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Gummersbach-Trainer Greve im Interview„Jeder will uns ans Bein pinkeln“

Lesezeit 7 Minuten
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Torge Greve

  • Der VfL Gummersbach startet nach dem Bundesliga-Abstieg in seine erste Zweitliga-Saison.
  • Torge Greve, Trainer des oberbergischen Vereins, spricht im Interview über die Herausforderungen für den VfL.
  • Erster Gegner für Gummersbach ist am Samstagabend Essen.

Gummersbach – Herr Greve, was halten Sie von dieser These: Der VfL Gummersbach gehört einfach in die Handball-Bundesliga?

Dieser Satz spielt natürlich auf die Tradition dieses Vereins an, der als Gründungsmitglied der Bundesliga und der Vielzahl an Erfolgen über einen entsprechenden Namen verfügt. Und die Leute hier im Oberbergischen, die lieben und leben diesen Verein, das ist was ganz Besonderes. Deshalb hat dieser Klub aus meiner Sicht auch die Berechtigung, irgendwann wieder dazu zu gehören.

Dennoch: Für jemanden wie Sie, der Sport nicht nur liebt, sondern auch studiert hat, dürfte ein solcher Satz doch keiner akademischen Betrachtung standhalten, und als These ist er – mit Verlaub – sogar Unfug…

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Mag sein, aber bei den meisten Leuten, die sich eben dieser Formulierung bedienen, steckt auch viel Wunschdenken dahinter. Der Satz umschreibt gewissermaßen den Glauben daran oder die Hoffnung darauf, und das sind nun mal auch wichtige Dinge, die einen im Sport vorantreiben.

Warum aber sollten Sportvereine wie der VfL Gummersbach im Handball oder der Hamburger SV im Fußball in die jeweils Erste Liga gehören, obwohl sie doch über viele Jahre hinweg an ihrem Absturz in die Zweitklassigkeit gearbeitet haben?

Das stimmt schon, aber andererseits sind es eben diese Klubs wie der VfL Gummersbach, der Hamburger SV oder auch der 1. FC Köln, die über eine besondere Strahlkraft verfügen, die Stadien und Hallen füllen. Da freuen sich viele, wenn sie zur Ersten Liga gehören – mitunter profitieren ja auch die anderen Klubs davon.

Es gibt da noch einen anderen viel strapazierten Satz, er lautet: Tradition schießt keine Tore.

Das ist auch so. Die Vergangenheit einer Mannschaft oder eines Vereins ist wichtig – man muss sie respektieren und in seinem Alltag berücksichtigen, aber sie verliert in der Schnelllebigkeit des Sports auch rasch an Wert. Für mich gesprochen: Die Tradition des VfL ist gut und schön, aber für meine aktuelle Arbeit mit den Spielern hat sie keinerlei Bedeutung.

Emir Kurtagic, einer Ihrer Vorgänger in Gummersbach, hat mal erzählt, er habe in seiner Anfangszeit als Chefcoach des damals akut abstiegsgefährdeten Teams tagelang kein Auge zugemacht – in der Angst: Verdammt, ich könnte als erster Abstiegstrainer des VfL in die Handball-Historie eingehen! Jetzt  hat es Sie erwischt…

Das ist faktisch richtig, aber damit kann ich leben. Für mich gilt heute genau wie an meinem ersten Tag beim VfL: Diese Aufgabe birgt viel mehr Chancen als Risiken. Das stimmte damals, und es stimmt immer noch. Obwohl es mich natürlich ärgert, dass wir es am Ende nicht geschafft haben, den Abstieg zu verhindern.

Zur Person

Torge Greve, geboren am 5.Juni in Rendsburg, verheiratet, zwei Kinder; Realschullehrer für Mathematik und Sport; als Handballer u.a. beim Zweitligisten TSV Altenholz; Trainer beim TSV Altenholz (2009 - 2012), VfL Bad Schwartau (2012 - 2019), seit 11. März 2019 beim VfL Gummersbach.

Am Samstag (18.30 Uhr) startet der VfL mit einem Heimspiel gegen TuSEM Essen in seine erste Zweitliga-Saison. (ksta)

Es fehlte ein einziges Törchen…

Richtig – wenn man nur die Tabelle und die Statistik zum Maßstab nimmt. Aber ich habe schon Sekunden nach Ertönen der Schlusssirene im Interview bei Ihren Kollegen von Sky betont, dass man den Abstieg nicht daran festmachen kann und darf. Man sollte die gesamte Entwicklung zuvor betrachten. Was in den Jahren vor meiner Ankunft passiert ist, vermag ich dabei nicht zu bewerten. Ich kann nur das beurteilen, was ich im März hier vorgefunden habe und was danach passiert ist.  Es herrschte eine große Verunsicherung in der Mannschaft, es gab gewisse Probleme in der Team-Hierarchie, und am Ende – nach 34 Spieltagen ist eine Tabelle dann eben auch gnadenlos – fehlte es auch an der nötigen Qualität, wie man übrigens auch an dem weiten Abstand zu den Mannschaften oberhalb der letzten Drei sieht – es waren neun Punkte zum Viertletzten, das sind Welten.

