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Ex-FC-Sportdirektor Volker Finke„Die Bundesliga ist nicht systemrelevant“

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Volker Finke (l.) und sein Assistent Achim Sarstedt saßen bei Freiburgs Heimspielen stets in einem Langeoog-Strandkorb. 

  • Als Trainer schrieb Volker Finke Fußballgeschichte: 16 Jahre lang trainierte er den SC Freiburg – ein Rekord im deutschen Profifußball.
  • Von Februar 2011 bis März 2012 war Finke zudem Sportdirektor des FC Köln.
  • Im Interview spricht er über den SC Freiburg, seine Kölner Zeit und wieso er dagegen ist, dass die Bundesliga aktuell weiter spielt.

Köln – Herr Finke, Ihr langjähriger Verein, der SC Freiburg, scheint wieder auf dem besten Weg zum Klassenerhalt zu sein. Und dies mit begrenzten Möglichkeiten. Was sagen Sie dazu?

Das verwundert mich nicht. In Freiburg ist die Situation grundsätzlich berechenbarer als an vielen anderen Standorten. Im operativen Geschäft haben mit Sportvorstand Jochen Saier, Trainer Christian Streich und Sportdirektor Klemens Hartenbach drei Leute das Sagen, die schon 15 bis 20 Jahre im Verein sind und die besondere DNA des SC Freiburg bestens kennen. Christian Streich ist nicht nur ein guter Trainer, sondern hat auch ein tolles Team um sich herum. Wenn die drei zusammenbleiben, kann die erfolgreiche Arbeit fortgesetzt werden. Sie haben ein Gespür für den Verein und die Menschen, die in ihm arbeiten. Ich sehe den Sport-Club grundsätzlich auf einem guten Weg. Der Verein hält sich weiter an die Prämisse aus der Zeit von Ex-Präsident Achim Stocker und mir: Der Sport-Club macht keine Schulden.

Aber ist denn dieser SC Freiburg noch mit dem aus Ihren Amtsjahren zu vergleichen?

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Er hat sich natürlich weiterentwickelt und modernisiert. Als ich Anfang der 90er Jahre angefangen habe, war beim Sport-Club nichts professionell. Da hat uns um die Jahrtausendwende auch Andres Rettig als Manager maßgeblich vorangebracht. Heute ist der Sport-Club sicherlich ein bisschen austauschbarer geworden. Für uns wäre es zum Beispiel damals undenkbar gewesen, für bestimmte Produkte Werbung zu machen. Wie waren Vorreiter in Sachen Klimaschutz, wir waren der Verein aus einer besonders ökologischen, diversen Stadt. Und dann haben wir auch noch anders Fußball gespielt. Da waren wir sicherlich eine Ausnahme, aber wir sind dafür auch über die Region hinaus akzeptiert und geschätzt worden. Der Profi-Fußball hat sich in den letzten Jahren in einem ungeheuren Tempo weiterentwickelt. Der SC bekommt TV-Gelder, von denen wir nicht mal träumen konnten und ist auch mit dem so gut wie fertigen neuen Stadion ganz anders aufgestellt als wir damals. Das schafft neue Möglichkeiten. Der Verein ist heute in der Lage, zehn Millionen Euro Ablöse für einen Spieler wie Baptiste Santamaria zu bezahlen.

Wie ist Verhältnis zum Sport-Club?

Zu den jetzigen Verantwortlichen, die ich noch von früher kenne, habe ich ein angenehmes Verhältnis. Ich freue mich, wenn es so gut läuft. Ich bin allerdings kein Samstags-Junkie mehr, der sich alle Spiele angucken muss.

Was ist für Freiburg in dieser Saison drin?

Ich denke, die Mannschaft wird am Ende zwischen Platz sieben und zehn einlaufen, mit dem Kampf um den Klassenerhalt wird sie nichts zu tun haben. Sie hat in den vergangenen zwei Jahren mit Ausnahme von Robin Koch und Luca Waldschmidt, der bei Christian Streich ohnehin nicht immer gespielt hat, keine Leistungsträger verloren und ist eingespielt. Christian Streich macht das sehr gut, er zieht seine Linie immer wieder durch. Theater durch unzufriedene Spieler vernimmt man so gut wie nie.

