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Sommermärchen-ProzessSchweizer Richterin teilt gegen Funktionäre aus

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(Symbolbild)

Bellinzona  – Diese Schlappe zum Start im Sommermärchen-Prozess wollte Theo Zwanziger nicht einfach so hinnehmen. „Unentschuldigt nicht erschienen!“ Diese kompromisslose Ansage von Richterin Sylvia Frei veranlasste den früheren Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes am Montag zur nächsten Breitseite gegen die aus seiner Sicht im Verfahren um die dubiosen WM-Millionenzahlungen schlampige Schweizer Justiz.

Die Entscheidung von Frei, sein Fehlen im Stile einer strengen Oberlehrerin am ersten Verhandlungstag als unbegründet zu bewerten, habe ihn „nicht überrascht“, sagte der 74-Jährige der Deutschen Presse-Agentur. Die „jahrelange Fehlbeurteilung wichtiger Sachverhalte“ in dem Verfahren habe sich nun fortgesetzt.

Er werde in Kürze seine Sichtweise detailliert darstellen, kündigte er fast wie eine Drohung an. Zwanziger war der Verhandlung vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona aus gesundheitlichen Gründen ferngeblieben, wie die ebenfalls angeklagten früheren DFB-Funktionäre Wolfgang Niersbach (69) und Horst R. Schmidt (78).

Anwalt greift Gericht an

Als Angeklagter war nur der frühere Generalsekretär des Fußball-Weltverbandes FIFA, Urs Linsi (70), anwesend. Nach ein paar Minuten schloss die vorsitzende Richterin die Verhandlung und lud das Trio für Mittwoch erneut vor. Notfalls werde die Verhandlungsfähigkeit etwa von Schmidt in einem Krankenhaus in Zürich überprüft, drohte sie.

„Ich bin nicht zufrieden, sondern im Gegenteil konsterniert, weil das Gericht zum Beispiel über diverse ärztliche Zeugnisse einfach hinweg gegangen ist“ sagte Schmidts Anwalt Nathan Landshut. „Es macht den Eindruck, dass das Gericht rechtsstaatliche Prinzipien über Bord wirft für ein Schnellverfahren.“

Er könne seinem herzkranken Mandanten jedenfalls nicht raten, angesichts der Coronavirusgefahr am Mittwoch zu kommen. Niersbach wollte sich auf Anfrage zum Ablauf des ersten Prozesstages zunächst nicht äußern.

Zahlung von 6,7 Millionen Euro an FIFA möglicherweise verschleiert

Die Funktionäre sollen laut Anklage ein Jahr vor der WM in Deutschland, im Jahr 2005, eine Zahlung von 6,7 Millionen Euro an den Fußball-Weltverband FIFA als Beitrag für eine Gala verschleiert haben. In Wirklichkeit seien damit persönliche Schulden beglichen worden.

Hier kommt Franz Beckenbauer ins Spiel: Als WM-Organisationschef hatte er dieselbe Summe 2002 von dem Unternehmer Robert Louis-Dreyfus geliehen. Es landete auf dem Konto einer Firma des mittlerweile lebenslang gesperrten ehemaligen FIFA-Vizepräsidenten Mohamed bin Hammam in Katar.

Wofür das Geld bestimmt war, ist eine Kernfrage des Skandals, aber gar nicht Gegenstand dieses Prozesses. Bestechung bei der WM-Vergabe 2000? Nachzahlung für Provisionsausfälle geplatzter TV-Deals? Die offizielle Version mit der Gala oder dass es eine Abschlagszahlung für eine spätere Millionenzuwendung war, überzeugt wenige.

Franz Beckenbauer ebenfalls angeklagt

Beckenbauer könnte die Hintergründe kennen, schweigt aber wie bin Hammam und auch Joseph Blatter, als damaliger FIFA-Chef, der als Zeuge geladen ist. Beckenbauer ist auch angeklagt, doch wurde das Verfahren gegen ihn abgetrennt, weil er gesundheitlich angeschlagen ist. Er soll aber auch als Zeuge aussagen.

Alle Angeklagten sagen, dass sie sich nichts haben zu Schulden kommen lassen. Richterin Frei war am Montag kompromisslos: Anträge auf Befangenheit der Staatsanwaltschaft? Abgelehnt. Anträge auf Aussetzung des Verfahrens? Abgelehnt. Auch bei den ärztlichen Attesten ließ sie nichts gelten.

Auch herzkrank könne man an einem Verfahren teilnehmen, beschied sie. Eine Augenoperation wie bei Zwanziger? Wer nicht gut sehen könnte, könne sich ja herfahren lassen. Ein Risiko wegen des im nahen Italien grassierenden Coronavirus? Das Gericht habe alle Vorkehrungen getroffen, um Ansteckungen zu vermeiden.

Bis zum 27. April muss ein Urteil gefällt werden

Das Verfahren begann am Morgen vor dem Gebände mit Fiebermessen: jedem Eintretenden hielt ein Mitarbeiter ein Infrarot-Fiebermessgerät auf die Stirn. Die Öffentlichkeit ist wegen der Ausbreitung des Coronavirus Sars-CoV-2 ausgeschlossen.

Staatsanwälte und Verteidiger saßen mit gehörigem Abstand voneinander auf den Stühlen, auch Richterin Frei hielt zu Richterin Miriam Forni und Richter Adrian Urwyler zwei Meter Abstand. Dass bei der Taschenkontrolle am Eingang dann ein dichtes Gedränge herrschte, brachte Linsi auf die Palme: „Wie soll ich da zwei Meter Abstand halten?“ fragte er genervt.

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Das Gericht hat es eilig. Das vermeintliche Delikt - die Überweisung - verjährt am 27. April 2020. Wenn es bis dahin kein Urteil gibt, wird das Verfahren eingestellt. Die Anwälte weisen es zurück, dass sie auf Verzögerung setzen. Die Angeklagten hätten die schleppenden Ermittlungen nicht zu verantworten, sagt Anwalt Landshut.

Beckenbauer, Louis-Dreyfus und Netzer sollen am Donnerstag aussagen

Auch Zwanzigers Anwalt Beat Luginbühl weist das von sich. Es gebe aber genügend Gründe für ein abruptes Ende. „Ein korrektes Verfahren kann bedeuten, dass der Prozess abgebrochen wird“, sagt er.

Für Donnerstag und Freitag sind Zeugen geladen: Beckenbauer und der mit dem damaligen Darlehensgeber Louis-Dreyfus eng vernetzte Ex-Profi Günter Netzer sowie der frühere FIFA-Präsident Blatter. Dessen Sprecher sagte der dpa, Blatter werde per Videolink aussagen.

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