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Markus GicklerDer Herr der Fluten

Lesezeit 7 Minuten
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Das Geheimnis des Erfolgs von Markus Gickler: Diszipliniertes Training, Tüfteln am Material und akribisches Einstudieren der Strecken.

  • Mit fünf WM-Titeln ist der Kölner Markus Gickler bis heute der erfolgreichste deutsche Wildwasserrennsport-Kanute.
  • Die Liebe zu seinem Sport und die Freude an Bewegung in freier Natur treiben den 54-Jährigen noch immer fast täglich aufs Wasser.
  • In unserer Serie „Legenden des Lokalsports“ stellen wir Sportler vor, die in den vergangenen Jahren durch besondere Leistungen weit über die Region hinaus Berühmtheit erlangten.

Köln – Markus Gickler hat eine Ära begründet, aber keiner nach ihm war so erfolgreich wie er. Vier WM-Siege im Einzel und einen im Team hat der Wildwasserrennsport-Kanute vom KSK-Team Köln zwischen 1991 und 1996 errungen. Mit ihm wurde Nordrhein-Westfalen zur Hochburg der nicht-olympischen Kanu-Disziplin, Thomas Koelmann aus Düsseldorf und die beiden Kölner Max Hoff und Tobias Bong folgten Gickler auf den WM-Thron. Diszipliniertes Training, akribisches Tüfteln am Material, unermüdliches Einstudieren der Wildwasserstrecken und ein streitbarer Geist waren immer das Markenzeichen des 2,03 Meter langen Schlacks. Die Liebe zu seinem Sport und die Freude an Bewegung in freier Natur treiben den 54-Jährigen noch immer fast täglich aufs Wasser.  

Herr Gickler, Sie haben 1989, mit 23 Jahren, zum ersten Mal an einer WM teilgenommen. Das war auf dem Savage River in Maryland in den USA. Es war kein heroischer Beginn Ihrer dann so großen Karriere, Sie landeten auf Platz 22. Woran erinnern Sie sich?

Markus Gickler: Das war eine sehr untypische WM für die deutsche Mannschaft. Wir hatten unglaublich viel Geld und konnten uns in ein Resort einmieten, während alle anderen Teams auf einem Uni-Campus untergebracht waren. Ich habe während der ganzen WM keine Paddler aus anderen Nationen zu Gesicht bekommen.

Woher kam der Geldsegen?

Damals gab es ja noch keine Wiedervereinigung und die deutschen Wildwasserrennsportler waren bei den Weltmeisterschaften 1985 und 1987 recht erfolgreich, deshalb gab es hohe Zuschüsse. Karin Wahl wurde damals als Weltmeisterin ins Aktuelle Sportstudio eingeladen, obwohl der Wildwasserrennsport keine olympische Disziplin ist. Heute passiert das den Kollegen aus dem Kanurennsport oder Kanuslalom maximal nach einem Olympiasieg. Das waren ganz andere Zeiten damals. Ich bin von der WM mit mehr Geld nach Hause gekommen als ich vorher hatte, weil der Resortleiter jeden Tag rum ging und jedem Taschengeld in die Hand drückte.  Aber besonders erfolgreich war die deutsche Mannschaft damals nicht.  Nein. Die Isolation war maximal und die deutsche Mannschaft war schlechter als in den Jahren davor und viel schlechter als in den Jahren, die danach kamen. Im Fußball sagt man ja: Geld schießt Tore. Aber das ist nicht auf das Paddeln übertragbar. 

Zur Person

Markus Gickler, geboren am 5. Juni 1966 in Köln, ehemaliger Wildwasserrennsport-Kanute, zwischen 1991 und 1996 vier Mal Einzel- und ein Mal Team-Weltmeister. Gickler kam in der Schule in Kontakt mit dem Kanusport, lernte die Kombination aus Reisen, Tüfteln am Material und Wettkampf schätzen, war in jungen Jahren aber nur mäßig erfolgreich. Nach einem Beinbruch mit 18 Jahren wurde er bei der Bundeswehr ausgemustert und hatte viel Zeit: Er investierte sie in Training – und wurde zu einer Legende des Kanu- und Kölner Sports. Gickler hat Sport und Geografie studiert und arbeitet heute als Lehrer. Er ist mit der ehemaligen Kanutin Susanne Oertel verheiratet, das Paar hat zwei Söhne. Den roten Bus gibt es nicht mehr – dafür ein Wohnmobil mit roten Punkten.

Zur Serie: In „Legenden des Lokalsports“ stellen wir Sportler vor, die in den vergangenen Jahren durch besondere Leistungen weit über die Region hinaus Berühmtheit erlangten.

Galten Sie als große Hoffnung für die WM?

Gar nicht. Ich kam ja aus NRW. Damals war das Nationalteam noch eine ziemlich NRW-freie Zone. Ich musste mir immer anhören, ich könne kein Wildwasser fahren. Dieser Meinung waren fast alle Paddler aus Bayern, da es bei ihnen Wildwasserflüsse gibt und bei uns nicht. Meine erste richtige Wildwasser-Meisterschaft bin ich 1983 gefahren, da habe ich von morgens bis abends nur Boote repariert, um irgendwie schwimmend im Geschäft zu bleiben. Doch die Menschen sind mobiler geworden, die Bayern haben ihren Standortvorteil verloren, als wir begonnen haben, auch im Privat-PKW da runter zu fahren. Ich bin oft nach Süddeutschland, Österreich oder Slowenien gefahren, um dort im Wildwasser zu paddeln.

