Tennis-Aufsteiger Oscar Otte„Ich bin immer noch der gleiche Junge aus Köln”

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Oscar Otte Halle neu

Oscar Otte beim Turnier in Halle.

Köln – Tennis-Profi Oscar Otte hat einen steilen Aufstieg in der Tennis-Weltrangliste innerhalb weniger Monate hinter sich. Als Nummer 37 der Weltrangliste tritt er mit hohen Zielen beim legendären Wimbledon-Turnier an. Wir sprachen mit Otte über seine Karriere, die Rolle als Publikumsliebling und die Liebe zur Heimatstadt Köln.

Herr Otte, als wir vor einem halben Jahr mir Ihnen gesprochen haben, sagten Sie als Nummer 101 der Weltrangliste, das große Ziel für 2022 sei, sich auf der ATP-Tour festzuspielen. Inzwischen sind Sie Nummer 37, reisen als bester deutscher Profi nach Wimbledon. Das Festspielen hat zügig geklappt.

Oscar Otte: Also wenn mir zu dem Zeitpunkt einer gesagt hätte, dass ich im Juni nach Wimbledon fahre und jetzt vielleicht sogar gesetzt bin, dann wäre das für mich unglaublich gewesen. Aber meine Ziele waren schon ehrgeizig. Du musst immer mit dem Glauben, den nächsten Schritt zu tun, an die Sache herangehen. Anders funktioniert es nicht. Aber damit, dass es so schnell geht, hätte ich doch nicht gerechnet.

Was genau hat Sie so schnell auf diese nächste Stufe gebracht? Gab es ein besonderes Ereignis, war vielleicht auch ein wenig Glück dabei?

Also Glück hat mit Sicherheit keine Rolle gespielt. Diese Leistungen kommen nicht aus dem Nichts. Ich habe die letzten Jahre immer gutes Tennis gespielt. Es hat nur ein wenig Kontinuität gefehlt. Die habe ich jetzt durch viele gute Spiele auf hohem Niveau, auch wenn ich einige davon verloren habe. Das hat mir sehr weitergeholfen. Basis dafür waren meine Verbesserungen im athletischen Bereich. Dadurch konnte ich kontinuierlich spielen, ohne von Verletzungen zurückgeworfen zu werden. Und ich habe, vor allem bei den deutschen Turnieren, hoch positionierte Spieler geschlagen. Das hat mir natürlich noch mehr Selbstvertrauen gegeben.

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Und das hat Sie in der Weltrangliste nach oben katapultiert.

So vermessen sich das vielleicht anhört: Wenn du öfter gegen gute Spieler gewinnst, wie ich zuletzt, dann wird das irgendwann normal. Dann macht es Klick, und du weißt: Du gehörst da oben dazu. Das hat dann nichts mehr damit zu tun, dass der andere vielleicht einen Scheiß-Tag hatte, sondern damit, dass ich sehr gut gespielt habe. Ich habe eben ein hohes Leistungsniveau und spiele mein unangenehmes Tennis, das vielen Gegnern echt wehtut.

Sie haben bei den Turnieren in München, Stuttgart und Halle jeweils das Halbfinale erreicht. Offenbar mögen Sie Deutschland und die Rolle des deutschen Hoffnungsträgers, die Sie in allen drei Turnieren ausgefüllt haben.

Es ist natürlich eine andere Situation, es kommt auch medial viel mehr Druck auf einen zu. Aber mir hat das gut gefallen. Ich habe das gut angenommen. Ich fühle mich sehr wohl in Deutschland, eigentlich macht es mir am meisten Spaß, hier zu spielen. Das soll nicht heißen, dass ich ein reiner Heimspieler bin, ich habe auch anderswo schon gut gespielt. Aber die Situation hier vor Leuten zu spielen, die einen kennen und die man kennt, die beflügelt mich einfach.

