Interview mit Toni Kroos„Köln ist meine auserwählte Heimat in Deutschland“

Lesezeit 12 Minuten
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Toni Kroos im Gespräch mit Chefredakteur Carsten Fiedler

  • Toni Kroos ist der erfolgreichste aktive Fußballer Deutschlands. Doch über den Menschen Kroos ist nur wenig bekannt.
  • Anlässlich der Free-TV-Premiere des Kroos-Dokumentarfilms am 31. August, 20.15 Uhr, auf ARTE, haben wir das vor einem Jahr mit ihm exklusiv geführte Interview aus dem Archiv geholt.
  • In dem Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ zum Filmstart hat sich Kroos nämlich so offen wie selten zuvor gezeigt.
  • Lesen Sie hier das ganze Gespräch über Ängste eines Star-Fußballers, die Liebe zu seiner Familie und seine Wahlheimat Köln.

Köln – Herr Kroos, der Film startet mit einer Szene, in der Sie Ihre Fußballschuhe mit einer Bürste schrubben und ins Regal stellen. Gibt es dafür bei Real Madrid keinen Zeugwart? Toni Kroos (lacht): Doch, den gibt es schon. Aber meine Fußballschuhe sind das Wichtigste, wenn ich auf den Platz gehe. Ich muss in weißen Schuhen spielen, das ist so ein kleiner Tick von mir. Da stört mich selbst das kleinste bisschen Dreck. Deshalb putze und pflege ich meine Schuhe selber.

Der Film „Kroos“ zeichnet Ihren Weg vom Geburtsort Greifswald bis zum spanischen Rekordmeister in Madrid nach. Warum gibt es das Projekt überhaupt?

Ich fand die Anfrage spannend! Ein Kinofilm, das hat schon Qualität. Die Klitschko-Brüder und Dirk Nowitzki sind ja meine Vorgänger in diesem Projekt. Mit ihnen in einer Reihe zu stehen, ist großartig.

Bei Real werden Sie manchmal „Ice Man“ genannt, weil Ihr Spiel so kaltblütig und rational wirkt. Ist das wirklich so?

Das war unser Physiotherapeut, der das gesagt hat. Aufs Spiel bezogen stimmt das. Ich finde, dass man ohne Emotionen auf dem Platz oft bessere Entscheidungen trifft. Richtig ist auch, dass ich so gut wie nie nervös bin. Ich weiß nicht, wer mir das gegeben hat, in meiner Familie ist das eigentlich nicht verbreitet.

Haben Sie nicht dennoch auf der großen Weltbühne, bei Real oder in der Nationalmannschaft, Angst vor dem Scheitern?

Scheitern? Nein. Natürlich kann es auch schnell gehen und man ist außen vor. Die Qualität ist hoch, die Konkurrenz ist größer als woanders. Auch ich weiß, dass irgendwann der Punkt kommt, an dem es nicht mehr reichen wird. Aber ich weiß auch heute schon, dass ich auf eine Megazeit zurückblicken kann. Von daher habe ich diese Angst nicht.

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Einer von vielen großen Siegen: Toni Kroos gewinnt im Mai 2016 die Champions League mit Real Madrid gegen den Stadtrivalen Atletico. 

Jetzt, mit genügend Abstand: Was waren die Gründe für das enttäuschende Ausscheiden in der WM-Vorrunde 2018?

Wir hatten einfach deutlich zu viele Spieler, die bei der WM nicht in der Lage waren, ihr Topniveau zu spielen. Die sportliche Qualität und Form haben gefehlt. In Deutschland wird dann immer gleich nach vielen anderen Gründen gesucht: Haben die zu etwa viel Playstation gespielt? Daran hat es sicherlich nicht gelegen. 2014 wurde auch viel Playstation gespielt (lacht).

Und wie steht die deutsche Fußballnationalmannschaft heute da?

Ich habe ein sehr gutes Gefühl für die EM 2020. Wir sind auf einem guten Weg. Jogi Löw hat einiges verändert. Er hat nicht nur wild Namen getauscht, sondern setzt auf andere Spielertypen auf einzelnen Positionen. Unser Ziel ist nach wie vor, die Spiele zu dominieren, aber wir suchen wieder zielstrebiger den Weg nach vorne. Gerade im Sturm haben wir andere Typen die das Eins-gegen-Eins wieder stärker forcieren, wie Sané, Brandt, Gnabry. Das macht uns unberechenbarer und besser als bei der WM.

