WM 1930 in UruguayAls ein Keeper auf der Anreise 16 Kilo zunahm

Lesezeit 5 Minuten
digas-172197068_MDS-KSTA-2020-07-26-71-163415397

30. Juli, erstes WM-Finale im Centenario-Stadion von Uruguay: Die Gastgeber (mit schwarzen Hosen, rechts) gehen mit 1:0 in Führung. Im Hintergrund beobachtet Schiedsrichter John Langenus die Szene.  

  • Uruguay war 1930 Ausrichter der ersten Fußball-Weltmeisterschaft und gewann das Turnier letztlich.
  • Es gibt allerhand amüsante Anekdoten des Turniers.
  • So gestaltete sich die Anfahrt für europäische Teilnehmer kompliziert. Und der „Kicker“-Korrespondent war gleichzeitig der Final-Schiedsrichter.

Köln – Als am 13. Juli 1930 um 15 Uhr  das erste Spiel einer Fußball-Weltmeisterschaft angepfiffen wurde,   waren die Bauarbeiten am offiziellen Stadion dieser Titelkämpfe, dem Estadio Centenario in Montevideo, noch nicht vollendet. Frankreich, einer von vier europäischen Gästen im Feld der lediglich 13 teilnehmenden Nationen, spielte also im Estadio Pocitos, ebenfalls in Uruguays Hauptstadt gelegen, vor  3000 Zuschauern gegen Mexiko. Die Franzosen gewannen mit 4:1, Lucien Laurent von CA Paris erzielte in der 19. Minute das 1:0 für die mit dem Dampfer „Conte Verde“ angereisten Spieler des alten Kontinents. „Wir freuten uns natürlich alle über diesen Treffer, aber  keiner hatte realisiert, dass ich Geschichte geschrieben hatte“, sagte der Schütze des ersten WM-Tores später einmal.

Nicht mehr als vier Teams vom Fußball-Kontinent Europa, zudem  fehlten die Pioniere aus England und der Rest der britischen Insel, hinzu kam ein noch nicht fertiges Großstadion, das zentraler Fixpunkt dieser Meisterschaften sein sollte  – die Veranstaltung wirkte am Anfang ihrer Zeit arg improvisiert. 17 Tage dauerten die Wettkämpfe vor 90 Jahren – allerdings wurde  an ihrem Ende am 30. Juli 1930   klar, dass es sich insgesamt um eine Veranstaltung handelt, der großes Potenzial innewohnt. Dieses Versprechen haben  Weltmeisterschaften im Fußball  durchaus gehalten, das  Format hat sich zum größten Sportereignis der Welt entwickelt –  auch wenn die Organisatoren der Olympischen Spiele das bestreiten würden.

Die Idee

Der Niederländer Carl Anton Willem Hirschmann, Generalsekretär des 1904 gegründeten Fußball-Weltverbandes Fifa, schlug bereits 1905 vor, eine WM zu veranstalten.  Der Plan wurde allerdings nicht weiter verfolgt.

Doch schon nach den Olympischen Spielen von Paris im Jahre 1924 gründete die Fifa eine Kommission, die die Durchführbarkeit eines WM-Turniers untersuchen sollte. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hatte den Publikumserfolg  Fußball zuvor  an den Rand des olympischen Programms geschoben. Der Amateurstatus der Olympischen Spiele  verhinderte, dass die bereits unter Profibedingungen spielenden Briten, Österreicher, Ungarn und Tschechoslowaken an den Wettbewerben im Zeichen der Ringe teilnehmen konnten, was die Qualität des Turniers entwertete.

Das könnte Sie auch interessieren:

Und so beschloss die Fifa auf ihrem am 28. Mai 1928 tagenden Kongress  unter ihrem französischen Präsidenten Jules Rimet die Einführung der Fußball-WM, die ab 1930 alle vier Jahre auszutragen sei. Spanien, die Niederlande, Schweden, Ungarn, Italien und Uruguay bewarben sich um die Ausrichtung. Doch nur die Südamerikaner verfolgten den Plan, eine WM am Rio de la Plata auszurichten, mit großem Ehrgeiz. Das Land wollte auf sich aufmerksam machen und gleichzeitig seine Hundertjahrfeier  zelebrieren – daher auch der Name Centenario für das gigantische Nationalstadion, das man zum Zwecke der WM zu  bauen versprach,   Centenario bedeutet Hundertjahrfeier. Pfingsten 1929 erhielt Uruguay  schließlich den Zuschlag, nachdem die Südamerikaner auch zusagten, die Reise- und Unterbringungskosten zu übernehmen.

