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FC BayernDie wundersame Reise des Trainers Hansi Flick auf den Gipfel

Lesezeit 4 Minuten
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Hansi Flick mit Champions-League-Pokal im Kreis seiner Spieler

  • In nur 36 Spielen hat der Münchner alles gewonnen, was es im Fußball zu gewinnen gibt.
  • Die größte Stärke des ehemaligen Assistenten von Joachim Löw ist seine Gelassenheit.
  • Die Spieler adeln den Fußball-Lehrer und zahlen es ihm sein Engagement mit Leistung zurück.

Köln – Es existiert ein Foto vom 5. Oktober 2019, das im Tumult des siebten Bundesliga-Spieltages eine Begegnung zwischen zwei Nebendarstellern auf der Bayern-Bank zeigt. Hansi Flick umarmt am Rande des Heimspiels gegen Hoffenheim, das die Münchner 1:2 verloren, den weinenden Profi Xavi Martinez. Beim Anblick dieses Bildes wird den meisten Betrachtern des deutschen Fußballs vermutlich erst klar geworden sein, dass Hans-Dieter Flick (55), genannt Hansi, eine Assistentenrolle beim Rekordmeister übernommen hatte; auf Wunsch des Cheftrainers Niko Kovac übrigens, der mit dieser Idee seinen wertvollsten Beitrag zur Vereinsgeschichte des FC Bayern München geleistet hat.

Die Verzweiflung des übersehenen Reservisten Martinez war der Anfang vom Ende des Deutsch-Kroaten als führender Übungsleiter der Bayern. Einen Monat später, nach dem 1:5 in Frankfurt, war Kovac weg. Und weil sonst niemand verfügbar war, dem man die Gruppe meuternder Fußball-Großverdiener vorübergehend anvertrauen konnte, hat man es Flick machen lassen.

Im Hintergrund begann bereits die Suche nach Kandidaten, denn Flick war weder jung, noch als Vereinstrainer erfahren, er stand nicht für einen bestimmten Fußball, einen Plan und eine Art der Teamführung. Er schien der klassische Stimmungsaufheller für die Zeit des Übergangs. Genau 36 Pflichtspiele später, von denen seine Mannschaft 34 gewann, hat dieser Hansi Flick alles erreicht, was ein Vereinstrainer auf einmal erreichen kann: Die Meisterschaft, den DFB-Pokal, die Champions League. Das Triple, perfekt gemacht durch das 1:0 gegen Paris Saint-Germain im Geisterfinale von Lissabon. Es ist die erstaunlichste Trainer-Blitzkarriere in der Geschichte des modernen Fußballs.

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Keiner hat eine richtige Ahnung davon, wie dieser Mann das geschafft hat. Es muss etwas mit seiner verblüffenden Gelassenheit zu tun haben. Nie hat Flick die Zornesröte im Gesicht, nie Schaum vor dem Mund, nie schwillt ihm eine Ader, nie treibt ihm der Wahnsinn die Augen aus den Höhlen. Er wirkt nicht wie ein Anführer vom Schlag eines Jürgen Klopp, der mit dem Messer zwischen den Zähnen in den Kampf zieht und sich zur Not in die Kugeln wirft, um seine Männer zu beschützen. Nach dem 1:0-Sieg über Paris Saint-Germain sagte Flick ruhig: „Ich kann meine Gefühle noch gar nicht beschreiben. Aber es war die Leistung eines Teams.“ Die Leistung dieses Mannes, der 1987 als Spieler mit den Bayern das Europapokalfinale gegen Porto 1:2 verlor und später zum 1. FC Köln (1990 bis 1993) wechselte, kann nur von einem beschrieben werden, der ihn jeden Tag bei der Arbeit erlebt. „Der Trainer“, sagte Thomas Müller, so wie nur er es kann, „ist der Mann, der das Schiff auf Kurs hält. Das hat Hansi perfekt gemacht“.

Hansi Flicks Leistung vor dem Finale gegen den von Taktik besessenen Kollegen Thomas Tuchel war der Startelfeinsatz des gebürtigen Parisers Kingsley Coman, der in der 59. Minute per Kopf das einzige Tor dieses intensiven Endspiels erzielte. Und das mutige, unbeirrte Festhalten an seinem offensiven Spielkonzept, vor dem ihm viele Experten gewarnt hatten. Flick riskierte lieber die unvermeidlichen Großchancen der PSG-Superstars Neymar und Mbappé als die fußballerische Identität seiner Mannschaft zu verraten und wurde dafür belohnt, denn er hat in seinem Team den besten Torwart der Welt. „Ich spiele schon lange bei den Bayern“, sagte Manuel Neuer nach dem Triumph glücklich, „aber es hat noch nie so viel Spaß gemacht wie jetzt“. Diesen Gewinn an Lebensqualität zahlte er Flick zurück mit drei unglaublichen Paraden, die PSG-Trainer Thomas Tuchel von „Wettbewerbsverzerrung“ sprechen ließen.

Hansi Flicks Geheimnis ist, dass er zu jedem Spieler in seinem Kader sowohl einen menschlichen als auch einen fußballerischen Zugang gefunden und so alle besser gemacht hat. Dasselbe gilt auch für jeden seiner Assistenten und für alle Mitglieder des gesamten Teams hinter dieser Mannschaft. „Du bist immer so ein bescheidener Mensch. Du hast einen Wahnsinnsjob gemacht“, sagte Klubchef Karl-Heinz Rummenigge, der in Understatement selbst nicht so gut ist. Er und die Bayern-Führung haben ein wenig gebraucht, ehe sie Flicks Größe als Trainer erkannten und seinen Vertrag im Frühjahr bis 2023 verlängert haben.

Vielleicht haben die Bayern immer noch nicht ganz verstanden, welches Geschenk ihnen das Fußball-Schicksal im Herbst 2019 mit Hansi Flick gemacht hat. Sie hatten aber wie immer in solchen Momenten die Fähigkeit, es dann doch gern anzunehmen.

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