Sind andere Mannschaften wie etwa die Niederlande oder England derzeit deutlich stärker einzuschätzen?

Gegen die Niederlande haben wir zweimal in der Nations-League und einmal in der EM-Qualifikation gespielt, im September sehen wir uns schon wieder. Die Spiele waren eng, auf hohem Niveau. Holland hat den Weg mit jüngeren Spielern schon vor ein paar Jahren eingeschlagen. Wir haben uns gerade erst auf den Weg gemacht, sind aber schon gut unterwegs. Das haben wir zuletzt bewiesen.

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Die Krönung: Toni Kroos brilliert beim Halbfinalsieg gegen Brasilien. Später wird er zum Spieler des Turniers gewählt.

Sie sind eher selten in der Öffentlichkeit zu sehen, gelten als sehr zurückhaltend. Stimmt der Eindruck?

Teils, teils. Es ist schon so, dass es uns als Familie so selten wie möglich in die Öffentlichkeit zieht. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass ich sehr oft erkannt werde und wir nicht ungestört bleiben können. Als Familie ist unser favorisierter Platz immer zu Hause. Auf dem Fußballplatz bin ich sicherlich sehr rational, auch wenn es hier und da schon etwas anders im Inneren aussieht, als es nach außen wirkt. Privat kann ich aber sehr emotional sein – wenn es um die wirklich wichtigen Dinge wie Familie, Hochzeit, die Geburten der Kinder geht. Das sind Tage in meinem Leben, die ich nie vergessen werde.

Im Film kommen viele Ihrer Wegbegleiter zu Wort. Er „sieht das Spiel“, sagt Casemiro. Er „spielt wie ein Landvermesser“, sagt Marcel Reif. Er ist ein „Dirigent“, sagt Matthias Sammer. Wie sehen Sie sich?

Schwer zu sagen. Deshalb reden in dem Film ja zum Glück andere Leute über mich. Es geht nicht ums Abfeiern, sondern um ehrliche, auch kritische Einschätzungen.

Wie viel Talent und wie viel Training stecken in Toni Kroos?

Ich würde sagen: Fifty-fifty. Ich hatte das Glück, deutlich mehr Talent mitbekommen zu haben als andere. Mir sind Übungen immer einen Tick einfacher gefallen als anderen. Das ist ein Vorteil, klar! Aber man darf sich nicht alleine auf Talent verlassen. Talent stellt einen in die Tür, hindurch gehen muss man dann aber selbst. Deshalb habe ich, um dorthin zu kommen, wo ich heute bin, trotzdem verdammt hart arbeiten müssen. Ich habe in der Jugend auch schon deutlich mehr trainiert als viele andere. Ich bin sehr oft nach dem Training noch 30 Minuten auf dem Platz geblieben und habe Torschüsse und Technik geübt.

Gab es Vorbilder? Zinedine Zidane etwa? Ihr alter und neuer Trainer bei Real Madrid sagt im Film: „Uns verbindet die Liebe zum Spiel“.

Natürlich war Zidane damals für jeden jungen Fußballer ein Vorbild. Mein hauptsächliches Vorbild war zunächst aber Johan Micoud, der bei Werder Bremen gespielt hat. Ich war damals Werder-Fan, und er hat als 10er auf der Position gespielt, die ich mochte. Die Art, wie er gekickt hat, immer elegant, Chef auf dem Platz, das hat mir extrem gefallen.

Stationen von Tonis Kroos' Karriere

4. Januar 1990 - der Anfang von allem

Toni Kroos wird in Greifswald geboren. Mutter Birgit Kämmer war zehnfache DDR-Meisterin im Badminton. Vater Roland Kroos war Tonis erster Trainer im Jugendverein Greifswalder SC, wo er gemeinsam mit dem jüngeren Bruder Felix Kroos spielte. 

2002 – Jugend in Rostock

Als Vater Roland einen Job als Jugendtrainer bei Hansa Rostock bekommt, zieht die Familie an die Ostsee. Toni und Felix starten in der Hansa-Jugend durch

26. September 2007 – Profidebüt

Nach seinem Wechsel in die Jugend des FC Bayern München feiert Toni Kroos sein Profidebüt unter Bayern-Trainer Ottmar Hitzfeld. Der Durchbruch in der Bundesliga gelingt Kroos dann während einer Leihe zu Bayer 04 Leverkusen ab 2009. Nach eineinhalb Jahren kehrt Kroos zurück nach München und gewinnt 2013 erstmals die Champions League.

