Zum Tod von Niki LaudaWie eine rote Kappe meine Kindheit beeinflusst hat

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Lauda Schumacher

Niki Lauda mit Michael Schumacher zu Beginn von dessen Karriere.

Köln/Wien – Es kommt selten vor, dass sich mein Vater mit der Formel 1 beschäftigt. Im Grunde mag er sie sogar überhaupt nicht. Weil er – im Gegensatz zu mir – Michael Schumacher nicht mochte. Seine Motorsportheld hieß eher Walter Röhrl. Aber vor einem Mann, der fast zeitgleich zu Röhrl zu den Stars der Motorsport-Szene gehörte, hat er in der Formel 1 dann doch Respekt.

„Und dann hat Niki Lauda sogar seine Kappe abgesetzt“ ist in meiner Kindheit ein Satz, der etwas Besonderes ausdrücken soll. Wenn Niki Lauda seine Kappe absetzt, dann ist das etwa so, als würde die Queen jemandem zum Ritter schlagen oder der Bundespräsident jemandem das Bundesverdienstkreuz verleihen. Eine große Geste – von einem großen Sportler.

Als Sechsjähriger habe ich mich natürlich gewundert, warum Lauda so komisch aussieht. So alt, irgendwie gruselig und knurrig. „Der hatte früher mal einen Unfall“, lautet die notdürftige Erklärung meines Vaters. Mit sechs Jahren reicht mir das natürlich, dennoch habe ich sofort Respekt vor Lauda, der mit zunehmendem Alter meinerseits immer weiter wächst. Respekt vor dem Mann, der als Mensch so anders war als viele seiner Zeitgenossen.

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Kein Rennfahrer, sondern ein Ehrgeizling

Lauda war kein leidenschaftlicher Rennfahrer, er war vor allem ein vom Erfolg getriebener Ehrgeizling. Aufgewachsen in einer wohlhabenden Wiener Industriellenfamilie kaufte er sich mit 15 Jahren sein erstes Auto, arbeitete in den Ferien als Lkw-Beifahrer und wollte so gar nicht in die von seinen Eltern vorgesehene Rolle passen. Motorsport- statt Wirtschaftskarriere stand auf dem Zettel des jungen Österreichers. Als es um Sponsorengelder ging, verweigerte eine Bank ihm die Finanzierung – Laudas Großvater saß dort im Aufsichtsrat und sorgte höchstpersönlich dafür.

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Doch der junge Niki war zwar ein Rebell, aber kein Idiot. Er nutzte sein Verhandlungsgeschick und besorgte sich einen Bankkredit, um seinen Traum vom Motorsport doch noch zu leben. Und Lauda träumte nicht nur, er war auch verdammt schnell. Mit 19 holte er bei seinem ersten Rennen überhaupt den zweiten Platz, zwei Jahre danach saß er 1971 zum ersten Mal in einem Formel-1-Auto. Kein Jahr nachdem Österreichs große Motorsporthoffnung Jochen Rindt in Monza tödlich verunglückte und posthum der erste Formel-1-Weltmeister aus Österreich wurde. Lauda hatte nicht die Aura seines Landsmanns, der mit seiner Frau Nina stets ein wenig Glamour an die Rennstrecken brachte. Dafür einte beide eine viel wichtigere Eigenschaft: Sie waren schnell, fokussiert und erfolgreich.

Mit einem weiteren Kredit kaufte sich Lauda 1972 bei March ein, ein Jahr später hielt er in einem BRM den deutlich schnelleren Belgier Jacky Ickx im Ferrari auf den Straßen von Monte Carlo hinter sich. Ein Getriebeschaden beendete das Rennen des jungen Österreichers zwar vorzeitig, den Respekt der Motorsport-Welt hatte er sicher. Vor allem von Enzo Ferrari.

Die Formel-1-Lovestory der 70er

Der berühmte Italiener suchte nach einem erfolgreichen Rennfahrer, der der prestigeträchtigen Marke nach zehn Jahren erstmals wieder einen Weltmeister-Titel sichern sollte. Doch Lauda war nach den ersten Testfahrten in Fiorano alles andere als begeistert. Im Film „Rush“ wird er zitiert: „Das ist eine Scheißkiste. Ihr habt’s alle Möglichkeiten und dann baut ihr so eine Schrottkarre.“ Doch aus der anfänglichen Abneigung wurde eine der erfolgreichsten Formel-1-Storys der 70er. Lauda wurde in vier Jahren bei der Scuderia zweimal Weltmeister, nach zwei Jahren beim Brabham-Team machte er 1979 dann aber plötzlich Schluss mit der Formel 1.

Denn Laudas Weltanschauungen und Visionen ließen sich, wie schon in seiner Jugend, nicht in ein Cockpit zwängen. Der Österreicher war ein Stratege, sagte kurz vor seinem ersten Rücktritt zum späteren Formel-1-Chef und damaligen Brabham-Besitzer Bernie Ecclestone: „Ich habe genug davon, im Kreis zu fahren.“ Stattdessen ging Lauda zurück nach Österreich, gründete seine eigene Fluglinie Lauda Air, deren Mehrheitsanteile er 1999 an die nationale Fluggesellschaft Austrian Airlines verkaufte. Der elterliche Wunsch nach der Wirtschaftskarriere ging also doch noch in Erfüllung, auch wenn es Lauda nur drei Jahre ohne die Formel 1 aushielt.

