Training unter Corona-BedingungenKölner Ringerin hat Sehnsucht nach Olympia

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Nina Hemmer (vorne) im Kampf mit der Russin Anzhelika Vetoshkina beim World Cup 2020. 

Dormagen/Köln – Es hat eine gewisse Ironie, dass Nina Hemmer an ihrem Küchentisch von ihrer Karriere als Kampfsportlerin unter Corona-Bedingungen erzählt – und nicht, wie eigentlich geplant, auf der Ringermatte steht. Dort, am Bundesstützpunkt Dormagen, wollte sie ein letztes Mal die Griffe üben, bevor sie mit der Ringerinnen-Nationalmannschaft zum Grand Prix of France nach Nizza flog. Doch zwei Tage vor dem geplanten Training rief ihr Trainer an: Er wurde positiv auf das Coronavirus getestet. Hemmers Test fiel negativ aus, doch vorsichtshalber betrat sie die Halle vor dem Wettkampf nicht mehr.

Schon seit ihrer Kindheit liebt die gebürtige Kölnerin den Sport. Als sie zehn Jahre alt war, musste ihr Turnverein in Dormagen schließen. Wenige Monate später meldete ihr Onkel, bei dem sie aufwuchs, sie beim Ringen an. „Das Kind ist so hyperaktiv, das muss wieder Sport machen“, beschwerte er sich. Der eher raue Sport gefiel Hemmer sofort: Es war ein „Raufen, wie man es auch mit dem Bruder kennt“, erinnert sie sich. Zuhause zog ihr zwei Jahre älterer Bruder schon bald den Kürzeren. 

„Es war damals nicht meine Intention, Leistungssportlerin zu werden“, sagt Hemmer. „Aber wenn man merkt, dass man etwas gut kann, bleibt man dabei.“ Mit 14 Jahren gewann sie in ihrer Alters- und Gewichtsklasse die deutsche Meisterschaft, ein Jahr später kämpfte sie bereits als Kadettin der Nationalmannschaft.

Der Traum von Olympia

Von da an ging es stetig bergauf: Fünf Mal wurde sie deutsche Meisterin, auch im internationalen Bereich gewann sie Medaillen – sei es bei Europameisterschaften oder Weltmeisterschaften. Deutschlandweit ist sie in der Gewichtsklasse bis 53 Kilogramm die Nummer eins. Damit sich Sportkarriere und Beruf nicht im Weg stehen, arbeitet sie als Sportsoldatin bei der Bundeswehr.

2016 ging dann ein Traum in Erfüllung: Bei den Olympia-Qualifikationen errang sie sich das Ticket nach Rio de Janeiro. Als erste Gegnerin zog sie dort Zhong Xuechon aus China, eine der stärksten Nationen im Ringen der Frauen. Sechs Minuten dauerte der Kampf, dann war der Traum von einer Olympia-Medaille geplatzt. „Frustrierend“, sagt Hemmer. „Ich dachte, du wärst gut“, sagten Bekannte, die den Fernseher angeschaltet und zum ersten Mal einen Ringkampf gesehen hatten. Kaum zurück in Deutschland begann Nina Hemmer mit den Vorbereitungen auf die Olympischen Spiele in Tokio.

Den letzten Wettbewerb vor Ausbruch der Pandemie bestritt die 27-Jährige Mitte Januar 2020 in Rom. Danach ging es weiter in mehrere Trainingslager: Nach Russland, in die Ukraine, nach Freiburg. Schließlich sollte Hemmer am 18. März mit anderen Kader-Ringern nach Budapest reisen – für die Olympia-Qualifikation. 

Doch fünf Tage vorher erreichte sie die Nachricht: Die Qualifikation wurde abgesagt. „Es war, als hätte man einen Stecker gezogen“, sagt Hemmer. „Wir saßen auf dem trockenen“. Keiner habe gewusst, wie es weiter geht. „Haltet euch fit, haltet euch bereit“, sagten ihre Trainer. Das tat Hemmer: Sie holte sich Hanteln, Pezzibälle, Zugseile und Slam Balls aus der Halle. Aus ihrem Arbeitszimmer machte sie einen Fitnessraum.