13. Juli 2014 – Die Krönung

Bei der WM 2014 zeigt Kroos sein Können auf der ganz großen Bühne, brilliert beim 7:1 Halbfinal-Sieg über Brasilien und wird zum Spieler des Spiels gewählt. Im Finale leitet Kroos beinahe die argentinische Führung ein, spielt in der Verlängerung dann aber den vorletzten Pass vor dem erlösenden Treffer durch Mario Götze und dem vierten Stern. 

2014 – Königlich

Für eine vergleichsweise geringe Ablösesumme von rund 30 Millionen Euro wechselt Toni Kroos im WM-Sommer zu Real Madrid. In der spanischen Hauptstadt zieht er mit dem Kroaten Luka Modric die Fäden im Mittelfeld der Königlichen und dirigiert das Team im Schatten der Superstars Ronaldo, Bale und Benzema. Zwischen 2016 und 2018 gewinnt das Team die Champions League dreimal in Folge. (da)

Spontan: Ihr erster Gedanke zu Greifswald?

Bolzplatz. Volksstadion. Lustigerweise ist mein Vater da ja heute wieder Trainer. Es war schön für mich, im Film ein paar Bilder von dort zu sehen. Ich war seit zehn, zwölf Jahren nicht mehr da. Wir waren dort, bis ich zwölf Jahre alt war und wir nach Rostock gegangen sind. Und ja, meine Großeltern wohnen noch dort. Der Garten, das ist der zweite Gedanke, der mir einfällt. Da wurden viele Familienpartys gefeiert.

Wie prägend war Ihr Vater Roland Kroos für Sie? Er hat Sie ja von klein auf als Trainer begleitet.

Sehr prägend. Er hat mich auf den Weg gebracht. Er war auch oft Trainer meiner Mannschaft – und wenn er es nicht war, haben wir individuell sehr viel geübt. Er war da sehr hinterher, weil er gemerkt hat, das könnte etwas Großes werden. Ich bin ihm extrem dankbar, weil er für meine fußballerischen Voraussetzungen gesorgt hat.

Im Film deuten Sie an, dass über das Thema Fußball andere Dinge zu kurz kamen…

Mein Vater sagt das ja sogar selbst im Film. Das Thema Fußball war in der Familie oft zu groß. Es wurde jedes Training ausgewertet, jedes Spiel, andere Themen blieben etwas auf der Strecke. Im Nachgang ist das zwar schade, aber ich habe zu meinem Papa ein gutes Verhältnis.

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Toni Kroos und KStA-Chefredakteur Carsten Fiedler

Im Alter von 16 Jahren sind Sie damals aus Greifswald zu den Bayern gegangen. So früh raus aus dem Elternhaus – was hat das mit Ihnen gemacht?

Für mich war es anfangs auch sehr schwer. Die Familie, meinen Bruder Felix, mit dem ich mir ein Zimmer geteilt hatte, zu verlassen, das war schon traurig. Aber ich habe damals gesagt: Wenn ich es angehe mit dem Fußball, dann richtig. Und darum war es für mich die beste Entscheidung, nach München zu gehen. Es hat mir geholfen, dass ich mich schon sehr früh durchbeißen musste. Sportlich, aber auch privat.

Sie sind, das wir im Film klar, ein Familienmensch. Wenn andere nach einem Sieg feiern gehen, fahren oder fliegen Sie nach Hause...

Man geht immer dorthin, wo man sich am wohlsten fühlt. Und das so schnell wie möglich. Vor kurzem ist unser drittes Kind gekommen, Fin. Jeder, der Kinder hat, weiß, dass das eine Zeit ist, in der nicht wenig zu tun ist. Dass es aber auch eine sehr schöne Zeit ist, in der man alles mitnehmen will. Allerdings nicht nur – ich bin auch sehr gerne wegen meiner Frau zu Hause.

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Was bedeutet Ihnen Ihre Familie?

Alles. Ich hoffe doch, dass so jeder Familienvater antworten würde. Als ich meine Frau kennenlernte und dann die Kinder kamen, hat das den Fußball relativiert, ohne dass ich ihn vernachlässigt habe. Heute ist es ein schönes Gefühl, dass mein Gemütszustand nicht von Sieg oder Niederlage abhängt, sondern davon, wie es meinen Kindern und meiner Frau geht.