Ein letztes Meisterstück in Zandvoort

Mit einem kolportierten Jahresgehalt von drei Millionen US-Dollar lockte ihn McLaren 1982 zurück in die Formel 1, gegen den aufstrebenden Alain Prost lieferte er sich 1984 den knappsten WM-Kampf der Geschichte. Lauda landete nur einen halben Punkt vor Prost und wurde ein drittes Mal Weltmeister - obwohl ihm niemand nach seinem Comeback sportlich etwas zugetraut hatte. Sein letztes Meisterstück feierte er 1985 im niederländischen Zandvoort.

Von seinem Team nach eigener Aussage in der Saison benachteiligt, kämpfte sich Lauda nach einem zehnten Platz im Qualifying nach vorne und verteidigte auf den schlechteren Reifen seine Führung in den zwölf Schlussrunden gegen den wild attackierenden Prost. Es war Laudas 25. und letzter Sieg in der Formel 1. Zur Nationalhymne nahm er auf dem Podium die Kappe ab. In einer Wiederholung des Rennens sehe ich Lauda zum ersten Mal ohne sie. Und werde an den Unfall erinnert, von dem mir mein Vater erzählt hat.

Lauda war im Gegensatz zu vielen seiner Rennfahrerkollegen auch eines: ein Überlebender. Der Österreicher fuhr 1973 am Wrack des verunglückten Roger Williamson vorbei und wurde dafür kritisiert. Ebenso wie für seine Aussage, der wenige Monate später im amerikanischen Watkins Glen verstorbene Francois Cevert hätte bei seinem Unfall einen Fahrfehler begangen. Lauda analysierte die Dinge nüchtern, egal wie schrecklich sie auch waren – und setzte sich im Laufe seiner Karriere immer mehr für Sicherheit ein.

Vor allem, nachdem sein Ferrari auf der unbefahrbaren Nordschleife des Nürburgrings 1976 in Flammen aufging. Lauda hatte vor dem Rennen noch auf eine Absage gedrängt, sein Rivale James Hunt, bekannt für seinen Party-Lifestyle und furchtlosen Fahrstil, setzte sich für einen Start ein. Als Lauda in der zweiten Runde verunfallte, wurde er in dem Wrack seines Ferraris eingeklemmt, atmete giftige Gase ein und erlitt starke Verbrennungen im Gesicht, weil ihm sein Helm vom Kopf gerutscht war. Dieser war leicht modifiziert worden, nachdem Lauda beim Original über Schmerzen geklagt hatte.

Arturo Merzario konnte Lauda schließlich gemeinsam mit den Fahrerkollegen Harald Ertl, Brett Lunger und Guy Edwards aus dem Wrack ziehen. Lauda vermutet in seiner Autobiographie, dass ein gebrochener Längslenker für den Unfall verantwortlich war. Der Österreicher, zu diesem Zeitpunkt klar Führender in der Weltmeisterschaft, kehrte nach nur 42 Tagen getrieben vom Ehrgeiz ins Cockpit zurück, die Tifosi bejubelten seinen Rennstart beim Ferrari-Heimspiel in Monza. Dort traf Lauda auch erstmal auf seinen Retter Merzario - und verpasste es, sich bei ihm zu bedanken. Einer der wenigen Fehler, die sich Lauda später eingestand. Im Rennen wurde Lauda mit blutenden Kopfverletzungen Vierter, die Weltmeisterschaft war  bis zum letzten Rennen im japanischen Fuji völlig offen. Lauda hatte immer noch drei Punkte Vorsprung vor seinem Erzrivalen Hunt.

Sicherheit statt Weltmeisterschaft

In Fuji stellte Lauda seinen Wagen aus Sicherheitsgründen bereits in der zweiten Runde ab – ein in der Formel-1-Geschichte einmaliges Vorgehen. Das Angebot seines Teams, technische Probleme vorzuschieben, lehnte er ab. Lauda war vielleicht genauso nüchtern wie vor seinem Unfall – aber eben vorsichtiger geworden.

Am Ende ist es jener Unfall, der Lauda weltweit bekannt machte, ihm aber auch zum Verhängnis wurde. 2018 musste er sich einer Lungen-Transplantation unterziehen, eine Folge des Unfall aus dem Jahr 1976. Montagabend ist der vielleicht größte deutschsprachige Formel-1-Fahrer vor Michael Schumacher an den Folgen dieser Transplantation gestorben. Sein Tod trifft viele Menschen, die nur am Rande mit der Formel 1 in Berührung gekommen sind. Weil Niki Lauda anders war. Weil er so selten seine Kappe gezogen hat. Vielleicht sollten wir es ihm heute gleichtun. 

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