß: Wenn hier über 30.000 Fans im Stadion sind, dann gehört es zu den lautesten, stimmungsvollsten Arenen in ganz Europa. Wir haben bei Legia ideale Bedingungen, ein Top-Trainingszentrum. Aber in der neuen Saison wollen und müssen wir uns gewaltig steigern, das sind wir alleine schon den Fans schuldig. Denn die letzte Saison war mit zwischenzeitlichem Abstiegskampf leider schlecht. Zu Saisonbeginn kämpften wir in der Quali noch um die Teilnahme an der Champions League, doch danach lief nichts mehr. Zum Glück war die Rückrunde dann deutlich besser. Auch ich will wieder angreifen, nachdem ich mir im Herbst einen Meniskusriss zugezogen hatte, der mich monatelang außer Gefecht setzte. Jetzt bin ich aber wieder fit und stecke in der Vorbereitung, die bei uns schon begonnen hat. Aber auch hier, im Nachbarland der Ukraine, lässt einen der Krieg nicht los. Mein Zimmernachbar Igor Kharatin ist Ukrainer, und in der Stadt hört man an jeder Ecke, dass ukrainisch gesprochen wird. Polen hat über drei Millionen Geflüchtete aufgenommen. Vor der Hilfe, die Polen für die Ukraine leistet, kann man nur den Hut ziehen.

Sie spielen seit einigen Jahren im Ausland und sind der Sohn eines gebürtigen Israeli. Wo oder was ist für Sie Heimat?

Natürlich ist Deutschland Heimat. Ich bin in Hennef aufgewachsen. Aber genauso ist auch Israel Heimat. Ich war dort oft im Urlaub und liebe das weltoffene Flair in Tel Aviv, die Lebenseinstellung der Israelis und das traumhafte Wetter.

Mittlerweile sind Sie Nationalspieler Israels. Gab es vor Ihrer ersten Nominierung Vorbehalte gegen einen blonden deutschen Jungen, der der Sohn eines christlich-arabischen Israelis ist?

Beim Verband, der Mannschaft und bei den vielen Fans bin ich mit offenen Armen empfangen worden. Aber es gab auch im Netz dumme Kommentare und Beleidigungen – leider vor allem aus Deutschland. Ich sehe mich als weltoffenen Menschen, der versucht, darüber zu stehen. Konfession, Hautfarbe, sexuelle Orientierung: All‘ das sollte keine Rolle spielen.

Gehen Sie konform damit, dass Ihre Profikarriere eine äußerst ungewöhnliche ist?

Ja, das kann man absolut behaupten (lacht). Ich war erst Jugendspieler, dann Jungprofi in Leverkusen, wie hätte ich mir so etwas vorstellen können? Aber mein Weg ist der beste, der mir passieren konnte. Ich bin sehr viel reifer geworden und konnte meinen Horizont absolut erweitern. Vielleicht kehre ich mal nach Deutschland zurück, vielleicht aber auch nicht. Ich bin erst 24 Jahre alt, ich habe noch den Traum, irgendwann in einer der fünf Top-Ligen Europas zu spielen. Aber ich bin dankbar und zufrieden, wie alles gekommen ist. Ich bin glücklich.

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