Warum waren Sie nach dem 22. Platz bei der ersten WM überzeugt davon, in Zukunft besser sein zu können?   

Niemand verliert gern. Ich habe diesen Rückschlag als Ansporn gesehen und versucht, aus den Fehlern zu lernen. Wenn ich 1989 auf dem Savage gut gefahren wäre, wäre ich in den Jahren danach vielleicht nicht so engagiert und so ehrgeizig an die Sache ran gegangen. Rückblickend betrachtet hat mir das glaube ich ganz gut getan. In den USA hatte ich Probleme mit der Strecke, die ich vorher nicht kannte. Bei der nächsten WM 1991 habe ich dafür gesorgt, dass ich die Strecke mit geschlossenen Augen fahren kann. Das war auf der Soca in Slowenien, damals noch Jugoslawien. Ich habe dort sehr, sehr viele Fahrten gemacht. Ich denke, ich könnte die WM-Strecke noch heute mit geschlossenen Augen runter paddeln.

Und zwei Jahre nach Ihrem WM-Debüt galten Sie dann doch als große Hoffnung. 

Ja, die Welt hatte sich schlagartig gedreht. Wegen meiner schlechten Platzierung 1989 war ich nicht in einen Nationalkader aufgenommen worden, aber der Rosenheimer Bootshersteller Toni Prijon hat mal in die Ergebnislisten geguckt. Ich wurde immer besser, und da hatte ich Prijon plötzlich an meiner Seite. 1991 konnte ich, plakativ gesprochen, so viele Boote kaputt fahren, wie ich wollte. Ich habe immer neues Material bekommen. Deshalb konnte ich es mir erlauben,  viel auszuprobieren und den Fluss bei jedem Wasserstand auswendig zu lernen. 

Und dann sind sie ganz locker zum ersten Mal Weltmeister geworden? 

Vorher und nachher hat niemand mit soviel Vorsprung bei einer WM gewonnen. Aber ich habe einen riesen Fehler gemacht: Um noch ein paar Gramm an Gewicht zu sparen, habe ich im Rennen keine Neoprenhose und keine Schuhe angezogen. Blöderweise hatte ich das vorher nicht geprobt. So saß sich viel zu locker im Boot und rutschte hin und her. Das war nicht clever, ich konnte es aber kompensieren.

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Sie haben immer auf dem Rhein trainiert, und sind dann im Wildwasser Weltmeister geworden. Wie passt das zusammen?

Der Rhein ist ein Spitzen-Trainingsfluss. Nach mir haben das ja weitere Fahrer aus Köln und Düsseldorf bewiesen. Ganzjährig paddeln zu können, das ist Luxus. Ein See kann zufrieren, von Schmelzwasser gespeiste Flüsse können versiegen. Auf dem  Rhein kann man immer paddeln.

Können Sie den Rhein heute noch sehen? Oder sind Sie schon so viele Kilometer auf ihm gepaddelt, dass das keinen Spaß mehr macht? 

Ich trainiere noch immer jeden Tag auf dem Rhein. Er hat einen Nachteil, er ist sehr windanfällig. Es gibt Tage, an denen es echt keinen Spaß macht, weil dir der Wind um die Ohren jagt. Da gibt es sicherlich nettere Trainingsreviere. Aber man sieht viel. Durch die Schifffahrt ist immer etwas los. Und die wechselnden Wasserstände machen es spannend. Wenn die Kribben überspült sind und du über die Poller Wiese paddelst, ist das ein ganz anderes Gefühl, als wenn du bei Niedrigwasser den Fluss hoch fährst. Das alles macht den Rhein auch zu einem recht anspruchsvollen Trainingsrevier. Du musst immer ein bisschen steuern. Das Boot fährt nie freiwillig da hin, wo es hin soll. 

Sie sitzen noch immer jeden Tag im Boot? Warum? 

Weil ich gesund sterben möchte. Weil ich es kann. Ich habe in den letzten Jahren immer Trainingsgruppen mit sehr guten Paddlern gehabt. Wenn ich zwei, drei Mal in der Woche mit jemanden paddele, der deutlich schneller ist als ich, dann fahre ich sehr anspruchsvolle Einheiten. Das macht mir einfach Spaß. Ich muss mir über nichts Gedanken machen, ich muss nur dran bleiben. Hinterher habe ich, wenn es ganz hart kommt, vier Kilo verloren. Und ums Einschlafen muss ich mir am Abend auch keine Gedanken mehr machen. 

Das hört sich nicht gesund an für einen Mann über 50. 

Mein Standardprogramm sind 16 Kilometer im Grundlagenausdauer-Tempo. Das ist gesund. Trainingsprogramme fahre ich nicht mehr, also keine Intervalle, Spurts oder Starts. Ich mache im Boot das, was andere Leute in meinem Alter machen, die Joggen oder Radfahren gehen. Wenn ich paddele, fühle ich mich einfach wohl. Ich brauche keinen Psychiater. Und mir zieht keiner die Beine weg, ich verletzte mich also nicht so schnell. Im Gegenteil: Wenn ich mal Rückenschmerzen habe, setze ich mich ins Boot und sie sind  weg. 

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