Nach der Verletzung von Alexander Zverev im Halbfinale der French Open sind Sie momentan der höchstplatzierte aktive deutsche Tennisspieler. Welche Bedeutung hat das für Sie?

Sascha ist leider im Moment verletzt, das ist sehr schade für ihn. Deshalb kann man es nicht wirklich so zählen. Für mich sind das alles Zwischenschritte. Zu wissen, einer der besten deutschen Spieler zu sein, ist eine schöne Sache. Aber man will irgendwann mehr. Irgendwann willst du einer der besten Spieler der Welt sein. Das ist für mich eine Riesenmotivation. Aber dahinter steckt viel harte Arbeit. Das ist nicht einfach ein bisschen gut spielen und Interviews geben und Tralala. Hinter den Vorhängen wird schon hart geschuftet.

Sie trainieren in einem sehr familiären Umfeld. Peter Moraing ist nicht nur ihr Trainer, sondern auch Vater Ihrer Freundin Emma Pia und Onkel ihres Trainingspartners und Freundes Mats Moraing. Ihm gehört auch der Trainingskomplex in Mülheim/Ruhr, in dem Sie arbeiten. Brauchen Sie diese private Umgebung?

Jeder Spieler ist da anders, aber mir tut dieses Familiäre, dieses Vertraute gut. Ich halte den Kreis um mich herum bewusst klein. Ich verstehe mich mit allen auf der Trainingsanlage gut, mir wird auch Vieles so weit wie möglich abgenommen. Es wird alles für mich getan von den Moraings, da kann ich mich echt nicht beschweren. Da fühle ich mich mega wohl. Es ist genau das, was ich brauche.

Durch den Erfolg fließt mehr Geld, Sie werden interessanter für Sponsoren. Wird der Betrieb Oscar Otte nicht größer werden müssen?

Grundsätzlich nicht, ich werde versuchen, den Kreis so klein wie möglich zu halten mit Tennis-Trainer, Physio und jetzt vielleicht noch einem separaten Athletiktrainer für die kommenden Wochen. Wenn es noch besser laufen würde, müsste man schon noch mal darüber nachdenken, wie es mit dem Management ausschaut. Es wird jetzt schon sehr viel. Es ist auch alles Neuland für uns, da muss man aufpassen. Im Endeffekt will ich mich nur aufs Tennisspielen konzentrieren. Ich will ein guter Tennisspieler sein. Und Drumherum brauche ich eben Leute, die mir den Rücken frei halten.

Die Rolle des Zuschauerlieblings fliegt Ihnen überall zu. Jeder scheint Ihnen den Erfolg zu gönnen.

Das empfinde ich als sehr schön. Ich verstelle mich nicht. Es ist auch nicht der Wunsch, überall gut anzukommen. Ich bin kein Show-Typ, ich raste auf dem Platz nicht aus, ich zeige nur meine Emotionen in beide Richtungen. Ich bin einfach, wie ich bin, locker und ehrlich. Ich bin immer noch der gleiche Junge aus Köln, der ich immer war. Und es ist schon cool, wenn die Art so gut rüberkommt.

Vor einem Jahr noch waren Sie ein eher seltener Gast in den Hauptfeldern der großen Turniere. Das hat sich grundlegend geändert. Gehen die Gegner jetzt anders mit Ihnen um?

Ich denke mal, die Gegner wissen jetzt schon besser, was auf sie zukommt. Dennoch ist mein Spiel immer noch sehr unangenehm und unberechenbar. Ich habe vor meinem Match gegen Daniil Medwedew gelesen, dass er mich als sehr gefährlich bezeichnet hat. Es ist natürlich schön, von der Nummer eins der Welt zu hören, dass ich ein guter Spieler bin. Die Vielseitigkeit in meinem Tennis-Repertoire war schon immer vorhanden. Grundsätzlich bin ich aggressiv ausgerichtet, aber ich kann auch gut variieren mit Slice, Stopps und Lobs. Der Gegner weiß oft nicht, was kommt. Das macht mein Gesamtpaket so unangenehm.

