Sarah Voss im Heimtraining„Ich habe gar keine richtigen Turnerinnen-Hände mehr“

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s.voss

Sarah Voss hat jahrelang auf die Olympischen Spiele hintrainiert

Köln – Der Sport ruht. Und Athleten bangen wie viele andere Menschen im Land um ihre Existenz. Die Olympischen Spiele in diesem Sommer sind abgesagt, ihre Trainingsstätten geschlossen. Die Zukunft ist ungewiss. Drei Spitzensportler berichten uns aus ihrem veränderten Leben. Heute: Sarah Voss (20) vom Turnteam der Deutschen Sporthochschule Köln, deutsche Mehrkampf-Meisterin und WM-Siebte am Schwebebalken.

Wir wissen jetzt, dass wir bis einschließlich August keine Wettkämpfe haben werden und dass Olympia 2021 am 23. Juli startet. Alles andere ist noch ungewiss. Wann wir wieder in die Halle können, um zu trainieren. Ob wir im Sommer ein Trainingslager mit der Nationalmannschaft absolvieren. Ob wir im Herbst Wettkämpfe haben, ob es in diesem Jahr noch Deutsche Meisterschaften gibt und wie die Olympiaqualifikation aussieht. Aber ich habe meinen Trainingsplan, daran halte ich mich, so versuche ich, mir meine Fitness zu bewahren.

„Ich lasse nicht zu viel Vorfreude zu“

Ich hoffe natürlich, dass wir nach den Osterferien wieder in die Turnhalle können. Aber ich kann die Situation überhaupt nicht abschätzen. Ich freue mich schon sehr, endlich wieder an die Geräte zu können – aber ich lasse nicht zu viel Vorfreude zu. Turnen ist zur Zeit mein Lebensmittelpunkt, natürlich vermisse ich das Training, meine Kolleginnen und Trainer, das Gefühl, über meine Grenzen zu gehen, den geregelten Alltag.

Neue Belastung für die Füße

Jetzt machen wir nur eine Art Erhaltungstraining. Die Kraftprogramme ähneln dem, was ich sonst auch in der Halle mache, obwohl natürlich nicht alle Übungen zu Hause möglich sind. Laufen oder Radfahren gehen wir Turner normalerweise nicht so viel, das unterscheidet sich gerade sehr von unserem üblichen Alltag. Beim Laufen muss ich ein bisschen aufpassen, wir sind ja daran gewöhnt, barfuß auf einem Springfederboden unterwegs zu sein. Mehrere Kilometer auf Asphalt zu laufen, ist etwas ganz anderes für meine Füße.

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Eine Quälerei ist das Ersatztraining aber auf keinen Fall. Sport ist für mich ein Ausgleich. Im Moment habe ich einiges für mein Fernstudium zu tun, da finde ich es super angenehm, dass ich den Sport nutzen kann, um zwischendurch mal raus zu kommen, Laufen zu gehen, frische Luft zu schnappen, meinen Körper zu bewegen. Ich fühle mich danach einfach wohler. Gestärkt, ausgepowert, glücklich. Das ist nicht mit dem Turnen zu vergleichen, aber es ist gut.

Ungewohnt weiche Hände

Meine Hände verändern sich gerade. Sie werden weicher, die Hornhaut geht zurück. Durch die fehlende Belastung. Aber auch durch das viele Händewaschen. Das macht die Haut so trocken, dass ich sie jetzt regelmäßig eincreme. Das mache ich sonst nicht, höchstens mal die Rückseite der Hände. Sonst würde ich den Griff und meine Hornhaut gefährden, dann würde ich am Stufenbarren eher Probleme mit Blasen und Hautfetzen bekommen. Raue, schwielige Hände sind für meinen Sport gut. Wenn ich mir meine jetzt ansehe – es sind noch keine normalen Hände, aber ich habe auch keine richtigen Turnerinnen-Hände mehr.

Training im Kopf

Für mich ist im Moment mein Mentaltraining auch sehr wichtig. Für etwa 15 Minuten am Tag setze ich mich hin und gehe im Kopf meine Übungen an den Geräten durch. Sachen, die ich mir über viele Jahre antrainiert habe, kann ich jetzt schon seit drei Wochen nicht ausführen. Da ist es wichtig, dass sich der Geist an die Bewegungsmuster erinnert. Dadurch kann ich mir eine gewisse Sicherheit im Kopf erhalten für die Zeit, wenn es dann endlich wieder an den Geräten los geht.

Die Zeit mit meiner Familie genieße ich nach wie vor sehr. Ich habe meine Eltern, meine Schwester und meinen Freund um mich. Natürlich ist es blöd, keine Freunde treffen zu können, aber über Facetime halten wir ganz gut Kontakt. Normalerweise bin ich so viel unterwegs und habe kaum Zeit, wirklich zu Hause anzukommen, zu Hause zu sein. Es ist sehr schön, dass das jetzt anders ist und wir füreinander da sind.

Unruhe und Ungewissheit

An manchen Tagen werde ich unruhig und frage mich: Was machen wir jetzt? Wie geht es weiter? Aber meistens versuche ich, einfach jeden Tag zu nehmen, wie er kommt. Wir können es sowieso nicht ändern. Wenn wir zu Hause bleiben sollen, sollten wir uns daran halten und uns nicht groß darüber aufregen. Ruhe bewahren, abwarten und die Zeit nutzen, das ist das Beste, was wir zur Zeit machen können.

Aufgezeichnet von Susanne Rohlfing

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