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Im Oktober 1920 geborenFritz Walter – Leitfigur einer Generation

Lesezeit 6 Minuten
Firtz Walter 1 dpa

Fritz Walter (M., oben) und sein Lauterer Teamgefährte Horst Eckel (r.) werden nach dem Triumph im Fußball-WM-Finale im Berner Wankdorfstadion von begeisterten Anhängern vom Spielfeld getragen.

  • Vor 100 Jahren wurde Fritz Walter geboren, ein überragender Fußballer, ein Weltmeister der Bescheidenheit und ein Symbol der Nachkriegsepoche.
  • Der Historiker Joachim Fest nannte den Kapitän der Weltmeisterelf von 1954 einen der drei Gründerväter der Bundesrepublik.
  • Möglicherweise rettete sein Talent den jungen Soldaten 1945 sogar vor dem Tod.

Es ist schon eine erstaunliche Menge, die das Schicksal in die Gestalt von Fritz Walter aus Kaiserslautern hineingesteckt hat. Fußballstar vor dem Zweiten Weltkrieg, Nationalspieler, später Infanterist an der Front, dort an Malaria erkrankt, am Kriegsende festgesetzt in sowjetischer Gefangenschaft, fast verschleppt nach Sibirien, unter wundersamen Umständen nach Hause in die Pfalz geschickt, dort wieder Fußballer, deutscher Meister mit dem 1. FC Kaiserslautern, Held von Bern und damit Weltmeister von 1954, dadurch sogar verklärt zu einem der Gründungsväter der Republik, erster Ehrenspielführer der Nationalelf, ausgezeichnet mit wichtigen Orden und Ehrungen.

Obendrein sind ein ganzes Wetterphänomen und ein Stadion in Kaiserslautern nach ihm benannt. Das alles passte in das fast 82 Jahre lange Leben, das am 31. Oktober vor 100 Jahren als Sohn eines Gastwirts aus Kaiserslautern begann – unvorstellbar heute und vielleicht für alle Zeiten.

Fritz Walter wird vor Abtransport nach Sibirien bewahrt

Der Sieg von Bern mag den herausragendsten Erfolg in der Karriere des Fritz Walter – und seines Bruders Ottmar – darstellen, sein wichtigstes Spiel war jenes Finale in der Schweiz jedoch nicht. Die Partie seines Lebens ereignete sich vielmehr abseits von Stadien. Sommer 1945, Fritz Walter, 24 Jahre jung, war sowjetischer Kriegsgefangener in einem rumänischen Lager bei Sighetu Marmatiei, aufgegriffen wurde er am 8. Mai 1945 in Böhmen. Ein Malaria-Anfall bewahrte ihn vor dem sofortigen Abtransport nach Sibirien. Doch der drohte erneut.

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In seinem Buch „Spiele, die ich nie vergesse“ schreibt Walter, übrigens erfolgreicher Autor von insgesamt neun Werken: „Ich traute meinen Augen nicht, als fünf Mann der Lagerpolizei mit einem Fußball in unmittelbarer Nähe von uns auftauchten. (...) Ich fühlte mich magisch angezogen.“ Walter geht zu den Spielern, der Ball kommt zu ihm, er lässt ihn über seine Stiefel tanzen, zeigt Kunststücke, darf bei dem vorgesehenen Match mitmachen und spielt – nun in Turnschuhen – seine Gegner schwindelig. „Wer bist du?“, wird er natürlich gefragt, und Fritz Walter sagt: „Ich bin aus Kaiserslautern. Und habe schon für die deutsche Nationalmannschaft gespielt.“ Hat er, 24 Mal schon bis zu diesem Zeitpunkt. Bei seinem Debüt gegen Rumänien, Deutschland gewann am 14. Juli 1940 gegen Rumänien mit 9:3, traf der 19-jährige Walter gleich drei Mal.

Der Kommandant befiehlt spontan, dass Fritz Walter nicht nach Sibirien abtransportiert wird. Er soll die Lagerauswahl verstärken – ehe er tatsächlich zurück in das von den Franzosen besetzte Kaiserslautern geschickt wird.

Fritz Walter steht für Bescheidenheit, Anstand und Treue

1951, die Kunst des Lauterer Spielgestalters hatte sich längst in Europa verbreitet, erhielt Fritz Walter ein Traumangebot von Atletico Madrid: Zwei-Jahres-Vertrag, hoch dotiert, Handgeld: 250 000 Mark, damals ein riesiges Vermögen, zudem weitere großzügige Vergünstigungen. Er lehnte ab, blieb in seiner Heimat, spielte bis 1959 für den 1. FC Kaiserslautern, dem er Ostern 1928 beitrat. Begründung in seinem pfälzischen Idiom: „Dehäm is dehäm.“ So viel Identifikation ist selten, weshalb Fritz Walter in seiner Heimatstadt den Status einer Legende besitzt, sichtbar auch als gemeinsam mit den vier anderen Lauterer Helden von Bern in Stein gemeißeltes Denkmal vor dem Stadion auf dem Betzenberg, das bereits seit 1985 Fritz Walters Namen trägt.

Fritz Walter – Zur Person

Geburt Fritz Walter wird am 31. Oktober 1920 als ältestes von fünf Kindern eines Gastwirts aus Kaiserslautern geboren.