Sie waren 16 Jahre lang im Amt und haben in Freiburg eine Ära geprägt. Ähnliches lässt sich von Streich sagen, der bereits neun Jahre Trainer ist.

Der Sport-Club ist seit den Tagen von Achim Stocker und mir sicherlich ein etwas anderer Verein, bei dem Kontinuität und Unaufgeregtheit eine große Rolle spielen. Christian Streich ist mit dem Team zwischenzeitlich auch einmal abgestiegen, dennoch gab es keine Diskussionen um ihn. Er hat ebenfalls den pädagogischen Ansatz. Er kann die Mannschaft lesen und versteht was von Menschenführung. Das ist der Schlüssel zum Erfolg. Dafür muss man nicht unbedingt ein großer Spieler gewesen sein. Christian Streich ist in der Lage, die Mannschaft genau zu beobachten, er weiß, was in der Kabine passiert, wie sich die Spieler untereinander verhalten und wie er direkt Einfluss nehmen kann. Das versteht auch Hansi Flick beim FC Bayern München großartig.

Streich bezieht auch immer wieder gesellschaftlich klar Stellung.

Das habe ich damals auch. Im Fußball gibt es heute immer weniger Leute, die sich direkt zu diesen Themen äußern. Vielleicht, weil sie in einer Blase leben, in der diese Themen keine Rolle spielen, oder weil sie es sich nicht trauen und mögliche Konsequenzen fürchten. Meiner Meinung nach sollte es aber eine Selbstverständlichkeit sein, sich gegen bestimmte Fehlentwicklungen zu positionieren. Unsere Gesellschaft hat gleich mehrere große Probleme zu bewältigen. Und deshalb sollten Profisportler da ihre mediale Aufmerksamkeit mehr nutzten. Auch ich engagiere mich heute weiterhin in der Gesellschaft und für die Gesellschaft.

Wie sieht Ihr Alltag ansonsten aus?

Ich bin jetzt 72 Jahre alt, meine letzte Station als Nationaltrainer von Kamerun ist jetzt fünf Jahre her. Alles hat seine Zeit. Ich mache nur noch Dinge, auf die ich Lust habe.

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Hat Ihnen denn Ihre 15-monatige Zeit als Sportdirektor des 1. FC Köln Lust bereitet? Ihr Abgang verlief ja weniger schön…

Insgesamt gesehen hat mir die Zeit beim FC Spaß gemacht. Der FC ist ein interessanter, bunter Traditionsverein in einer Stadt, die den Fußball lebt und liebt. Ich möchte nicht mehr ins Detail gehen, warum man sich dann relativ schnell wieder getrennt hat. Ich empfinde es immer nur als schade, dass der FC seine großen Möglichkeiten durch bestimmte Dinge nicht ausschöpft.

Wie sehen Sie den FC derzeit sportlich aufgestellt?

Ich bin mir sicher, dass die Kölner den Klassenerhalt schaffen. Die Mannschaft hat mit Spielern wie Bornauw, Skhiri, Duda und einigen vielversprechenden Talenten genug Potenzial, um in der Liga zu bleiben.

Nicht nur der 1. FC Köln, sondern alle Klubs vermissen die Zuschauer. Wie gefällt Ihnen der Fußball in der Corona-Krise?

Es dreht sich nicht immer alles um den Fußball. Er geht jetzt darum, dass wir alle mithelfen und es schaffen, diese Pandemie unter Kontrolle zu bringen. Jetzt ist nicht die Zeit für Sorglosigkeit. Sie können ruhig schreiben, dass ich kein Anhänger davon bin, dass die Bundesliga aktuell weiterspielt. Wir alle sind derzeit zu Verzicht aufgerufen und müssen mit gravierenden Einschränkungen leben. Und dann sehen da Kinder in der Bundesliga ihre Vorbilder, die sich ohne irgendwelchen Abstand umarmen. Zudem ist die Bundesliga für mich derzeit nicht systemrelevant – das gilt ebenso für andere Profisportarten. Viele Ansteckungen erfolgen im privaten Bereich. Und am Ende ist es doch so, dass sich aufgrund der geschlossenen Stadien und Kneipen viele Fans in den eigenen vier Wänden zum gemeinsamen Fußballgucken treffen.

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