Dieses Jahr werden in Wimbledon wegen des politisch gewollten Ausschlusses der russischen und belorussischen Tennis-Profis keine Weltranglistenpunkte geben. Das haben die Verbände als Reaktion auf das britische Spielverbot so entschieden. Wie ist Ihre Haltung dazu?

Es ist natürlich blöd, wie alles gelaufen ist, auch mit den Weltranglistenpunkten. Aber das sind Dinge, auf die man als Spieler keinen Zugriff hat. Außerdem sind es Dinge, die über dem Tennis stehen, auch wenn es sich um das prestigereichste Turnier handelt. Ich werde ganz normal da reingehen. Es ist natürlich schade, dass es keine Punkte gibt. Dafür gibt es ein bisschen mehr Geld, das ist ein netter Bonus. Und es werden alle Spieler Punkte verlieren, nicht nur einer. Am Ende des Tages ist es dann doch auch nur ein Tennis-Turnier. Auch wenn es mein Leben ist und sich alles darum dreht, aber es gibt wichtigere Dinge im Leben.

Sie haben nach fast zehn Jahren als Profi auf den Nebenschauplätzen des Tennis’ im Alter von 28 Jahre den Durchbruch geschafft und sich auf der ATP-Tour fest etabliert. Kommt Ihnen nicht der Gedanke, viel Zeit verloren zu haben, die Ihnen später fehlen wird?

Nein, es hat bei mir einfach so lange gedauert. Es kann nicht jeder so eine Blitz-Karriere hinlegen und als Teenager in den Top 10 stehen wie aktuell ein Carlos Alcaraz. Das ist das Nonplusultra. Klar, im Nachhinein bereut man immer gewisse Dinge. Ich hatte immer viele Rückschläge wegen Verletzungen. Vielleicht hätte man da schon früher umdenken können oder müssen. Keine Ahnung. Aber wir sind im Hier und Jetzt. Und ich genieße jeden Moment und freue mich, wie das letzte Jahr gelaufen ist. Ich arbeite hart daran, dass es so bleibt oder noch besser wird. Deshalb will ich mich nicht zu sehr mit der Vergangenheit befassen. Ich werde alles dafür tun, dass die nächsten Jahre genauso gut laufen oder besser. Und dann kann man irgendwann vielleicht einen guten Haken dahinter setzen.

Sie werden im Juli 29. Wie viele Jahre Spitzentennis trauen Sie sich noch zu?

Ich würde gerne bis Mitte, vielleicht sogar Ende 30 auf einem guten Level spielen. Das ist mein Ziel bis zum Ende der Karriere. Aber das kommt nicht von Nichts. Das ist harte Arbeit. Und wenn ich weiter so dranbleibe, sehe ich keinen Grund, dass sich so schnell etwas an meinen Leistungen ändert.

Ihre Heimatstadt Köln sehen Sie durch den aktuellen Erfolg und ihre Fokussierung auf das Trainingscamp von Peter Moraing weniger als früher. Leidet da die Beziehung Köln/Oscar Otte?

Nee, an dieser Beziehung wird sich nichts ändern. Klar, ich wohne mittlerweile seit zwei Jahren in Essen, aber selbst wenn ich auf dem Mond wohnen würde, würde ich mich immer selbst als Kölner bezeichnen. Das wird sich auch niemals ändern. Es ist natürlich schwierig, den Kontakt zu Freunden nach Köln zu halten. Mama und Papa wohnen auch da, das steht auch ganz weit oben. Aber es ist, wie es ist. Vielleicht hat mir der Umzug nach Essen auch dabei geholfen, dass ich mich noch mehr auf mein Training fokussieren und alles dem Tennis unterordnen kann. Aber es wird auch ein Leben nach dem Tennis geben, das ist dann ja hoffentlich länger als das mit Tennis. Und dann komme ich wieder zurück in meine geliebte Stadt.

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