Training unter Corona-Bedingungen

Nach ein paar Tagen habe sie gemerkt, wie die Anspannung abfiel. Sie genoss es, mit ihrem Hund spazieren, laufen und Fahrrad fahren zu gehen. Doch die Motivation zum Training sei ihr schwergefallen. „Wofür trainiere ich hier eigentlich?“, fragte sie sich. Schließlich herrschte Gewissheit: Tokio verschiebt die Sommerspiele auf 2021. Das halbe Jahr zuhause zu sein, tat ihr im Nachhinein gut.

Obwohl die Fußball-Bundesliga ihre Saison beenden durfte, blieb ihre Trainingshalle monatelang geschlossen. Hemmer findet das unfair: Entweder sollten alle Leistungssportler wieder trainieren dürfen oder gar keiner. „Sonst fühlen sich alle anderen verarscht.“ Im Juli stellten Nina Hemmer und ihre Trainingspartnerin bei der Stadtverwaltung einen Antrag auf eine Sondergenehmigung, damit sie wieder in die Halle dürfen. „Es ist schließlich auch mein Job als Sportsoldatin“, sagt sie. Weil sie auf Olympia trainierten, durften sie wieder auf die Matte.

In der Halle stehen Schnelltests für die Athleten bereit – wenn Nina Hemmer beispielsweise auf einem Bundeswehrlehrgang war, sichert sie sich vor dem ersten Training ab, dass sie sich nicht angesteckt hat. Wie in den meisten Gebäuden stehen auch hier am Eingang Desinfektionsspender. Wenn Hemmer während des Trainings die Matte verlässt, zieht sie sich eine Art Tüte über die Ringerschuhe, mit denen sie in die Umkleide läuft. Aber Abstand halten? Das ist im Ringen unmöglich. Deshalb kämpft Hemmer immer mit derselben Trainingspartnerin.

Strikte Turnierregeln

Im Dezember, elf Monate nach dem letzten Wettkampf, kämpfte Nina Hemmer zum ersten Mal wieder auf einem internationalen Turnier: Dem World Cup in Belgrad. Im Hotel waren nur Sportler untergebracht und die Organisatoren hatten eine akribische Quarantäne verhängt: Hatten die Athleten keinen Wettkampf, mussten sie im Hotel bleiben. Selbst ein Spaziergang war tabu. Wer gegen die Regeln verstieß, wurde vom Wettkampf ausgeschlossen. Transportbusse holten morgens die Athleten aus dem Hotel ab und brachten sie abends wieder zurück.

Außerhalb der Matte galt die Maskenpflicht, alle Athleten wurden mehrmals auf das Coronavirus getestet. „Es war schon sehr bedrückend“, sagt Hemmer. Trotzdem sei es schön gewesen, endlich wieder auf einem Turnier zu kämpfen. Die zwei Wochen vor der Olympia-Qualifikation im März will sie sich sicherheitshalber in ihrer Wohnung „verbarrikadieren“. „Nicht, dass ich während der Quali in Quarantäne sitze.“

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Wenn Hemmer von dem olympischen Dorf in Brasilien erzählt, gerät sie ins Schwärmen. An den Bushaltestellen begegnete sie Usain Bolt, von dem die Ringerin ein riesiger Fan ist. Im Hochhaus des „Team Germany“ plauderte sie beim Bäcker mit Turner Fabian Hambüchen und feierte mit der Fußball-Nationalmannschaft der Frauen eine Party. Die besten Athleten der ganzen Welt versammelten sich in einem olympischen Dorf und Nina Hemmer war eine davon.

Doch sollte sie sich auch für die Olympischen Spiele in Tokio qualifizieren, wird es eine deutlich andere olympische Erfahrung sein als in Rio. Partys wird es vermutlich keine geben. Auch an vollen Zuschauerrängen zweifelt Hemmer. Dann hätten die Spiele zwar den Namen Olympia, „aber es ist etwas ganz anderes.“  

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