Der Abstieg des VfL war aus Sicht vieler Beobachter überfällig – könnte er sich auch als heilsam erweisen?

Die Frage, wie’s denn weiter gegangen wäre, wenn sich der VfL mit Ach und Krach zum dritten Mal hintereinander im letzten Moment gerettet hätte, ist hypothetisch, also nicht seriös zu beantworten. Aber die Art und Weise, wie der gesamte Klub, das Management, das direkte Umfeld und auch die vielen Fans auf den schließlich besiegelten Abstieg reagiert haben, das wirkte auf mich ganz und gar nicht wie der viel zitierte Fall in ein tiefes Loch. Quasi mit Spielende in Bietigheim entstand schon eine Aufbruchsstimmung unter den Fans – das machte uns bei allem Frust sofort auch wieder Mut. Und dieser Zuspruch wurde in den vergangenen Wochen immer größer.

Beim Saison-Auftakttraining kamen 700 Zuschauer – das sind mehr als bei manchen Fußball-Bundesligisten. Zudem hat der VfL ausgerechnet vor seiner ersten Zeitliga-Saison einen Rekord beim Verkauf von Dauerkarten aufgestellt…

Weil vielleicht viele von diesen Fans die Situation genau wie ich sehen: Als Chance, endlich aus der Abwärtsspirale herauszukommen und etwas Neues entstehen zu lassen.

Was aber, wenn bei aller Aufbruchsstimmung und Lust an der Erneuerung der Wiederaufstieg in den nächsten ein, zwei Jahren nicht gelingt? Droht dann nicht dem VfL ein Abdriften in die Bedeutungslosigkeit, weil dann ja auch die Sponsoren nicht mehr bei der Stange zu halten wären?

Für die Frage nach möglichen finanziellen Folgen im Falle eines Falles bin ich nicht der richtige Ansprechpartner. Was ich aber sagen kann: Natürlich müssen und werden wir mit Nachdruck daran arbeiten, so schnell wie möglich wieder dahin zu kommen, wo wir hin wollen. Aber wir sollten gleichzeitig auch eine gewisse Demut walten lassen und die nötige Geduld aufzubringen. Denn die 2. Liga ist sehr stark, ihr gebührt erstmal Respekt. Da erledigt man nichts im Vorbeigehen. Man kann nicht davon ausgehen, dass wir die Liga dominieren werden. Und man muss unserer neuen Mannschaft – wir haben immerhin haben acht neue Spieler dazu bekommen – etwas Zeit gewähren. Da geht es nicht automatisch bergauf, es liegt ein holpriger, steiniger Weg vor uns, auf dem es auch Rückschläge geben wird, nach denen es die Ruhe zu bewahren gilt. Wir machen uns auf diesen Weg, aber wie schnell wir ihn werden beschreiten können, muss sich erst zeigen.

Muss der VfL umgehend aufsteigen?

Sicherlich in den nächsten Jahren, aber nicht zwangsläufig im ersten Jahr.

War die jüngste Niederlage in der ersten Pokalrunde bei ihrem Ex-Klub VfL Bad Schwartau noch einmal ein Warnschuss zur rechten Zeit oder muss sich der gemeine VfL-Fan Sorgen um die Qualität der aktuellen Mannschaft machen?

Ein Fingerzeig für die gesamte Saison war das aus meiner Sicht eher nicht, wohl aber ein Hinweis auf den aktuellen Leistungsstand. Schwartau war uns an diesem Tag tatsächlich überlegen, vor allem, weil dieses Team – im Gegensatz zu unserem – schon lange so zusammenspielt und extrem gut eingespielt ist. An unserer Homogenität müssen wir – wie gesagt – noch arbeiten. Obendrein war dieses Spiel in einer extrem hitzigen Atmosphäre aber auch eine wichtige Erfahrung für den einen oder anderen aus unserer Mannschaft. So wie dort wird es uns in vielen Hallen ergehen. Gegen den VfL Gummersbach werden die gegnerischen Spieler und ihre Fans besonders aus sich herausgehen, jeder will uns ans Bein pinkeln. Die Begegnung mit dem großen VfL Gummersbach ist für jeden dort das Spiel des Jahres, darauf werden wir uns einstellen müssen. Aber das empfinde ich persönlich sogar als positive Motivation, wenn alle gegen Dich sind. Eines steht allerdings für mich jetzt schon fest: Wir werden in jedem einzelnen Spiel ans Limit gehen müssen.

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