Die Anreise

Europäische Nationen hatten angesichts der Reisestrapazen und dem geringen Vertrauen in die Organisationskünste des Gastgeberlandes vielfach kein Interesse an einer Teilnahme. Die Niederlande, Italien, Spanien, Schweden, Ungarn, Österreich, Deutschland, die Schweiz und die Tschechoslowakei sagten genauso ab wie England. Nur Frankreich, Rumänien, Belgien und Jugoslawien begaen sich   auf die 18-tägige Schiffsreise nach Montevideo. Fifa-Präsident Jules Rimet war samt Pokal auch an Bord.  Trainiert wurde an Deck, doch offenbar nahm nicht jeder die Übungen   ernst.  Jugoslawiens Torhüter Milovan Jaksic jedenfalls legte auf der Überfahrt gleich  16 Kilogramm an Gewicht zu.

Das Turnier

Nachdem die Franzosen Mexiko mit 4:1 geschlagen hatten, mussten sie gegen den Mitfavoriten Argentinien antreten und verloren im ersten Skandalspiel der WM mit 0:1. Das Tor fiel in der 81. Minute. Als kurz darauf der Franzose Marcel Langiller alleine auf das Tor der Argentinier zulief, pfiff der brasilianische Schiedsrichter Rego die Partie überraschend ab. Argentinien jubelte,  doch Rego wurde auf seinen Fehler aufmerksam gemacht. Also wurde die Partie fortgesetzt, doch ein Tor fiel nicht mehr.

Der Verlauf der Spiele spülte  neben den großen Favoriten Uruguay und Argentinien, die beide  alle ihre Vorrundenspiele gewannen, zwei Überraschungsteams ins Halbfinale: die USA und Jugoslawien mit  ihrem Torhüter Jaksic. Doch die Außenseiter waren in der Vorschlussrunde chancenlos: Argentinien bezwang die USA mit 6:1. Mit demselben Ergebnis gewann auch Uruguay gegen Jugoslawien. Die erste WM hatte ihr erhofftes Traumfinale.

Das Endspiel

Uruguay war die Mannschaft des Jahrzehnts, das Team gewann Gold bei den Olympischen Spielen von 1924 und 1928, es begeisterte mit famosem Fußball und grandiosen Siegen. Das Finale des olympischen Turniers von Amsterdam 1928 bestritten   ebenfalls die Nachbarn Uruguay und Argentinien. Uruguay gewann mit 2:1.

Vor dem Finale vor 90.000 Zuschauern im seit dem 18. Juli spielbereiten Centenario besteht der   belgische Schiedsrichter John Langenus darauf, dass keine Revolver mit ins Stadion gebracht werden durften, um Freudenschüsse abzufeuern. So etwas könne leicht eine ganz andere Wendung nehmen, befürchtete Langenus, erst recht, wenn zwei fußballerische Erzrivalen in einem Finale aufeinander treffen.  Tatsächlich beschlagnahmte die Polizei nach Einlasskontrollen 1600 Pistolen. Langenus   muss schon vor dem Spiel eine Entscheidung treffen: Argentinier und Uruguayer beharren darauf, jeweils mit einem von ihnen gestellten Ball zu spielen. Langenus verfügt: In der ersten Halbzeit wird mit der argentinischen Version gespielt, in der zweiten mit der aus Uruguay.

Das Spiel nahm zwar den für die Gastgeber erwünschten Verlauf – Carlos Doroda erzielte nach zwölf Minuten das 1:0 für Uruguay, doch Carlos Peucelle und Guillermo Stabile,  später mit acht Treffern der  Torschützenkönig des Turniers, besorgten Argentinien einen 2:1-Vorsprung zur Pause.  Uruguay    legte nach, traf dreimal in der zweiten Hälfte und hatte neben dem gefeierten Ballzauberer José Leandro Andrade noch einen Helden: Hector Castro, der in der 89. Minute zum 4:2-Endstand mit einem Kopfball traf. Castro hatte bei einem Arbeitsunfall mit einer elektrischen Säge seinen rechten Unterarm verloren.    Castros Tor euphorisierte das ganze Land. 

In der deutschen Fachzeitschrift „Kicker“ erfährt  man von all dem erst etwas in der Ausgabe vom 26. August, also vier Wochen nach dem Finale. Verfasst und per Flugpost abgeschickt hatte diesen   Bericht wie auch andere „Kicker“-Artikel John Langenus, der Schiedsrichter des Finales, der auch noch drei andere Spiele bei der ersten WM pfiff. Viel näher dran sein als er konnte man  nun wirklich nicht.

KStA abonnieren