Auszeichnungen Fritz Walter erhielt das Große Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland, drei Mal das Silberne Lorbeerblatt, er ist Ehrenbürger des Landes Rheinland-Pfalz und der Stadt Kaiserslautern, wo unter anderem das Stadion, eine Straße und eine Schule nach ihm benannt sind.

Karriere 384 Spiele und 327 Tore für den 1. FC Kaiserslautern. Zweimal Deutscher Meister (1951, 1953). 61 Länderspiele (33 Tore), Kapitän der Weltmeisterelf von 1954.

Nach der Karriere Walter besaß eine Wäscherei und ein Kino und war Repräsentant von „adidas“. Außerdem versuchte er durch Besuche in Gefängnissen die Resozialisierung der Inhaftierten zu fördern. Am 17. Juni 2002 starb Fritz Walter in seinem Bungalow in Enkenbach-Alsenborn in der Nähe von Kaiserslautern. (skl)

Ein Held des Fußballs ist dieser Fritz Walter also, aber auch einer der Tugend, der aus Heimatliebe und Verantwortungsgefühl den Mitspielern gegenüber den Sprung in die große Fußballwelt und sehr viel Geld ablehnt. So steht Fritz Walter bis heute für Bescheidenheit, Anstand und Treue. Alles zusammen gab ihm eine Bedeutung, die der Publizist und Historiker Joachim Fest einmal, einen Freund zitierend, so wiedergab: „Es gibt drei Gründungsväter der Bundesrepublik. Politisch ist es Adenauer, wirtschaftlich ist es Erhard und mental ist es Fritz Walter.“

Dieser Spieler und Mensch sei ein Spiegelbild der damaligen Zeit gewesen, erklärt Manuel Neukirchner, Direktor des Deutschen Fußball-Museums in Dortmund und zudem ein großer Kenner der Fritz-Walter-Zeit: „Er war ein Spieler, der in den Krieg musste, der in Gefangenschaft war, der nach Hause gekommen ist, der hingefallen und wieder aufgestanden ist – deshalb war ein Vorbild für seine Generation.“

Sogar die Hauptrolle in einem Film war für Fritz Walter vorgesehen, klassisch und naheliegend als Wahrer von Tugend und Moral, was er übrigens auch in seiner Ehe vorlebte, denn er war 53 Jahre mit der italienischen Dolmetscherin Italia verheiratet. Laut Plot also lehnt Walter alle Angebote ausländischer Fußballmanager ab, übersteht sogar einen Verführungsversuch durch ein Mädchen namens Madeleine, wird aber doch von einem Menschen überlistet, gibt nicht, wie beabsichtigt, ein Autogramm, sondern eine Vertragsunterschrift. Dadurch wird Walter nach Uruguay verkauft, doch im D-Zug nach Paris entreißt er dem Manager Z. den Vertrag, zerlegt ihn, eilt ins Trainingslager der Nationalelf, weckt Sepp Herberger, den Bundestrainer und Walter-Förderer Nummer eins und meldet: „1:0 für Deutschland.“ Auch wenn der Film nie gedreht wird, erklärt er im Schnelldurchlauf, wer und was Fritz Walter war.

Fritz Walter litt vor Spielen unter Magenschmerzen

Vor allem aber war er ein faszinierender Fußballer, das dürfe angesichts der Erhöhung der Fritz-Walter-Figur nicht zu kurz kommen, betont Neukirchner: „Er war auf dem Rasen seiner Zeit voraus. Er machte das statische Spiel seiner Zeit dynamisch, beherrschte schnelles Kombinationsspiel und besaß eine einmalige Spielintelligenz. Das erhob ihn zumindest in Europa über alle anderen Spieler seiner Epoche, auch wenn Fritz Walter in den Zweikämpfen nicht der Robusteste war.“ Deutschland brachte diese Kunst den WM-Titel 1954, Kaiserslautern die Meistertitel der Jahre 1951 und 1953. Besonders geschätzt hat Walter während seiner Karriere Spieltage mit Regen – das so genannte Fritz-Walter-Wetter. Dieses Phänomen hing mit mehreren Malaria-Erkrankungen des Spielers während seiner Soldatenzeit zusammen. Auf Hitze reagierte er fortan empfindlich.

Zu denken mag auch der Fakt geben, dass Walter wegen des Krieges und seiner Folgen um die Teilnahme an den ausgefallenen Weltmeisterschaften 1942 und 1946 gebracht wurde, während Deutschland 1950 noch nicht mitmachen durfte. So blieben ihm die Titelkämpfe 1954 und schließlich 1958, als er, zurückgeholt von Herberger, seine Elf noch einmal ins (verlorene) Halbfinale gegen Schweden führte, was er verletzt zu Ende spielte. Dieses 61. Länderspiel war sein letztes.

Fritz Walter wird als empfindsam beschrieben, als schüchtern, zu Weltschmerz und Zweifeln neigend. Vor den Spielen hat er unter Magenschmerzen gelitten, wegen der Aufregung. Beides hat er bisweilen mit einem Schlückchen Sekt bekämpft. Hartes Einsteigen und Kritik jedoch setzte Fritz Walter zu, er nahm sie sich besonders zu Herzen. Doch verzagt oder schlechter gemacht hat ihn das nicht. Ganz im Gegenteil.

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