SprechgesangKönigsdisziplin der Hip-Hopper

Lesezeit 4 Minuten
Die Coolness der Jugendkultur: Die Hip-Hop-Fans versammeln sich imManforter Bunker zur „Jam“. (Bild: Britta Berg)

Die Coolness der Jugendkultur: Die Hip-Hop-Fans versammeln sich imManforter Bunker zur „Jam“. (Bild: Britta Berg)

Leverkusen – Die Dinge, die sie sich gegenseitig an den Kopf schmeißen, sind alles andere als nett. Nacheinander werden jeweils beleidigt: der Widersacher, dessen Mutter und dessen Freundin. Die Fetzen fliegen. Die Menge vor der Bühne tobt. Lass ihnen noch zehn Minuten, denkt man sich, dann gehen die sich an die Gurgel. Aus den zehn Minuten wird eine Viertelstunde. Und plötzlich geben sich „Mac O.“ und „Klartext“ die Hand. Sie klopfen sich auf die Schulter und sagen: „Respekt! Gut gemacht!“ Und „Mac O.'s“ Freundin Tatjana, eben noch unflätig beschimpft, kommt hinzu und lacht.

Zugegeben: Es ist eine komische Welt, in die man als Besucher an diesem Abend im Manforter Jugendzentrum Bunker eintaucht. Aber es ist eine, die man nicht ignorieren kann: Es ist die Welt des Hip-Hop. Diese Form der Popmusik, mit der sich ursprünglich die schwarze Bevölkerung in den amerikanischen Ghettos Gehör verschaffte, ist derzeit die vielleicht größte Jugendkultur weltweit. Und sie ist auch in Leverkusen populär, wie „Klartext“ nach seinem Auftritt erklärt.

Ultraschnelle Reime

Alles zum Thema Konzerte in Köln

„Wir haben hier schätzungsweise 30 Künstler, die regelmäßig Konzerte geben und Songs ins Internet stellen.“ Das sei für eine Stadt von der Größe Leverkusens sehr viel, sagt der 23-Jährige, der im normalen Leben Dominik Schüller heißt und sich gerade aufs Studium vorbereitet. Seit acht Jahren grast Dominik die Bühnen der Region ab, um zu elektronischen Rhythmen seine ultraschnellen Reime zu präsentieren und im Rahmen von so genannten „Battles“ Hip-Hop-Kollegen wie „Mac O.“ - der eigentlich Max Seyffarth heißt und 21 ist - spielerisch-verbal „niederzumachen“. „Das gehört dazu“, pflichtet dieser ihm bei und Freundin Tatjana (18) sagt: „Ich weiß, dass diese Beleidigungen gegen mich oder gegen Mädchen allgemein scherzhaft gemeint sind. Ich kann darüber lachen“. Der beleidigende Dialog des „Battle“, die Königsdisziplin des Hip-Hop, wurde durch Weltstar Eminem erst richtig bekannt - und findet im Manforter Bunker regelmäßig statt. Natürlich kann Rainer Hilken, der Leiter des Jugendzentrums, mit Hip-Hop nicht allzu viel anfangen: Er ist 51 und gehört somit schon mal per se keiner Jugendkultur mehr an. Schon gar nicht, wenn die mit zig englischen Fachausdrücken und Künstler-Synonymen sprachlich eine Wissenschaft für sich ist.

Brutstätte

Trotzdem steht Hilken an diesem Abend am Mischpult, schiebt die Ton- und Lautstärkeregler hoch und runter und lauscht den so unflätigen wie liebevoll ausgetüftelten Reimen mit unverhohlener Verzückung - weil der von ihm vor zig Jahren aufgebaute Bunker eben eine Brut- und Heimstätte für viele Subkulturen war und ist. „Und da gehört so was eben auch dazu“, sagt er und schwärmt von Hip-Hop-Künstlern wie „Jouston“, die im Manforter Gemäuer, in dem sich ursprünglich nur Rockbands tummelten, „groß“ wurden.

Insgesamt drei Veranstalter für Hip-Hop-Jams gibt es in Leverkusen. Einer davon ist die Truppe der „Allstyler“ um Rene Leismann (30), Björn Boos (31) und Felix Bremser (29). Die drei Leverkusener Studenten sind Mitte der 90er Jahre durch den TV-Musiksender MTV auf diese Musik aufmerksam geworden. Sie erlebten die Entwicklung der Szene nicht nur hautnah mit. Sie trugen mit ihrer eigenen Homepage, auf der sich lokale Hip-Hop-Musiker präsentieren können, sogar ganz entscheidend dazu bei. Der Stolz ist Bremser jedenfalls anzusehen, wenn er im Bunker-Foyer am Tisch steht und mit leuchtenden Augen von seiner Leidenschaft erzählt - falls er denn überhaupt mal zu Wort kommt: Ständig kommen Jugendliche vorbei und grüßen ihn, wollen etwas von ihm wissen, wollen mit ihm fachsimpeln.

Szene-Stars

Er und seine „Allstyler“-Kollegen sind Szene-Stars. Damit tragen sie auch eine gewisse Verantwortung. Und das weiß Bremser: „Wir hatten hier natürlich schon mal Ärger. Das bleibt in Einzelfällen leider nicht aus, wenn sich Hip-Hopper verbal angehen. Aber gerade um dem vorzubeugen legen wir Wert darauf, ein gewisses Niveau zu halten“. Im Klartext: Allzu harte Texte soll es nicht geben. Die „Battle“-Reime werden deshalb oft im Vorfeld grob abgesprochen. „Und Gewaltverherrlichung sowie politisch-extremistische Sachen - sowohl von links als auch von rechts - haben schon mal gar keine Chance, hier präsentiert zu werden“, betont Bremser.

Und so endet auch dieser Abend im Bunker friedlich und ausgelassen: Hilken dreht zum Schluss noch mal ordentlich die Musik auf und auf der Bühne toben „Mr. Fuggs“, die „Flash Squad“ und „Jayden Lyrics“ in donnernder, den Beat stampfender Eintracht. „Respekt“, sagt draußen einmal mehr einer der jugendlichen Zuhörer. „Das war verdammt fett und hat geflasht!“ Verstehen muss diesen Szene-Sprech nicht jeder. Aber jeder sieht, wie zufrieden und brav sich die Hip-Hopper nach getaner Reim-Arbeit auf den Heimweg machen. Alles halb so wild.

KStA abonnieren