Vor Weihnachten 2014 haben Sie mit Ihrem Verein Real Madrid in einem Krankenhaus schwerkranke Kinder besucht. Daraus entstand die Idee Ihrer Toni-Kroos-Stiftung, mit der Sie sich um kranke und schwerkranke Kinder kümmern…

Die Idee für die Stiftung bestand zwar schon länger, aber nach dem Besuch in der Klinik war auch das Ziel klar. Da stand ein Kind vor mir, das war zu der Zeit genauso alt wie mein Sohn, und hatte Krebs. Das hat mich mitgenommen und beschäftigt. Da kann man nicht einfach die Tür zu machen und gehen, da möchte man helfen. Es gibt dazu in der Zusammenarbeit mit Krankenhäusern und Hospizen ganz viele Möglichkeiten. Sei es ein Wunsch, den die Kinder haben, den die Eltern aber nicht erfüllen können. Sei es Hilfe für die Familien, um ihnen den Alltag zu erleichtern. Egal ob das der Umbau eines Badezimmers oder ein Treppenlift ist – das hilft den Leuten megamäßig. Da sind wir jetzt knapp vier Jahre dabei und ich bin sehr stolz darauf.

Gehört das Thema noch stärker in die Öffentlichkeit?

Ganz allgemein gesehen: Ja. Um auf Schicksale aufmerksam zu machen und um weitere Unterstützer zu gewinnen. Es kommt aber immer darauf an, was die betroffenen Familien wollen. Viele möchten eben nicht, dass ihre Geschichte in der Öffentlichkeit breitgetreten wird. Und das ist absolut zu respektieren.

Zurück zum Fußball. 2014 haben Sie im WM-Halbfinale mit den Brasilianern Jo-Jo gespielt. Wie oft denken Sie daran zurück?

Nicht so oft, obwohl es ein besonderes Spektakel war, klar. Das, was gerade aktuell im Fußball passiert, ist aber wichtiger. Vielleicht denke ich nach meinem Karriereende öfter daran zurück.

Und der WM-Titel? Träumen Sie heute noch vom Endspiel?

Natürlich denke ich hier und da mal daran. Der Titel gibt mir das gute Gefühl, dass ich in meiner Karriere schon viel erreicht habe. Das kann mir keiner mehr nehmen, ist aber dennoch im Alltag nicht so präsent.

Interessant ist die Episode, dass es kein Bild von Ihnen mit dem WM-Pokal gibt, weder auf dem Platz noch in der Kabine. Auf dem berühmten Kabinen-Foto mit Angela Merkel und Poldi fehlen Sie…

Das gehört zu meiner Persönlichkeit. Auf dem Weg zum Erfolg spiele ich gerne eine Hauptrolle. Wenn es dann geschafft ist, trete ich gerne in den Hintergrund…

Anders als Poldi…

Vielleicht (lacht). Es ist nicht so, dass ich bewusst sage, ich will den Pokal nicht haben. Dennoch gibt es tatsächlich kein einziges Foto von dem WM-Pokal und mir.

Nach der WM wechselten Sie zu Real Madrid und holten unter anderem dreimal die Champions-League. Was kann da noch kommen?

Mein Ziel muss sein, mein Niveau noch einige Jahre zu halten oder sogar noch anzuheben. Das wird schwer genug, je älter man wird und je mehr man erreicht hat. Junge Spieler kommen nach. Ich will aber weiterhin eine große Rolle spielen und nochmal Champions-League-Sieger werden.

Sie haben einen langfristigen Vertrag bei Real bis 2023. Was kommt danach?

Ich tippe, aktiv nicht mehr viel. Dann bin ich 33, das ist ein Alter, in dem ein Vertrag nicht mehr solange läuft, sondern ausläuft.

Vielleicht noch eine Saison mit dem FC?

Ja, genau (lacht). Das lasse ich jetzt mal offen.

Sie haben schon ein Haus im Hahnwald gekauft. Werden Sie nach Ihrer Zeit in Madrid in Köln wohnen?

Köln ist meine auserwählte Heimat in Deutschland. Stand heute ist der Plan, dass wir nach meinem Karriereende hier leben werden. Aber ich würde es auch nicht komplett ausschließen, in Madrid zu bleiben.

Warum Köln?

Während meiner Zeit in Leverkusen haben wir in Köln gewohnt und uns hier sehr schnell wohlgefühlt. Die Stadt, die Leute - wir haben hier viel mehr Kontakte geknüpft als in sieben Jahren München. Und meine Berater Volker Struth, Sascha Breese und Dirk Hebel, die zu Freunden geworden sind, wohnen ja auch hier.

Das Gespräch ist am 30. Juni 2019 im Kölner Stadt-Anzeiger erschienen.

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