TraumspielAls Dietmar Hamann für einen englischen Alptraum sorgte

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Torschütze Dietmar Hamann (r.) feiert seinen Treffer.

  • Am 7. Oktober 2000 schoss ein Deutscher das letzte Tor im legendären Wembley-Stadion.
  • Dietmar Hamann traf zum 1:0-Sieg im Länderspiel gegen England.
  • Unser Autor erinnert sich an die Partie in London: „Wembley, London. Eine Legende sagt Goodbye.“

Köln – In der 14. Spielminute gibt es nach einem Foul von Paul Scholes an Michael Ballack Freistoß für die deutsche Nationalmannschaft. 30 Meter vor dem Tor legt sich Dietmar Hamann den Ball zurecht. Nach einem kurzen Anlauf schlägt der  harmlos wirkende Schuss im rechten unteren Eck des Tores ein. Englands Keeper David Seaman macht – trotz des nassen Rasens – eine unglückliche Figur. Der Jubel der deutschen Fans setzt verzögert ein, so groß ist die Überraschung über den Treffer. So fällt am 7. Oktober 2000 vor 76377 Zuschauern das letzte Tor im legendären Wembley-Stadion. Eine der bekanntesten Stätten des Welt-Fußballs hat ausgedient.

Nach nur 300 Tagen Bauzeit fand am 28. April 1923 mit dem englischen Pokalfinale zwischen den Bolton Wanderers und West Ham United das erste von unzähligen Fußballspielen statt, auch bekannt als „White Horse Final“.  Das Fassungsvermögen von 127000 Besuchern wurde an diesem Tag deutlich überschritten. Je nach Quelle waren es angeblich über 250000 Menschen, die dem Spiel beiwohnen wollten. Um die Menge vom Spielfeld zu drängen ritt ein Polizist auf seinem Pferd in immer größeren Kreisen über den Rasen. Eines von vielen denkwürdigen Ereignissen im Stadion mit den markanten Zwillingstürmen: Olympische Spiele 1948, Spiele der WM 1966 und EM 1996 sowie Konzerte wie das Wohltätigkeitsfestival „Live Aid“ 1985 erlebte das weite Rund im Nordwesten Londons.

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Am frühen Morgen des 7. Oktober brechen 50 FC-Anhänger mit dem vom Fan-Projekt des 1.FC Köln angebotenen Bus in die englische Hauptstadt auf. Den ganzen Tag über regnet es. Statt des üblichen Sightseeings verschlägt es die Anhänger der DFB-Elf in die Pubs. Erst kurz vor Spielbeginn treffen sie am Stadion ein. Auf der Fassade prangen große Banner mit den Bildern von englischen Nationalspielern aus allen Dekaden. Für dieses historische Spiel wurde eigens ein Motto ausgegeben: „The Final Whistle – Wembley Stadium 1923 – 2000“. Dazu haben deutsche Fans ein T-Shirt entworfen. Neben den Daten der Begegnung findet sich auf der Rückseite um eine Darstellung der Arena herum: „Wembley, London. Eine Legende sagt Goodbye.“

Bomber und Rinderwahn

Vor dem Anpfiff zeigen die Briten auf den drei den Heimfans vorbehaltenen Tribünen die englische Fahne mit weißen und roten Papptafeln. Das Singen der britischen Hymne „God Save The Queen“ ist ein unvergesslicher Gänsehaut-Moment. Während die Partie nach der deutschen Führung wenig spektakulär dahin plätschert, duellieren sich auf den Rängen die Fan-Lager lautstark und mit voller Inbrunst. Viele Engländer breiten die Arme aus um provozierend an die Angriffe der Bomber der Royal Air Force während des Zweiten Weltkriegs zu erinnern. Ähnlich fragwürdig die Antwort der Deutschen. Mit lautem Muhen spielen sie auf die als Rinderwahn bekannte Erkrankung von Hausrindern an, die in den 1990ern in Großbritannien stark verbreitet war. Die Rivalität ist groß und so kommt es während der Halbzeit im Stadionumlauf auch zu einem Handgemenge.

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Das letzte Spiel im legendären Wembley-Stadion

Auf dem Feld geht es weniger aufregend zu. Weder Andy Cole noch Tony Adams und David Beckham können mit ihren Schussversuchen Oliver Kahn in Verlegenheit bringen. So schafft es Hamanns Treffer in die Geschichtsbücher. Ausgerechnet ein in England beim FC Liverpool spielender Deutscher hat das letzte Wort. Härter hätte es für die englische Seele kaum kommen können. Eine Niederlage gegen den Erzrivalen Deutschland zur Verabschiedung des Fußball-Nationalheiligtums   –  das war anders geplant. Nach dem Schlusspfiff kommt zum natürlichen noch ein Konfettiregen dazu. Über den Tribünendächern wird ein Feuerwerk abgebrannt. Die deutsche Elf und ihre Fans genießen diesen historischen Augenblick sichtlich.

Englands Revanche

Anders als das „Wembley-Tor“ von Geoff Hurst im WM-Finale 1966 ist das Freistoß-Tor von Hamann nicht umstritten. Deutschland entscheidet das Qualifikationsspiel verdient für sich. Im Rückspiel ein knappes Jahr später wird sich England mit einem 5:1 im Münchner Olympiastadion für die Heimniederlage revanchieren. Ein weiteres Nachspiel findet im Mai 2005 statt. Eine im Rahmen der Entstehung des neuen Wembley-Stadions gebaute Fußgängerbrücke von der Bahnstation „Wembley Stadium“ zur Arena soll per Internet-Abstimmung einen Namen erhalten. Es dürfen Vorschläge eingereicht werden, über die abgestimmt wird. Offenbar haben viele Fans aus Deutschland mitgemacht, denn zum Entsetzen der Engländer gewinnt der Vorschlag „Dietmar Hamann Bridge“. Dort kennt auch der vielgerühmte britische Humor Grenzen. So erinnert man sich an den Helden des Eröffnungsspiels des alten Wembley-Stadions. Heute erreicht man über die „White Horse Bridge“ die neue Arena mit dem berühmten Namen.

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